Drei Jahre Prostituiertenschutzgesetz

Was der "Hurenausweis" gebracht hat

07:33 Minuten
Aufnahme einer Sexarbeiterin in einem Bordell.
Prostituierte in einem Bordell: Etwa 33.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind inzwischen offiziell registriert. © Imago / Becker&Bredel
Von Peggy Fiebig · 07.07.2020
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Seit drei Jahren ist es in Kraft: Das Prostituiertenschutzgesetz brachte mehr Auflagen für Bordelle, die Anmeldepflicht und Pflichtberatung für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Ist so wirklich gelungen, die Betroffenen besser zu schützen?
Berlin Kurfürstenstraße. Eine Nebenstraße zur belebten Potsdamer Straße. Nicht weit entfernt vom Potsdamer Platz mit seinen schicken Geschäften und modernen Bürotürmen. Hier ist der Berliner Straßenstrich.
"So das Gebiet ist Zentrum Kurfürstenstraße", erklärt Gerhard Schönborn, "Erstreckt sich aber auf die Bülowstraße, in die andere Richtung Lützowstraße und genauso Potsdamer Straße. Es sind noch eine Menge Straßen außen rum."
Gerhard Schönborn kennt sich hier aus. Er ist Vorsitzender von "Neustart". Der sozial-diakonische Verein will den Prostituierten vom Kurfürstenkiez helfen: Bei Behördengängen, bei gesundheitlichen Schwierigkeiten, auch bei Drogentherapien, bei der Wohnungssuche. Hilfe, die gerade hier auf dem Straßenstrich dringend notwendig ist.

"Zuhälterei und Menschenhandel sind hier allgegenwärtig"

"Seit etwa 2006 ist das hier ein richtiger Armutsstrich", erklärt er. "Also es sind immer noch die deutschen drogenabhängigen Frauen. Aber eben auch ganz viele Frauen aus Osteuropa. Und die Frauen aus Osteuropa dominieren auch inzwischen die Straßen. Man kann sagen, 70 bis 80 Prozent. Es sind vor allem drei Länder: Bulgarien, Rumänien, Ungarn."
Es ist eine toxische Mischung aus Drogenabhängigkeit, Armut und Kriminalität, sagt Schönborn: "Zuhälterei und Menschenhandel sind hier allgegenwärtig."
Vor allem ein Milieu wie dieses, dürften die Politiker im Kopf gehabt haben, als sie vor vier Jahren das Prostituiertenschutzgesetz verabschiedeten. Die damals zuständige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Manuela Schwesig bei der abschließenden Debatte im Bundestag:
"Wir schauen aus Sicht der Frauen, die niemals irgendwo sichtbar sind, die niemals in einer Talkshow auftreten und für sich sprechen können, die das auch nicht in Diskussionsveranstaltungen können", so die Ministerin. "Sondern die, die, wie mir eine junge Osteuropäerin geschildert hat, niemand zu Gesicht bekommen, weil der Zuhälter alles für sie getan hat, im negativen Sinne. Wir wollen auf diese Frauen aufmerksam werden."

Schutz oder Stigmatisierung?

Insgesamt sind in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 33.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter offiziell registriert. Eine solche Registrierungspflicht gibt es erst seit 2017. Sie ist eine der Neuerungen, die das Prostituiertenschutzgesetz mit sich brachte.
Sexarbeiterinnen müssen jetzt einen entsprechenden Nachweis mit sich führen, der sie als Sexarbeiterin ausweist. Den gibt es erst nach einer Gesundheitsberatung und er muss alle zwei Jahre erneuert werden. Unerträglich findet Anna Hoffmann die Anmeldungspflicht. Sie ist Sexarbeiterin und engagiert sich ehrenamtlich beim Berliner Beratungsverein Hydra.
"Es ist wirklich ein schwerer Gang sich diesen Hurenausweis zu holen", kritisiert sie. "Es ist völlig okay, mit einer Sozialarbeiterin über Safer Sex zu reden. Ich weiß mehr darüber als sie, völlig okay. Aber der ganze Akt, dass ich dann in meiner Handtasche da ein Stück Papier habe mit einem Foto drauf, was mich sozusagen als Prostituierte kennzeichnet. Das ist etwas sehr, sehr Stigmatisierendes."
Viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter würden deshalb auf den Ausweis verzichten, sagt Anna Hoffmann.
"Die möchten nicht, dass ein Brief vom Finanzamt nach Hause kommt, auf dem 'Prostituierte' steht.", sagt sie. "Die möchten nicht, dass sie, wenn sie auf dem Dorf wohnen, zum Amt gehen, wo jeder, jeden kennt. Die möchten einfach nicht das Risiko eingehen, dass es doch mal irgendwo ein Datenleak gibt und sie nicht den Job im öffentlichen Dienst bekommen, für den sie gerade studieren."

Hunderttausende sind nicht registriert

Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit etwa 400.000 Prostituierte unregistriert und damit in der völligen Illegalität arbeiten. Das Problem sieht auch Angelika Schöttler. Sie ist die Bezirksbürgermeisterin des Berliner Bezirkes Tempelhof-Schöneberg. Ihre Behörde ist zentral für die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in ganz Berlin zuständig.
Die SPD-Politikerin befürchtet, dass die Beratungs- und Hilfsprogramme nicht bei jenen ankommen, die sie eigentlich brauchen würden.
"Wir erreichen nicht das, was wir eigentlich erreichen wollten, wenn man die Gesamtzahl der in der Prostitution Tätigen betrachtet", erklärt sie. "Das Problem ist, dass die, die eigentlich adressiert sind, die Schwierigkeiten haben, das sind im Zweifelsfall auch die, die gar nicht hier ankommen und die noch ein Stück weiter rausgedrängt werden."
Angelika Schöttler posiert mit einem Ordner in der Hand für ein Foto.
Nicht den Zwang auf die Spitze treiben, warnt Angelika Schöttler.© picture alliance / dpa / Rolf Kremming
Und das sei genau das Gegenteil von dem, was das Gesetz eigentlich erreichen wollte, sagt Schöttler. Deshalb will sie, dass über den Registrierungszwang noch einmal nachgedacht wird. Und schon gar nicht will sie noch weiter gehen.
"Was wir definitiv nicht machen sollten, den Zwang auf die Spitze treiben und entweder in Richtung der Prostituierten oder in Richtung der Freier Verbote aussprechen", sagt die die Bezirksbürgermeisterin.

Warnung vor einem "Sexkaufverbot"

Was die Politikerin damit meint: Ein immer wieder in die Diskussion gebrachtes "Sexkaufverbot", bei dem sich Kunden von Prostituierten strafbar machen, die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter selbst aber straffrei bleiben. Zuletzt hatte sich eine Gruppe von 16 Bundestagsabgeordneten von Union und SPD dafür stark gemacht.
In einem Brief an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten forderten sie im Frühjahr, dass Bordelle und ähnliche Einrichtung nicht nur wie jetzt in der Coronakrise, sondern auf Dauer geschlossen bleiben.
Die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier hat den Brief initiiert. Sie setzt sich seit Jahren für das so genannte nordische Modell ein. Das meine aber nicht alleine ein Sexkaufverbot, sagt sie: "Sondern die Entkriminalisierung der Frauen und eben auch Ausstiegshilfen und darüber hinaus breite Sexualaufklärung. Also die vier Komponenten müssen schon zusammenkommen. Allein ein Sexkaufverbot bringt es nicht"

"Prostitution ist ein Beruf"

Dennoch sei das der falsche Weg, meint Angelika Schöttler die Bezirksbürgermeisterin.
"Ich bin felsenfest davon überzeugt, Prostitution gehört dazu", sagt sie. "Das heißt, wir können sie nicht abschaffen, weder durch Appelle noch Verbote. Und das heißt, wir müssen damit umgehen. Und umgehen heißt in dem Falle: Sichtbarmachen. Und dann die Probleme, die dann sichtbar sind, auch angehen. Also wir müssen wieder in die andere Richtung gehen. Prostitution ist ein Beruf. Es ist sicherlich kein Beruf wie alle anderen Berufe, hat schon ein paar andere Spielregeln. Aber über die müssen wir reden und wir müssen darüber offen reden."
Geht es allerdings um Kriminalität, wie Menschenhandel und Zwangsprostitution, wird reden nicht helfen. Dann müssen Polizei und Staatsanwaltschaft ran. Die Gesetze dazu sind da.
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