Drittes Geschlecht

Herausforderung zum Nachdenken für die Kirchen

Ein Plakat der Initiative "Dritte Option"
Organisationen wie die Initiative "Dritte Option" setzen sich schon seit Jahren für mehr Rechte von Intersexuellen ein © Jan Woitas/dpa
Marianne Heimbach-Steins im Gespräch mit Ute Welty  · 18.11.2017
Die Kirchen hätten beim Umgang mit Vielfalt eine sehr große Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft, sagt Marianne Heimbach-Steins. Die katholische Theologin freut sich über die positiven Reaktionen der christlichen Religionsvertreter auf das Karlsruher Urteil zum Dritten Geschlecht.
Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts soll es in den Geburtenregistern künftig ein drittes Geschlecht geben. Es stelle eine Diskriminierung und einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, wenn intersexuelle Menschen, deren Geschlecht nicht klar bestimmbar ist, sich im Geburtenregister zwischen "männlich" oder "weiblich" entscheiden oder ganz auf die Geschlechtseintragung verzichten müssten, entschieden die Karlsruher Richter. Das Urteil stieß vielfach auf positive Resonanz, auch bei den Kirchen.

Positive Reaktionen begrüßt

"Das ist eine Herausforderung, mit der sich die christlichen Kirchen, ganz besonders die katholische Kirche sicherlich nicht leicht tut", sagte die katholische Theologin Marianne Heimbach-Steins im Deutschlandfunk Kultur. Sie nannte es erfreulich, dass die vorsichtigen Reaktionen aus den Kirchen nicht ablehnend, sondern grundsätzlich positiv ausgefallen seien. Sie finde gut, dass noch Raum für Debatte und Nachdenken bleibe. Die Herausforderung liege aber auf der Linie dessen, was die katholische Kirche "über den Menschen als Wesen mit einer unverlierbaren und unantastbaren Würde" denke und zwar für jeden Menschen, ganz unabhängig von der persönlichen Disposition.

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Neben vielem anderen wird auch das keine leichte Aufgabe für die künftige Regierung sein: Sie muss darüber nachdenken, wie eine positive Bezeichnung für ein drittes Geschlecht lauten kann. Das jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht so für das sogenannte Personenstandsregister entschieden. Und das hat Konsequenzen, die weit über die Anzahl der bereitzustellenden Toiletten hinausgehen.
Auch die Kirchen, und da vor allem die Katholische Kirche müssen sich positionieren, denn bisher war alles fein säuberlich in männlich und weiblich sortiert. Fachleute sprechen auch von einer binären Fixierung des Alltags, und Marianne Heimbach-Steins ist zweifelsohne eine Fachfrau. Seit 2009 steht die katholische Theologin an der Spitze des Instituts für Christliche Sozialwissenschaft an der Universität Münster. Guten Morgen, Frau Heimbach-Steins!
Marianne Heimbach-Steins: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die ersten Reaktionen der katholischen Kirche sind sehr abwartend, um nicht zu sagen, übervorsichtig. Ist man vielleicht auch überfordert?
Heimbach-Steins: Ich denke, zunächst mal sind die vorsichtigen Reaktionen nicht ablehnend, sondern grundsätzlich positiv, und das würde ich erst mal als sehr erfreulich bewerten und finde das gut, weil hier eben doch ein Korridor offengehalten wird für eine Frage, über die wir in der Tat noch sehr viel nachzudenken haben.
Das ist eine Herausforderung, mit der sich die christlichen Kirchen, ganz besonders die katholische Kirche sicherlich nicht leicht tut, aber die eigentlich auf der Linie dessen liegt, was die katholische Kirche über den Menschen als Wesen mit einer unverlierbaren und unantastbaren Würde denkt, und zwar für jeden Menschen, ganz unabhängig von der persönlichen Disposition.
Papst Franziskus bei einer Messe mit Strafgefangenen.
Vor allem für die katholische Kirche ist das Karlsruher Urteil eine Herausforderung. © dpa / picture alliance /

Wahrnehmung der Frau

Welty: Ich drücke es mal ein bisschen böse aus: Auf der anderen Seite fragt man sich dann schon, was denn so schwierig sein soll, denn seit 2.000 Jahren ignoriert die katholische Kirche erfolgreich das zweite Geschlecht, nämlich das weibliche. Warum diese Strategie aufgeben wollen?
Heimbach-Steins: Nun also, ich würde Ihnen da ja nicht so ganz zustimmen.
Welty: Das dachte ich mir schon.
Heimbach-Steins: Es gibt da natürlich schon eine – ja, es gibt eine Geschlechterhierarchie, und es gibt eine starke Ungleichbehandlung in bestimmten Hinsichten. Auf der anderen Seite kann sich die christliche Kirche, die ja nicht seit 2.000 Jahren konfessionell geschieden ist, durchaus auch auf die Fahnen schreiben, dass sie viel auch für die Wahrnehmung und die Anerkennung der Frau als Person getan hat.
Die Geschlechterhierarchie ist ja kein spezifisch christliches Problem. Also insofern glaube ich schon, dass in dem Potenzial, das in der Anthropologie des Christentums und in der Lehre auch der Kirchen über die Person und die Personenwürde und in der neueren Entwicklung auch die Menschenrechte der Person, liegt noch viel Entwicklungspotenzial für Gleichberechtigung der Geschlechter, von Frauen und Männern, aber eben auch für die Wahrnehmung geschlechtlicher Diversität über den Dual von männlich und weiblich hinaus liegt.

Ein langer Entwicklungsprozess

Welty: Das bedeutet konkret, welche Fragen oder welche Themenbereiche wird eine solche Positionierung umfassen müssen?
Heimbach-Steins: Zunächst mal glaube ich wirklich, dass die Kirchen da eine sehr große Aufgabe für die gesamte Gesellschaft haben, diese Herausforderung des Umgangs mit Diversität, mit einer nicht immer eindeutig in einer Dualität der Geschlechter festzulegenden geschlechtlichen Identität deutlich zu machen und dafür zu werben, dass Menschen nun, gleich, wie sie disponiert sind, gleich, wie sie leben in der Gesellschaft und in der Kirche, Anerkennung verdienen und nicht unsichtbar gemacht werden dürfen.
Ich glaube, dass das eigentlich die Grundaufgabe ist. Was daraus dann im Einzelnen folgt und wie man damit umgeht, von der Weiterentwicklung der Sprache, die Menschen nicht unsichtbar machen darf, bis zu ganz konkreten rechtlichen und sozialen Normen und Maßnahmen. Das muss man sehen, das kann ich auch nicht bis ins Letzte ausdifferenzieren jetzt. Ich glaube, das ist ein langer und durchaus herausfordernder Entwicklungsprozess für alle Beteiligten.

Kleine Minderheiten

Welty: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es bisher so wenig Debatte über dieses Thema gab? Immerhin gibt es geschätzt 160.000 intersexuelle Menschen in Deutschland, und da reden wir über eine Größenordnung einer Stadt wie Osnabrück oder Potsdam.
Heimbach-Steins: Ja nun, aber insgesamt sind das natürlich, auf die Gesamtbevölkerung unseres Landes bezogen, und wahrscheinlich ist das ähnlich in Bezug auf die Weltbevölkerung von den Dimensionen her, sind es kleine Minderheiten. Und es gibt ja leider im Moment noch Menschen, die sagen, das sind so wenige, da ist das nicht so wichtig. Das ist natürlich Unfug, denn grundlegende Menschenrechte und die Anerkennung der Menschenwürde kann überhaupt nicht abhängig gemacht werden von Zahlen. Jeder Einzelne, jede Einzelne, jede Person muss in ihrer persönlichen Disposition ernst genommen, anerkannt und sichtbar gemacht werden in der Gesellschaft.
Aber wir haben natürlich eine Gesellschaft, die insgesamt ganz stark strukturiert ist durch diese Dualität von männlich und weiblich, und wir sind in unserem ganzen abendländischen Denken total darauf ausgerichtet, immer in dualen Kategorien zu denken. Und was da nicht reinpasst, das kommt nicht vor. Das ist ein Muster, das finden wir nicht nur im Bereich der geschlechtlichen Identität, das finden wir immer wieder: Wir müssen immer sagen, so oder so, eines oder das andere, und ein Drittes geht nicht. Das ist ganz tief im abendländischen Denken drin, und es ist nicht leicht, darüber hinwegzukommen und sozusagen Ordnungskategorien zu entwickeln, die darüber hinausweisen.
Welty: Aber es gilt unbedingt den nächsten Schritt zu tun, sagt Marianne Heimbach-Steins, Theologin an der Spitze des Instituts für Christliche Sozialwissenschaft der Universität Münster. Frau Heimbach-Steins, ich danke sehr für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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