Drucker Dieter Kirchner

Das schwärzeste Schwarz der Welt

Drucker Dieter Kirchner
Der Drucker Dieter Kirchner © Andreas Baum
Von Andreas Baum · 07.10.2016
Mit einer Technik namens Skia druckt Dieter Kirchner das schwärzeste Schwarz der Welt - und begeistert damit die großen Fotografen der Gegenwart: Jim Rakete, Sebastião Salgado oder Annie Leibovitz.
Dieter Kirchner residiert in idyllischer Umgebung – im sächsischen Radebeul, Schloss Wackerbarth am Horizont, darunter alte Weinstöcke an den Hängen zur Elbe hin - in einer Villa.
"Hallo Herr Kirchner!"
"Hallo Herr Baum!"
Im Treppenhaus meterhohe Drucke: die Strudel eines Wildbachs, schwarz wie Öl. Es sind Wasserfotografien von Peter Appelt aus der Fränkischen Schweiz. An jeder Wand des Hauses Bücher oder Kunst, vor allem Fotografien, Jim Rakete, Leni Riefenstahl, Ulrich Mack, Annie Leibovitz – und Masken, aus Afrika und Papua Neuguinea.
"Hier, das ist Leibovitz. Das kann man auch schwer tragen das Buch."
"Wie groß ist das Buch?"
"Das ist jetzt aufgeschlagen ein Meter breit, also es hat 50 mal 70 Zentimeter."
"Und was kostet so ein Buch?"
"Das kostet 2000 Euro."
Im großen Erkerzimmer stimmt das Licht. In der Mitte der Kartentisch, die Fotobücher, die in diesem Raum liegen, sind so groß, dass einige von ihnen auf eigenen Holzständern ruhen. Dieter Kirchner, 73, blättert. Sein weißer Bart ist an der Oberlippe gelb geraucht, unter seinen unruhigen, immer tastenden Fingern der Band von Ulrich Mack. Als junger Bergmann durchquerte der 1959 das Ruhrgebiet mit dem Fahrrad und fotografierte Industrieanlagen und verletzte Landschaften. Bis heute sind seine Arbeiten Ikonen der Moderne. Dieter Kirchner hat ihnen mit seinem Druckverfahren eine räumliche Tiefe gegeben, die es in keiner anderen Abbildung gibt. Der Schlüssel hierzu ist die Farbe, die eigentlich keine Farbe ist.
"Ich habe ungefähr 30 Jahre meines Lebens damit verbracht, ein Schwarz zu finden."
Die Frage ist nur: Was ist schwarz?
Kirchner findet es in einem Mineral, im Vulkanobsidian, bringt es aufs Papier - indem er direkt vom Negativ druckt - unter Umgehung des Fotopapiers, das das Ergebnis verfälscht. Dieter Kirchner, in Lippstadt geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen, war einst Pflastermaler und Künstlervagabund, bis er mit seinem Verfahren die Fotografie revolutionierte. Wer diese Bilder sieht, schaut wie in einen Raum - Menschen mögen das, sie fühlen sich sicher, wenn sie Konturen sehen.
"… ist im Nebel genauso. Im Nebel hab ich keine Raumbildung, kein richtiges Schwarz, da fühl ich mich unwohl. Und wenn ich im Abendlicht bin, die Sonne untergeht, wir richtige tief schwarze Stellen haben und hohe Räumlichkeit, fühlen sich alle Menschen wohl."

Frauen sehen anders als Männer

Wobei Männer anders sehen als Frauen: Frauen haben mehr Zapfen auf der Netzhaut. Sie sehen farbiger, Männer dagegen räumlicher. Männer mögen Licht und Schatten.
"Ich hab mal mit Jim Rakete einen Kalender gemacht, einen in glänzend, einen in matt, den haben wir immer zusammen verschickt. Die Männer haben den glänzenden genommen, die Frauen den matten."
Überhaupt: Jim Rakete. Der Promi-Fotograf und Dieter Kirchner haben sich gesucht und gefunden. Sie sind kreative Zwillinge geworden.
"Das sind auch Skia-Prints von Jim Rakete."
… darauf die Schauspieler Jürgen Vogel und Jana Pallaske …
"… und Jim war natürlich begeistert, weil da plötzlich Sachen rauskamen, die er nie im Fotopapier gesehen hat. Die feinen Strukturen. Die Unterschiede. Die Fotopapier gar nicht bringen kann. Fotografie ist direkt. Das ist der eingefrorene Augenblick."
Härchen auf der Nase, Poren, Grübchen, Falten: Schmeichelhaft ist das nicht. Aber Kunst, sagt Kirchner, sollte niemals schmeicheln. Weshalb er bescheiden bleibt und seinen Platz, auch wenn die Welt ihm zujubelt, an der Druckmaschine sieht.
"Ich hab zwischendurch Vorlesungen gehalten, aber das ist nicht mein Beruf. Wenn ich Lehrer hätte werden wollen, wäre ich Lehrer geworden. Da würd ich vor Langeweile krepieren."
"Genesis war das größte fotografische Projekt das je gedruckt wurde."
"Sieht auch aus wie das größte Buch, das je gedruckt wurde…"
"In der Größenordnung hört es auf, weil es buch-binderisch nicht mehr zu verarbeiten ist."

Bilder für die Ewigkeit

Dieses zweibändige Werk des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado wiegt so viel wie zwei Säcke Zement: 50 Kilo. Darin die ganze Welt: weite Wüstenlandschaften, Korallenriffe und Meere, ein Jaguar an der Wasserstelle, und Menschen, Urwaldbewohner, in beispiellos natürlichen Posen.
Heute, da Menschen mit ihren Telefonen täglich Dutzende von Bilder machen, wirkt Kirchners Kunst wie aus der Zeit gefallen. Aber sie ist auch ein Rettungsboot. Er will bewahren, was wir schon mal besser konnten: Sehen.
"Wir fotografieren, sinnlos drauf, Sie haben kein Bildwissen mehr. Sie vergleichen Ihre Bilder, schnell, es ist eine Wegwerfgesellschaft geworden, und Fotografen haben eins verlernt, nämlich Bilder zu sehen."
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