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Bildungspolitik in Sachsen
Nischendasein im Wahlkampf

Bei vergangenen Bildungsvergleichen schnitt Sachsen stets gut ab, doch das Land leidet auch unter Lehrermangel und hohe Schulabbrecherquoten. Trotz dieser Missstände spielt das Thema Bildung neben Dauerbrennern wie Migration oder Klimaschutz im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle.

Von Bastian Brandau | 30.08.2019
 Sachsen, Pegau: An der Oberschule in Pegau üben Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse im Musikunterricht eine Melodie am Keyboard.
Die Chancen auf Bildung seien in Sachsen je nach Region und Schulart sehr unterschiedlich, so heißt es bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Sachsen. (dpa / picture alliance / Waltraud Grubitzsch)
Schulpolitik in Sachsen, das bedeutet seit Jahren vor allem ein Thema. Ursula Kruse, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen: "Das Thema Lehrermangel ist eigentlich die Wand, gegen die immer wieder gelaufen wird, bei allen Debatten über die Veränderungen im Schulsystem, die dringend notwendig sind."
Der spürbare Mangel: ein immer wieder genannter Grund für viele Wähler, der seit 1990 das Kultusministerium besetzenden CDU zuletzt bei Wahlen das Vertrauen zu entziehen. Mit dem Amtsantritt von Michael Kretschmer sitzt seit gut eineinhalb Jahren dessen alter Kumpel Christian Piwarz im Kultusministerium. Ein Jurist, der Mehrheiten in der Fraktion organisiert – etwa für die bisher in seiner Partei verpönte Verbeamtung.
"Wir konnten mehr Einstellungen realisieren als im vergangenen Jahr. Aber wir sind noch nicht dort angekommen, wo wir hinkommen wollen. Wir haben regional Schwierigkeiten, gerade im ostsächsischen Raum und im Chemnitzer Gebiet. Und wir haben in einigen Schularten Probleme, in einigen Bereichen in der Grundschule, in einigen Bereichen in der Oberschule."
"Wir werden in den Oberschulen landesweit riesige Probleme mit der Lehrerversorgung haben," sagt Gewerkschafterin Kruse von der GEW. "Wir werden in den Regionen Bautzen, in den Regionen Zwickau und in der Region Chemnitz riesige Probleme haben bei der Lehrerversorgung an Grundschulen und landesweit wird die Förderschule nicht ausreichend mit Lehrerinnen und Lehrern ausgestattet sein."
Streit um Gemeinschaftsschulen
Und dies sei letztlich auch ein Gerechtigkeitsproblem. Denn die Chancen auf Bildung seien je nach Region und Schulart sehr unterschiedlich. Und: Sachsen rühmt sich zwar seines guten Abschneidens bei vergangenen Bildungsvergleichen, hat aber mit acht Prozent eine der bundesweit höchsten Schulabbrecherquoten. Auch die kreiden viele der CDU an: Dort steht zum dritten Mal in Folge die Forderung im Wahlprogramm, diese Quote zu halbieren.
Hoffen auf die Gemeinschaftsschule: Über 50.000 Unterschriften für einen Gesetzesentwurf, deutlich mehr als die 40.000 notendigen legt zwei Wochen vor der Wahl eine Initiative vor. Die sächsische CDU lehnt längeres gemeinsames Lernen ab, laut einer Emnid-Umfrage sind über 60 Prozent der Menschen in Sachsen dafür.
Landtagswahl Sachsen 2019
Landtagswahl Sachsen 2019 (dpa / ZB / Peter Endig )
Der Initiativ-Gesetzesentwurf sieht vor, dass Schulträger, Schule und Eltern gemeinsam Gemeinschaftsschulen einrichten können. Die GEW unterstützt, von den Parteien im Landtag gehören Linke, SPD und die Grünen dazu. Bildungspolitikerin Petra Zais von den Grünen.
"Was wir eben auch unterstützen, ist, dass es eine freiwillige Form ist des gemeinsamen längeren Lernens. Also überall dort wo Schulträger, also zum Beispiel die Stadt Chemnitz, wo es ja bereits das Chemnitzer Schulmodell gibt, und Schule einverstanden sind, dann kann man dieses System machen. Was auch klar ist, es wird Ermunterungen und Unterstützungen brauchen, um dieses Modell durchzusetzen, aber am Ende denke ich, wird ein höheres Maß an Bildungsgerechtigkeit für sächsische Kinder stehen."
Bildung spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle
Bildung, Schule, Ausbildung: Für rund ein Fünftel der Wahlberechtigten ein entscheidendes Thema bei den anstehenden Landtagswahl – so das Ergebnis einer Umfrage des MDR. Doch hinter den beiden meistgenannten Themen Klimaschutz und Migration scheint die Bildung im Wahlkampf derzeit eher ein Nischendasein zu führen.
Wohl auch, weil der Wahltermin zwei Wochen nach Ende der Ferien liegt. Martin Dulig von der SPD sagt, er setze sich für eine ganz andere Bildungspolitik ein – und dass, obwohl er als stellvertretender Ministerpräsident Mitglied der Regierung ist. Kritiker werfen ihm vor, in den vergangenen fünf Jahren sich in der Bildungspolitik nicht durchgesetzt zu haben. Dulig selbst ärgert sich darüber.
"Jetzt haben wir im Koalitionsvertrag Kompromisse errungen, in der Umsetzung sind sie gescheitert. Man muss klar sagen, beim Thema Gemeinschaftsschule, beim Thema längeres gemeinsames Lernen ist mit der CDU kein Kompromiss zu machen. Das hat die SPD gelernt. Und von daher ist das für uns eine ganz zentrale Forderung nicht nur in einem Regierungsprogramm, sondern auch in einem Koalitionsvertrag."
Ob Dulig den wieder unterschreiben wird, ist derzeit völlig unklar - aufgrund der zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse im Landtag. Die amtierende CDU-SPD-Regierung hätte nach Umfragen derzeit keine Mehrheit, selbst dann wohl nicht, wenn die Grünen mit dabei wären. Stärkste Partei könnte die AFD werden. In ihrem Wahlprogramm steht zur Schulpolitik widersprüchliches: Einerseits hält sie am gegliederten Schulsystem fest, anderseits will sie gemeinsames Lernen bis Klasse 8. Und: Klassenzimmer dürften kein Ort der politischen Indoktrination sein, schreibt die AFD und kritisiert antirassistische Initiativen an Schulen. Ziel der Schule soll es, ein positives Bild von Sachsen und Deutschland, seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu vermitteln - ganz ideologiefrei, versteht sich.