Dresden begegnet dem Kirchentag ...

Von Susanne Mack · 04.06.2011
Dresden, das ist die Stadt der barocken Frauenkirche, für deren Wiederaufbau Spenden aus aller Welt flossen. Aber nur 20 Prozent der Einwohner gehören einer Kirche an. Da muss sich der Kirchentag anders präsentieren als in einer westdeutschen Großstadt.
Mitten in der Galerie am Altmarkt, einer glitzernden Shoppingmeile, haben sächsische Christen eine Schatzkammer eingerichtet und laden die Passanten ein, sie in Augenschein zu nehmen.

"Ich komm’ aus Dresden, Lieselotte Nebe, und betreue jetzt diese besondere Schatzkammer, diese etwas andere Schatzkammer!"

"Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein." - In Vorbereitung des Kirchentags hatte die Sächsische Landeskirche leere Pappkartons verschickt. An alle ihre Gemeinden. Mit der Bitte: "Packt das, was ihr besonders zu schätzen wisst, hinein". In den Schatzkisten, rund 200 sind zu besichtigen, findet sich viel Symbolisches: Fotos von Kirchen, Briefe mit Geschichten aus dem Gemeindeleben, aber auch Handfestes und Süffiges aus der Region. Frau Nebe öffnet gerade die Schatzkiste der Christen aus Hosterwitz-Pillnitz.

"Das ist eine Flasche Wein. Müller - Thurgau, gewachsen: Dresden - Pillnitz, am Elbhang!"

Um die weißen Regale mit den Schatzkissen herum läuft das normale Einkaufstreiben, hier könnte man den Kirchentag noch fast übersehen. Aber die Straßenbahnen sind brechend voll dieser Tage in Dresden, viele Straßen in der Innenstadt gesperrt. Über 100.000 Besucher sind für eine Stadt mit einer halben Million Einwohner logistisch nicht so leicht zu verkraften.

"Ich glaube, der Dresdner an sich genauso wie die Stadt Dresden haben es lange genug ignoriert, dass der Kirchentag herkommt. Und dann ist man erstmal erschrocken! Aber ich glaube, wenn sie dann feiern können und sich das alles ein bisschen angeguckt haben, dann ist das Eis auch gebrochen und dann funktioniert ’s wieder."

Zudem sind diese Besuchermassen keine gewöhnlichen Touristen oder Fußballfans.

"Der Unterschied ist der, dass große weiße Kreuze an der Elbe stehen, und man denkt, man wird missioniert!"

Sagt ein junger Mann vor der "Schauburg", einem Kino mit Kneipe am Rande der Dresdner Neustadt.

"Wir befinden uns hier in der religionsfreien Zone, die wir in der Schauburg zur Zeit des Kirchentages ausgerufen haben."

Sacha Hanig, Sprecher des Vereins "GeFAHR". Das Kürzel für ‚Gesellschaft zur Förderung von Aufklärung, Humanismus und Religionsfreiheit’.

"Bei einem so weitgreifenden Ereignis wie es der Kirchentag darstellt, muss es eine Alternative geben für all jene, die auch ohne Gott glücklich sind. Und für all jene, die über diese Weltanschauung auch mal diskutieren möchten. Die Ideen entwickeln, die vielleicht auch kritisieren wollen. Und deswegen haben wir die religionsfreie Zone in ’s Leben gerufen."

In Dresden gehören nur knapp 20 Prozent einer Kirche an. Aber die seien eben sehr laut, erklärt Sacha Hanig. Die CDU ist in Sachsen die mit Abstand stärkste Partei. Hanig findet, ein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Glaubensfreiheit muss auch für Agnostiker und Atheisten gelten. Gilt in der religionsfreien Zone etwa: Kein Zutritt für Christen? - Im Gegenteil.

"Die sind, wie alle anderen Menschen auch, in der religionsfreien Zone herzlich willkommen. Wir laden ein, daran teilzunehmen, mitzudiskutieren und vielleicht auch mal zuzuhören. Und wir erhoffen uns, dass wir in Taten mehr zusammenrücken und auf philosophischer Ebene einen schönen Diskurs haben werden."

Auf dem Weg von der Schauburg zurück in die Altstadt hört man höchst unterschiedliche Meinungen zum Thema ‚großes Christen-Treffen’.

"Dagegen hab’ ich nichts. Die können sich genauso oft treffen wie alle anderen."

"Als Dresdnerin find’ ich’s lustig ! Weil: ich hoffe, dass die Dresdner mal ein bisschen wach werden. Mit Großveranstaltungen haben Sie’s ja nicht so gerne."

"Der Kirchentag selber interessiert mich überhaupt nicht."

"Ich möchte eher diskutieren. Ich möchte nicht mitsingen und auch nicht gesegnet werden!"

"Nö, das find’ ich gut! Klar, der Verkehr stockt ein bisschen, aber trotzdem: ‚ne schöne Sache."

Am Königsufer der Elbe ragt ein weißes Christuskreuz in den Himmel. Von der Augustusbrücke aus bietet sich ein malerischer Blick auf Dresdens Prachtbauten samt Kirchtürmen und Kuppel der Frauenkirche. Der Segensspruch des Landesbischofs (beim Eröffnungsgottesdienst) hallt dank bester Technik über die Elbe hinweg. - Gäste aus ganz Deutschland zeigen sich schwer beeindruckt von dieser einmaligen Kulisse für einen Kirchentag.

"Das ist Super! Unglaublich, ganz toll. Also, dieses Gefühl … ganz Klasse."

"So ein schöner Blick ! Also, das ist echt in ’s Herz gegangen."

"Kann man nicht anders sagen !"

Vor der Frauenkirche bilden sich immer wieder lange Warteschlangen. An der Eingangspforte klärt ein Schild Ungeduldige auf: "Kirche überfüllt!". Die Einheimischen haben Verständnis:

"Ist halt ’ne Touristenattraktion."

"Sieht erstmal schön aus, ein schönes Objekt. Aber drin zu pompös. Aber sie ist ja nach alten Vorlagen gestaltet worden. Also, ich find ’s zu glamourös, zu bunt. Das passt einfach nicht zum Volk. Weil’s ja ne Volkskirche sein soll."

Wer gemeinsam wartet, kommt leicht ins Gespräch. Ein beliebtes Thema: die Übernachtungsquartiere. Rund elfeinhalbtausend Gratis-Betten haben Privatleute für die Kirchentagbesucher zur Verfügung gestellt. Eine Frau aus der Neustadt erklärt, sie habe auch zwei Gäste aufgenommen. - Ob sie Christin ist? Sie lächelt.

"Also, ich glaub’ schon, dass 60 Prozent der privaten Bettengeber hier ohne Konfession gewesen ist. Das ist eigentlich ’ne Gastfreundschaft von Sachsen, das ist einfach so: wenn Betten gebraucht werden, werden sie eben hergegeben, fertig!"

Dresden ist gastfreundlich. - Und diskutierfreudig. Mitten in der Kneipenmeile ‚Hauptstraße’ steht eine zehn Meter lange Kirchenbank unter freiem Himmel. Studierende der Dresdner Hochschule für Kirchenmusik haben sie dort aufgestellt und laden Passanten ein, mit ihnen über Gott und die Welt zu sprechen. – Und? Es funktioniert.

"Sie sind Theologe, oder wie?"

"Ich speziell schon, aber vor allem sind das Laien und Nicht-Theologen, die hier Auskunft geben über Grundbegriffe des christlichen Glaubens. Über das, was ihnen selbst auch wichtig ist. Und wenn Sie sagen: ’Okay, interessiert mich, hör’ ich mal zwei Minuten zu, oder wir kommen in ’s Gespräch, dann sind Sie dazu eingeladen."

Eine Frau aus Bremen erzählt, sie habe vor zwei Jahren in ihrer Heimatstadt zum ersten Mal einen evangelischen Kirchentag erlebt.

"Da haben wir das so ’n bisschen schmecken gelernt. Wir sind nämlich selber katholisch! Das fanden wir aber trotzdem so toll, und da haben wir gesagt: jetzt woll’n wir auch nach Dresden."

Die Ökumene hat in Sachsen Tradition, weiß ein Mann aus Berlin:

"Als August der Starke sich entschieden hatte, König von Polen zu werden, musste er ja katholisch werden. Und deshalb war Sachsen eigentlich immer sehr tolerant von der Geschichte her, weil: das Königshaus war katholisch, die Bevölkerung war evangelisch. Und das drückt sich an den beiden großen Kirchen aus: der Kathedrale direkt an der Elbe und der Frauenkirche dahinter, dass hier zwei Glaubensbekenntnisse relativ gleichberechtigt nebeneinander gelebt haben."

Dresden, Stadt der Toleranz und der Versöhnung. So lautet ein Motto des Kirchentags. Wenn in Sachsens Hauptstadt das Wort "Versöhnung" fällt, kommt man heute beinah selbstverständlich auf die Dresdner Juden zu sprechen. Auf die Opfer des Holocaust. Und auf die alte Synagoge. In der Pogromnacht 1938 ging sie in Flammen auf. An ihrer Stelle steht jetzt die neue Synagoge, ein kubischer Bau.

Die jüdische Gemeinde Dresden, rund 700 Mitglieder stark, öffnet anlässlich des Kirchentags ihre Pforten. Man bittet die Christen als Gäste ins Haus. Es heißt, das Verhältnis zwischen Juden und Christen in dieser Stadt sei heute wohlwollend bis freundschaftlich. Johanna Stoll, unter ihren Vorfahren sind viele Opfer des Holocaust, auf die Frage, ob sie den deutschen Christen ihren Willen zur Versöhnung glauben kann:

"Also, grundsätzlich sage ich nicht "d i e …".Ich kenne Christen, denen ich das 100 Prozent abnehme, weil es insgesamt Menschen sind, die glaubwürdig sind. Und es gibt Menschen, denen nehme ich das nicht wirklich ab. Aber da gehören auch Leute dazu, die nicht Christen sind. Die sowas verkünden, und wo ich sehr unsicher bin, wie’s käme, wenn die Politik mal wieder ’ne andere wäre, was ich nicht hoffe. Also, ich würde es nicht an Religionen festmachen, weil: das "d i e Juden…" stimmt ja auch nicht."

Ein paar Mitglieder der jüdischen Gemeinde erzählen, sie seien beim Abendsegen und Lichterfest an der Elbe auch dabei gewesen. Als Hunderttausende mit Kerzen in der Hand die nächtlichen Ufer des Flusses erleuchtet und ein christliches Volkslied aus der Epoche der deutschen Romantik angestimmt haben: "Kein schöner Land in dieser Zeit…"

"Ich hab’ erst ein bisschen geschluckt. Aber es ist ja auch ein schönes Lied. Und man darf ja auch mal stolz auf sein Land sein, das muss ja nicht immer negativ behaftet sein. Man kann ja auch nett sein und über seine Grenzen hinweggucken."

"Ich bin durch Zufall in dem Moment über die Brücke mit der Bahn gefahren, und es war unheimlich schön. Ein bleibender Eindruck.

"Die Lichter an der Elbe entlang einfach zu sehen und darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass wir miteinander verbunden sind. Gott sei Dank. Es ist der erste Kirchentag, wo wir miteinander angekommen sind, denn es sind diesmal gleich viele Teilnehmer aus Ost und West. Herzlichen Glückwunsch - zu Dresden!"

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