Drei Freunde, drei Künstler

Von Matthias Thibaut · 21.02.2008
Vor vier Jahren triumphierte die Tate Modern in London mit ihrer großen Surrealismus-Schau. Nun wird in den gleichen Räumen eine Art Fortsetzung gezeigt, eine Ausstellung, die ganz schlicht nur den Titel von drei Künstlernamen trägt: Marcel Duchamp, Man Ray, Francis Picabia. Die drei brachten 1915 Dada nach New York. Ihre künstlerische Freundschaft hielt fast ein halbes Jahrhundert lang.
Alle drei Künstler begannen als Maler und so beginnt die Show ganz harmlos, mit einem kompetenten impressionistischen Gemälde von Marcel Duchamps und einer Landschaft von Francis Picabia. Aber dann erfahren wir, dass Picabia, frühreifer Sohn reicher Diplomateneltern, seine angeblichen Plein air Gemälde schon als 18-Jähriger gerne nach Postkarten abmalte. In dieser Show ist nichts, was es scheint.

Duchamp und Picabia trafen sich 1911 in Paris, als sie im Salon des Independents ausstellten - Duchamp zeigte dann schon im Kubistenraum, er hatte damit begonnen, in rapider Folge die verschiedensten Stile auszuprobieren. So begann eine Freundschaft, die erst 1953 endete, als Duchamp aus New York ein Telegramm ans Sterbebett des Freundes schickte: "Auf Bald, lieber Francis. Marcel".

Die Tate versucht hier etwas Neues. Eine Ausstellung nicht über einen Kunststil, eine Künstlerbewegung, eine Epoche. Kuratorin Jennifer Mundi wollte eine Ausstellung über drei Freunde machen:

"Ich wollte den Reichtum zeigen in der Beziehung der drei Künstler, den Dialog, den sie miteinander führten über diese Themen und auch wenn die Ausstellung sehr vielseitig ist, die Künstler malten, zeichneten, machten Objekte, es gibt Ready Mades, Filme - die Besucher sollen wissen, was sie hier sehen: Den Dialog dieser Künstler, ihre Witze, ihre gegenseitigen Verweise."

1915 bringen die beiden den Dadaismus aus dem Cabaret Voltaire in Zürich nach New York und stoßen dabei auf den dritten im Bunde, Man Ray. Duchamp verkündet: "Die Kunst Europas ist am Ende. Amerika hat die Kunst der Zukunft."

"Alle drei wollten die Grenzen der Kunst erproben, mit diesen Grenzen und Konventionen spielen. Das verbindende Thema ist die Freiheit. Diese drei Künstler wollten selbst entscheiden, was für ein Leben sie leben, welche Kunst sie machten, sie wollten sich nicht künstlerischen Konventionen unterordneten, sondern diese attackieren und sich über sie lustig machten."

Geistiges Zentrum ist in dieser Hinsicht jenes Stück Sanitärporzellan, mit dem Duchamp die Kunstgeschichte veränderte: das berühmte Urinoir, das zum ersten Ready Made der Kunstgeschichte wurde. 1917 wurde die Ausstellung des Stücks in der Society of Independent Artists veweigert. In einem Pamphlet erklärte und verteidigte Duchamp sein Konzept.

"Seine Verteidigung war, dass ein Künstler jedes Objekt nehmen und zum Kunstwerk erklären kann, auch eines, das er nicht selbst gemacht hat. Was zählt, ist die Idee, die Tatsache, dass der Künstler es gewählt hat, nicht das Objekt selbst. Dies ist ein Schlüsselmoment in der Kunst, weil es den Akzent verschiebt, vom Objekt auf die Idee.

Duchamp zerlegt in dem Werk die Konventionen der Kunst - er signierte das Werk mit dem Pseudonym R.Mutt, er datierte es, er legte es mit seinen femininen Formen auf den Rücken und machte aus einem männlichen einen weibliche Gegenstand. Auch der Titel stellt die Logik auf den Kopf, es heißt Brunnen, als würde Wasser hoch- und nicht Urin hinuntergehen. Ein lustiges Stück."

Dadaismus und Surrealismus waren nicht nur angetrieben von der Überzeugung, dass die Kunst über die Darstellung der Objektwelt in neue Bereiche vorstoßen müsse, sondern auch ein neues Medium braucht. Wer diese Überzeugung nicht teilte, fand das alles kindisch und lächerlich. Duchamp, Ray Picabia hielten daran ihr Leben fest und erkundeten den Bereich, an dem die Kunst wirklich frei, also vom Medium zur Idee wird.

Man Ray, der sein Geld als Modefotograf verdiente, entdeckte, dass die Fotografie nicht der Darstellung von Gegenständlichkeit unterworfen sein muss. Er legte Gegenstände direkt auf Belichtungspapier bei seinen Rayografien oder machte verfremdende Aufnahmen von einem Rührstab: die Fotografie, nicht der fotografierte Gegenstand waren seine Kunst.

Picabia war Poet, Theoretiker, Schauspieler, Filmemacher, Freund schneller Autos, Playboy, trotz aller Suche nach neuen Medien war er immer Maler. Wenn man den roten Faden seiner Malerei, einen Stil, schwer erkennt, hat das Methode: Es wäre eine Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit gewesen. Picabia, schrieben seine Freund in einem Katalog 1950, malte die künstlerische Freiheit.

Duchamp ist das Zentrum, der Motor des Trios. Er war am meisten Künstler, auch wenn er das Schachspielen dem Künstlerdasein jahrelang vorzog. Er spielte, vielleicht als der erste, mit der Erfindung seines weiblichen künstlerischen alter egos Rose Selavy mit verschiedenen künstlerischen Identitäten, machte als erster body art und hatte schon früh entschieden, dass er nicht "wie ein Affe" Einflüssen nacheifern, andere kopieren, sich selber wiederholen wollte "Ich wollte mich keinem Geschmack beugen, nicht einmal meinem eigenen."

350 Werke, vom Notizzettel bis zum Film, vom Fundobjekt bis zu Duchamps posthum veröffentlichter Peep Show Etant Donnés werden gezeigt. Das ist weit mehr als eine Ausstellung über Dada oder Surrealismus - es ist die Geschichte eines fast fünf Jahrzehnte währenden Versuchs, mal in kindlichem Übermut, mal in philosophischem Ernst die Kunst von ihrer größten Einschränkung befreien: dem Kunstwerk.

Und bei alledem wird die Geschichte, die hier vom ersten bis zum letzten Raum erzählt wird, nicht nur von dieser kreativen Freundschaft zusammengehalten, sondern vor allem, wie Jennifer Mundi betont, von Erotik und Humor.

Service:
Die Ausstellung Duchamp, Man Ray, Picabia - The moment art changed forever ist bis zum 26. Mai 2008 in der Tate Modern in London zu sehen.