Drehbuchautor Ben Hecht

Der Shakespeare von Hollywood

Ben Hecht 1944
Tausendsassa Ben Hecht kämpfte von 1939 bis Kriegsende auf eigene Faust mit Anzeigen und Theaterstücken gegen den Massenmord an Juden in Nazideutschland © picture-alliance / ©Bianchetti/Leemage
Von Marli Feldvoß  · 28.02.2019
Ben Hecht war nicht nur ein Drehbuchautor, der zwei Oscars erhielt, sondern auch Schriftsteller, Stückeschreiber und Sensationsreporter. Auch wenn er in Hollywood arbeitete, verachtete er die Traumfabrik. Vor 125 Jahren wurde Hecht in New York geboren.
"What I want is about 1.200 words. Lots of atmosphere with the cold grey dawn and a voice in the death house singing ‘Swing low sweet chariot’ and the body twisting slowly, slowly in the wind. Well, I don’t have to tell you."

1200 Wörter verlangt der Herausgeber von seinem Starreporter über die nächste Hinrichtung. Ein Stimmungsbild mit dem toten Corpus im Morgengrauen hat er auch gleich parat. Ben Hecht hat die dritte und letzte Verfilmung seines Theaterstücks "The Front Page" durch Billy Wilder 1974 nicht mehr erlebt. Aber die Mischung aus Zynismus und Rührstück ist noch die gleiche wie anno 1928 am Broadway. Ben Hecht war nicht der einzige Reporter, den es via Theater nach Hollywood zog, wo gerade der Tonfilm erfunden wurde. Er war ein hart gesottener Bursche, der 15 Jahre lang im Großstadtdschungel Chicagos unterwegs war - in Irrenhäusern, Todeszellen, Slums. Das war der Fundus, aus dem der Autor sein Leben lang schöpfte, der ihm den Weg zum gefragtesten und schnellsten Drehbuchautoren Hollywoods ebnete.

Er rettete "Vom Winde verweht"

Kein anderer als Ben Hecht rettete den Jahrhundertfilm "Vom Winde verweht" in höchster Not, indem er die Dialoge umschrieb. Es assistierten Produzent David O. Selznick und Regisseur Victor Fleming:
"Um Zeit zu sparen, beschlossen Victor und David, mir die Rollen vorzuspielen. David übernahm die Rolle von Scarlett O‘Hara. Das begann jeden Morgen um sieben Uhr und dauerte bis zwei Uhr früh."
Der am 28. Februar 1894 in New York City in eine russisch-jüdische Großfamilie hineingeborene Ben Hecht war ein Tausendsassa. Mit zehn Jahren trat er als Geigensolist im Konzertsaal auf, die Schulferien verbachte er als Trapezkünstler im Zirkus. Dass der 16-Jährige über Nacht bei einer Chicagoer Zeitung unterkam, war reiner Zufall.
"Ich war mir nichts, dir nichts in eine Welt geworfen, die mir so gut bekam wie Wasser einem Fisch. Das Einzige, was ich zu tun hatte, war loszugehen, mir das Leben anzugucken, es zu verschlingen, es zu genießen und darüber zu berichten."
Im Dezember 1918 schickte die Chicago Daily News ihren Sensationsreporter als Auslandskorrespondenten nach Berlin, wo sich Hecht zu einem politisch denkenden Menschen entwickelte. Aber zu Hause glaubte man ihm die unerhörten Geschichten von der deutschen Revolution nicht. "Das deutsche Lechzen nach dem Peitschenknall der Autorität", wie er es nannte, die allseits erfahrene Untertänigkeit wurde für Hecht die Quintessenz des deutschen Wesens. Mehr und mehr vervollkommnete er seinen bildhaften, vom deutschen Expressionismus geprägten Schreibstil, der es mit der Wahrheit nie so genau nahm.

Verachtung für die Traumfabrik

Der "Shakespeare von Hollywood" hinterließ 60 Filme und war noch an unzähligen Produktionen beteiligt, ohne genannt zu werden, führte auch Regie. Geschätzt wurde er von Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Ernst Lubitsch, Josef von Sternberg, William Wyler, vor allem Howard Hawks. In den 30er-Jahren gehörte Hecht zu den Erfindern des Gangsterfilms und der rasanten "Screwball-Comedy". In der Liebeskomödie "Design for Living" von Ernst Lubitsch balzen zwei Liebhaber um die Wette und schlagen sich gesellschaftskritischen Tiefsinn um die Ohren:
"Bloß nicht mit Delikatesse, Mr. Plunkett. Einigen wir uns doch auf brutale Offenheit, alle beide. Ich glaube, die größte Gefahr für unsere Zivilisation und den Fortschritt in der Welt ist, dass man sich nur noch mit rosa Schleifchen um die Zunge unterhält. Delikatesse ist, wie wir aus der Philosophie wissen, eine Bananenschale unter dem Fuß der Wahrheit."
Doch Hechts Verhältnis zu seinem "Marzipan-Königreich" blieb immer gespalten. Er verachtete die Traumfabrik, in der nur das Triviale gefördert und hoch bezahlt wurde. Deshalb fuhr er nur zweimal im Jahr nach Hollywood, um leichtes Geld zu verdienen, seine Romane schrieb er in New York. Spät entdeckte er das Judentum, wurde Zionist und kämpfte von 1939 bis Kriegsende auf eigene Faust mit Anzeigen und Theaterstücken gegen den Massenmord an Juden in Nazideutschland.
"Ich hatte an das Wort als historische Kraft geglaubt – die Geschichte hat mich eines Schlechteren belehrt. Mit unseren Theaterstücken haben wir Millionen Menschen zum Weinen gebracht, aber die Verbrechen an Millionen Menschen haben wir nicht verhindert."
Ben Hecht hat die schwierigsten Zeiten des 20. Jahrhunderts durchlebt und ist sich immer treu geblieben. Ein Zyniker und erklärter Individualist, dessen Helden, wie er selbst, alles nur keine Normalbürger waren. Er arbeitete bis zum letzten Atemzug und starb 1964 70-jährig in New York an Herzversagen.
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