Drei feministische Frauenhörspiele

Let's talk about gender, baby

Von Jochen Meißner · 28.07.2020
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Mit den "Karlsruher Postulaten" soll erreicht werden, im Kulturbetrieb eine Parität der Geschlechter herzustellen. Wie aber steht es um Frauen im Hörspiel? Wir stellen drei Titel vor: "Keine Ahnung" von Nele Stuhler, "(save me) not" von Frauen und Fiktion sowie "Echt? theblondproject" von Gesine Danckwart.
Auf den ARD Hörspieltagen wurden am 9. November 2019 die sogenannten "Karlsruher Postulate" von einem mehrheitlich weiblich besetzen Plenum verabschiedet. In diesen Postulaten wurde unter anderem gefordert "Spitzenpositionen, Moderationen, Interview- und Gesprächsrollen sowie Sendeminuten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk" paritätisch nach Geschlechtern zu besetzen.
Ausdrücklich nicht gefordert wurde die paritätische Besetzung von Hörspielredaktionen und –dramaturgien. Der Frauenanteil unter den Festangestellten ist in den Hörspielabteilungen beim Bayerischen Rundfunk, beim Deutschlandfunk (Köln), beim Saarländischen Rundfunk und beim Westdeutschen Rundfunk bei – aus feministischer Perspektive erfreulichen – 100 Prozent.
Die nicht ganz so unparitätisch besetzten Hörspielabteilungen von Norddeutschem und Hessischem Rundfunk werden zumindest von Frauen geleitet. Außerdem forderte man in den Karlsruher Postulaten "geschlechtergerechte Sprache in allen Texten" und "paritätische Spielpläne". Außerdem wurde dem "Mythos des genialen Einzelkämpfers" - und nicht der genialen Einzelkämpferin - der Kampf angesagt und rein weiblich besetzte Teams sollten unterstützt werden.
Der Zauber des Anfangs
Ein Dreivierteljahr später kann man nachhören, was aus den Plänen geworden ist. Auf den Kulturwellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden die Hörer_innen draußen an den Geräten immer häufiger mit einer geschlechtergerechten Pause, dem sogenannten Gender-Gap, angesprochen und in den Hörspielprogrammen sind feministische Frauenhörspiele auf den Spielplänen und in den Audiotheken so präsent wie nie.

Kassandra: Fangen wir jetzt an?
Sandra: Aber wo? Wie?
Kassandra: Hm. Also wo meinst du jetzt?
Sandra: Hier. Oder nee, da.
Kassandra: Hier?
Sandra: Doch nicht?
Kassandra: Hm.
Sandra: Keine Ahnung…

Man kann anfangen wie Nele Stuhler in ihrem Debüthörspiel "Keine Ahnung". Es geht aber auch, indem man direkt in die Geschichte hineinspringt wie Gesine Danckwart und Fabian Kühlein im ihrem Stück "Echt? theblondproject":

Kurz an diese Zeit denken, in der noch keine und keiner gefärbt hat, in der wir einfach da waren, in der nicht die Scripts voll von Glücks- und Körpervorschlägen waren, in der wir unsere Zähne, Haare, Lippen, Titten, Bäuche hatten - und die sahen auch auf Fotos so aus wie unsere, echt ja, in der wir nicht eine Story waren.

Man kann aber auch mit einer Vorwarnung beginnen wie in dem dokumentarischen Hörspiel "(save me) not":

Trigger-Warnung: Im Folgenden berichten Frauen von verschiedenen Gewaltsituationen, in denen sie sich erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Wer traumatische Erfahrungen mit Sexismus oder sexualisierten Gewalthandlungen gemacht hat und sich dem gerade nicht aussetzen will: Bitte nicht weiter hören.

Eine Kampfsport-Szene aus der Performance "(save me) not"
© Karl-Bernd Karwasz
"save me (not)" von Frauen und Fiktion
Was den eher konservativen Erziehungsberechtigen ihr "Parental Advisory" ist, das heißt, die Warnung vor "expliziten" vulgo "anstößigen" Texten, ist den eher fortschrittlichen Erziehungswilligen ihre "Triggerwarnung".
Anja Kerschkewicz und Eva Kessler sind Mitglieder des insgesamt vierköpfigen Performance-Kollektivs, das schon mit seinem Namen einen auf dicke Hose macht: "Frauen und Fiktion" – dazu passt eine Triggerwarnung eher schlecht. Denn schließlich geht es in dem Stück um die Selbstermächtigung von Frauen und um emanzipatorische Gegengewalt.

In den 60er-Jahren hab' ich ein bisschen aus der Reihe getanzt. Ich war mitten in einer Demonstration und wurde festgenommen. Und die haben mich mit einer felony, so eine richtig große Straftat, ähm an mich rangehängt. Inciting to riot. Inciting ja, - I N C I T I N G - Level Completed! Du hast wehrhafte Frauen gefunden.

Frauen und Fiktion erzählen in teilweise nachgesprochenen Interviews mit Selbstverteidigungstrainerinnen und Profiboxerinnen von Mädchen und Frauen, die keine "damsels in distress" mehr sein wollen. Urbild der Jungfrau in Not sei die mythologische Figur der Andromeda gewesen, die einem Ungeheuer geopfert werden sollte.
Doch dieser Spur folgt man leider nicht weiter.
"(save me) not" wurde schon im Juli urgesendet und ist auf der Website des Deutschlandfunk Kultur und in der ARD-Audiothek abrufbar.
Schwarzweißaufnahme von Nele Stuhler, die ernst und direkt in die Kamera schaut.
© William Minke
"Keine Ahnung" von Nele Stuhler
Eine andere mythologische Figur steht Patin für eine Hauptfigur in Nele Stuhlers Hörspiel "Keine Ahnung". Es ist Kassandra, die Seherin, die alles weiß, der aber niemand glaubt. Es die Kassandra in der Interpretation von Christa Wolf, was die Autorin auch bereitwillig zugibt, ebenso wie ihre grundlegende Unwissenheit.

Vielleicht kurz zur Erklärung: Vorlesungen über das Nichtwissen heißt dieses Unternehmen oder nonepistemische Vorlesungen, also epistem-unlogische Vorlesungen sozusagen oder Keine Ahnung - Vorlesungen über die Ahnungslosigkeit. Aber keine Ahnung, ich habe den wütenden Drang, alles zu wissen. Dies ist mir erst in den letzten Jahren merkwürdig geworden. Ich zitiere hier übrigens die ganze Zeit die Poetikvorlesung von Christa Wolf…

Die Komik der Dialoge zwischen Sandra und Kassandra wird noch durch eine weitere Stimme ergänzt: die von Sophie Rois. Als interaktiver Museumsguide befreit sie sich aus ihrem elektronischen Determinismus und wird zu einer eigenständigen Figur.

DIE STIMME: Ich habe Angst, von Sandra und Kassandra aus der Urhorde ausgeschlossen zu werden, wenn sie merken könnten, dass ich nicht nur eine körperlose Stimme bin, sondern Stuhlgang habe. Warum spreche ich noch. Ich bin eine neutrale, körperlose und allwissende Stimme. Ich bin Kassandra ihre Mutter.
Kassandra: Hat sie das gerade wirklich gesagt?
DIE STIMME: Warum spreche ich immer noch? Und so schafft sich der Mensch Strukturen, um die Welt zu sortieren. Indem er verdrängt.

Entwaffnende Komik
Die Frage "Wer spricht?", die sich im Hörspiel immer stellt, wird hier alles andere als verdrängt: Es sind, wie schon im Stück "(save me) not" ausschließlich Frauen.

Ja, wenn man nicht will, dass für einen gesprochen wird, dann muss man eben selber sprechen.

Ob als vermeintlich körperlose Stimme oder als Figuren im Dialog, die sich gegenseitig ihrer Ahnungslosigkeit versichern - Nele Stuhlers Figuren, gesprochen von Sarah Gailer, Paula Thielecke, Nele Stuhler und Sophie Rois, bewegen sich souverän durch Strukturen, die sie zwar nicht gemacht haben, die aber für sie vorgesehen sind. Dabei entwickeln sie auf mehreren Ebenen eine entwaffnende Komik.
"Keine Ahnung" von Nele Stuhler wird am wird 6. August um 22.03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur urgesendet.
Das Bild zeigt eine blonde Frau, deren Gesicht gänzlich durch ihr Haar verdeckt wird
Blond© EyeEM / @MitchShark
"Echt? theblondproject" von Gesine Danckwart
Diversen Determinismen und strukturellen Bedingungen sind auch die Figuren in Gesine Danckwarts Hörspiel "Echt? theblondproject" ausgesetzt. Doch hier sind es nicht die Strukturen des Wissens, sondern gesellschaftliche Formationen, die den Frauen zu schaffen machen.
Wenig verwunderlich dominieren auch dieses Hörspiel die Frauen. Lediglich ein paar Männerstimmen aus der Liedertafel Castafiore dürfen ein paar Einwürfe machen. Sonst hört man neben der Autorin Gesine Danckwart nur noch Judith Rosmair und Anne Ratte-Polle.

Okay. Zurück zu unserem eigenen Gestern.
Wo? Wie?
Komm.
Wir legen uns zusammen ins Bett, wir liegen gemeinsam im Bett, und das tun wir als Zitat.

Gesine Danckwarts Hörspiel "Echt? theblondproject" und Nele Stuhlers "Keine Ahnung" teilen eine Fragestellung, nämlich die nach der Selbstverortung in der Welt. Und mit Welt ist hier die Welt der Diskurse gemeint, in der man beziehungsweise frau nur als Objekt vorkommt. Ob als Agent, wie die Stimme eines Museumsguides, oder als Zitat aus einem vorgefertigten Skript.

Jetzt. Wir sind ein Chor, wir sind eine Gruppe, wir sind wie Sie und ich. Wir laden Sie ein, kommen Sie, wir Flanieren eine Runde durchs Blond und was das mit allem zu tun hat. Welche Farbe tragen Sie? Wie ist ihre Haarbio?

Anpassung oder Unterwerfung?
Als Kollektivsubjekt Frau unterwerfen sich die Figuren bei Gesine Danckwart mehr oder weniger widerständig den Zurichtungen des Arbeitsmarkts - oder die Frauen erschöpfen sich in einer tribalistischen Abgrenzung von Konkurrentinnen.
Thematisch schließt es an ihre Hörspiele aus der Arbeitswelt "Täglich Brot" und "Heißes Wasser für alle" aus den Jahren 2002 und 2003 an – auch wenn hier der Fokus deutlicher auf geschlechtsspezifischen Diskriminierungen liegt.

Da hinten eine Frau, mindestens. Mittelalt, ja sorry, blond. Also von außen. Von innen nicht. Bitte was? Von innen schaut die Frau, oder die Frauen, aus ihrem Kopf, das Denken vermutet sie über ihrem Schädel hinten links oben.

Was Gesine Danckwarts Stück auszeichnet, ist die Selbstironie gegenüber den "Arbeiterinnen am eigenen Ich", die ihr Stück bevölkern. Was da noch echt und was Rolle, was Anpassung oder Unterwerfung ist, ist eine Frage der Haarfarbe. Die Norm wird von Heidi "Klummachiavelli" gesetzt.
"Echt? theblondproject" wurde am 17.07.2020 im rbb urgesendet und ist auf der Website des rbb und in der ARD-Audiothek abrufbar
Drei Stücke ohne Manifest
Drei Hörspiele. Drei Frauenhörspiele. Drei Frauenhörspiele, die man feministisch nennen könnte. Drei feministische Frauenhörspiele also, in denen männliche Stimmen bestenfalls Stichwortgeber sein dürfen. Mehr hätten sich die Initiatorinnen der Karlsruher Postulate im ersten Sommer danach kaum wünschen können.
Allerdings hätte es eben dieses von identitätspolitischen Feinderklärungen durchzogene Manifest dazu gar nicht gebraucht. Sämtliche hier vorgestellten Produktionen waren nämlich schon längst projektiert und in den Produktionsprozess eingespeist. Muss man halt wissen.

Wenn alle alles wüssten, dann wüssten ja alle alles. Und dann wäre ja alles gut.

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