Soziologin zum Ende des Drosten-Podcasts

„Wissenschaft gibt der Politik keine Entscheidungen vor“

07:53 Minuten
Virologe Christian Drosten im Portrait.
Selten fand Wissenschaft so viel Gehör wie in Gestalt des Virologen Christian Drosten während der Covid-19-Pandemie. Der NDR-Podcast "Coronavirus Update" mit Drosten als Experte geht nun nach gut zwei Jahren zu Ende. © picture alliance / Flashpic / Jens Krick
Jutta Allmendinger im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 29.03.2022
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Es ist der wohl populärste deutsche Podcast: Im "Coronavirus-Update" präsentierte Virologe Christian Drosten sein Wissen. Nun endet das Format. Trotz des Erfolgs gebe es noch immer falsche Vorstellungen von Wissenschaft, sagt Soziologin Jutta Allmendinger.
Viele werden künftig ein lieb gewordenes Ritual vermissen: das „Coronavirus-Update“, den Podcast, an dem unter anderem der Berliner Virologe Christian Drosten regelmäßig mitwirkte. Lange gab es die Produktion des Norddeutschen Rundfunks täglich, zuletzt ein bisschen seltener. Nun läuft die letzte Folge. Der Grund ist allerdings nicht, dass Corona vorbei wäre. Drosten selbst sagt voraus, dass wir wohl keinen coronafreien Sommer haben werden.

Expertise für die Politik

Obwohl es in der öffentlichen Wahrnehmung das erste Mal war, dass wissenschaftlicher Rat so direkt zum Handlungsmaßstab von Politik wurde, sei das in Wahrheit nicht so, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger. Auch vorher habe es Gremien wie etwa die Wirtschaftsweisen gegeben, so die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie gehört mit Drosten und weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer Kommission der Bundesregierung an, die die Coronaregelungen evaluieren sollte.
Die Pandemie zeige, dass die Forschung auch weiterhin breit und nicht auf direkten Nutzen hin gefördert werden müsse, erklärt Allmendinger. „Herr Drosten leitete lange ein kleines Institut, wo man nie wusste: Hat es überhaupt jemals eine Bedeutung?“ Trotzdem sei es weiterfinanziert worden.

Primärwissen aus der Forschung

Es sei richtig, dass Christian Drosten und weitere Forscherinnen und Forscher während der Pandemie in der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle spielten. Das Primärwissen sei von dort gekommen. Außerdem habe Drosten es fertig gebracht, „mit wirklich sehr, sehr klarer Stimme sehr verständlich zu sprechen“.
Verärgert äußerte sich Allmendinger kürzlich auf Twitter zur Entscheidung des Presserates, eine Berichterstattung der „Bild“ nicht zu rügen. Nämlich die, unter der Überschrift „Die Lockdown-Macher“ Fotos von drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu veröffentlichen und sie somit quasi für die politische Entscheidung zur Jahreswende verantwortlich zu machen.

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„Wir geben der Politik keine Entscheidungen vor, wir beraten die Politik“, betont Allmendinger. „Wir stellen unser Wissen dar und halten es transparent, sodass es nachprüfbar ist.“ Wissenschaft sei immer dafür da, sich selbst zu falsifizieren. „Das hätte wahrscheinlich klarer vermittelt werden müssen, auch in die Öffentlichkeit“, so die Soziologin, nämlich, dass es nicht das eine Wissen für die gesamte Pandemie, sondern vielmehr sogenannte "Moving Targets" gebe: „dass wir mit jedem neuen Virus, mit jeder neuen Mutation, mit jeder neuen Erkenntnis aus anderen Ländern natürlich mehr dazulernen.“

Schutz für Wissenschaftskommunikation

Außerdem müsse man anerkennen, dass es eine Pluralität der Wissenschaften, auch eine Pluralität in der Medizin gebe: „Wenn ich sehe, wie ich da am Anfang der Pandemie immer und immer wieder Ausrufezeichen gesetzt habe – ‚Passt auf, was mit den Kindern passiert!‘, ‚Mit langen Schulschließungen passt auf!‘, ‚Mit der Doppelbelastung von Müttern, passt auf, was mit Geschlechternormen passiert!‘ – ist das ja durchaus eine andere Richtung, von der ich gekommen bin, als eine epidemiologische, virologische Richtung von Herrn Drosten. Und wir hatten darüber auch oft gestritten, und wir haben lange gebraucht, bis wir gesehen haben, dass es nicht die eine Leitwissenschaft gibt in der Medizin, sondern dass wir tatsächlich multidisziplinär an diese Probleme herangehen müssen.“
Was sie sehr enttäuscht habe, so Allmendinger: Auf der einen Seite werde die Wissenschaft immer wieder aufgefordert, ihr Wissen auf verständliche Art und Weise der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite sehe man aber, dass man angegriffen werde und nicht davor geschützt werde. In diesem Fall mit der „Bild“ gebe es einen Rückzug auf Wissenschaftsfreiheit alleine, ohne zu sehen, dass auch die Wissenschaftskommunikation Schutz brauche.
(abr)

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