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Verfolgt, vertrieben, verarmt
Die Katastrophe der Rohingya

Mehr als 600.000 Menschen der muslimischen Minderheit sind in den vergangenen drei Monaten geflohen - aus Myanmar ins benachbarte Bangladesch. Nun haben sich beide Länder auf eine Rückkehr der Rohingya-Flüchtlinge verständigt. Eine Absichtserklärung mit ungeklärten Details.

Von Silke Diettrich und Lena Bodewein | 24.11.2017
    Rohingya Kinder im Flüchtlingslager Kutupalong schauen durch einen Zaun
    Kinder im Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch - hier leben 827.000 Rohingya (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Sie sind gerade einmal vier Tage auf der Welt, geboren im Matsch: "Ich habe Zwillinge bekommen" sagt Rokeya Begum. Sie wiegt sanft einen nackten Zwilling, der in ihren Händen zu versinken scheint. Der andere liegt in zerlumpten Decken neben ihr. Nur ihre Schwiegermutter habe ihr bei der Geburt geholfen, dabei war Rokeya schon zuvor völlig erschöpft, weil sie tagelang hochschwanger durch Wälder gelaufen sei, aus Angst vor den Soldaten in Myanmar: "Meinen Vater haben sie umgebracht, die Frauen haben sie belästigt und dann war überall Feuer."
    Rokeya ist eine von den hunderttausenden Flüchtlingen, die in Bangladesch gestrandet sind. Rund die Hälfte davon seien Kinder, sagt das Kinderhilfswerk UNICEF. Einige sind geflohen, bevor das Militär in ihr Dorf kam. Aber viele, so wie die Hasina, erzählen Schreckliches aus Myanmar:"Von meinem Versteck aus habe ich gesehen, wie mein Sohn versucht hat, zu fliehen, aber es waren so viele Soldaten, sie haben ihn nieder gestoßen und dann ins Feuer geschmissen."
    Vier Kinder habe sie, erzählt Hasina. Einer ihrer Söhne ist nun tot, mit einem anderen konnte sie nach Bangladesch fliehen. Wo ihre zwei anderen Kinder sind und auch ihr Ehemann, weiß sie nicht. Bislang bleibt kaum Zeit zum Trauern, die Flüchtlinge in Bangladesch organisieren rund um die Uhr ihr Überleben. Hilfsorganisationen, Parteien, Firmen, sie alle haben Spenden gesammelt.
    LKW und Kleinbusse drängeln durch die verstopfte Straße; die Flüchtlinge versuchen, auf die Fahrzeuge zu springen, um irgendetwas zu ergattern: Kleidung, Essen, sauberes Wasser. Mosadekka ist zehn Jahre und trägt einen schweren Sack Reis in ihren Händen. Sie traut sich kaum ihn abzusetzen, während sie erzählt. Zu Hause, in Myanmar, hätten sie ein Haus gehabt, sie und ihre sechs Geschwister, sieben Kühe, vier Ziegen und Hühner. Bis die Soldaten kamen, sie hätten eine ihrer Schwestern erschossen:"Ich hatte große Angst, sie haben Menschen zerschnitten, ich bin mit meinen Vater weggerannt."
    "Ich habe dann laut geschrien"
    Im Dreck, unter einer Plastikplane, die über Bambusstöcke gestülpt ist, sitzt Nur Jahan. Hier lebt sie seit einigen Tagen mit ihren vier Töchtern: "Ich kenne hier nichts und niemanden, ich bin nur hierhergekommen, um das Leben meiner Töchter und mein eigenes zu retten. Ich habe alles zurück lassen müssen."
    In ihrem Dorf im Nordwesten von Myanmar habe sie ein kleines Häuschen gehabt. Ihre Kinder hätten sich um sie gekümmert, seit ihr Mann vor acht Jahren gestorben ist. Doch dann wurde ihr Leben von heute auf morgen zerstört: "Wir saßen mit mehreren Frauen zusammen. Dann kamen Soldaten. Sie haben mich an meinen Schultern gepackt und auf mich eingeschlagen. Sie haben meine Schwiegertochter weggeschleppt und sie vergewaltigt, ich habe dann laut geschrien."
    Das ganze Dorf sei auf einmal voll mit buddhistischen Soldaten gewesen, erzählt die 60-jährige Muslimin aufgeregt. Dann wird ihre Stimme auf einmal ganz leise: "Die Soldaten haben auch mich vergewaltigt. Sie haben mich auf den Boden geworfen und geschlagen und vergewaltigt."
    Drei Nächte und drei Tage seien die Soldaten in ihrem Dorf geblieben. Am Ende hätten sie ihr alles weggenommen: Jahans Kühe, die Hühner, den Reis. Ihr Haus hätten sie zerstört. Dann sei sie mit ihren Töchtern weggelaufen. Niemand kann diese Geschichten nachprüfen. Die Flüchtlinge sagen, Soldaten hätten die Gräueltaten begangen. Die Armee in Myanmar behauptet, muslimische Rebellen würden die Dörfer der Rohingya anzünden und die Menschen so dazu zwingen, nach Bangladesch zu fliehen.
    Rohingya-Flüchtlinge strecken in einem Lager verzweifelt die Hände nach Essen aus.
    Rohingya-Flüchtlinge in einem Lager der Grenze zu Myanmar (AFP)
    Drei Monate ist es jetzt her, dass die ARSA dem Militär von Myanmar den perfekten Anlass geliefert hat, zuzuschlagen. Die sogenannte "Rettungsarmee der Rohingya in Rakhine", also militante Rebellen, hatten 24 Polizeistationen überfallen - und seitdem haben die Armee, die Polizei, die Sicherheitskräfte das getan, was die Vereinten Nationen als ethnische Säuberung bezeichnen: "Myanmar hat Menschenrechtsexperten den Zugang verweigert. Daher kann die Situation nicht völlig aufgeklärt werden, aber es sieht aus wie das Musterbeispiel einer ethnischen Säuberung."
    Kampf um Anerkennung
    Mehr als 600.000 Menschen sind seitdem vor Gewalt und Verfolgung geflohen, mehr als die Hälfte der Rohingya, die in Myanmar lebten! Viele Familien waren seit Generationen im ärmsten Bundesstaat Rakhine im Nordwesten des Landes ansässig; einst brachten die britischen Kolonialherren sie als billige Arbeitskräfte ins Land. Seitdem sind sie da und kämpfen um Anerkennung. Sie haben keine Staatsangehörigkeit, keine Rechte und sind darum permanenter Diskriminierung ausgesetzt. Andere Herkunft, andere Religion - für die buddhistische Mehrheit gehören die Rohingya bis heute nicht zu Myanmar. Sie nennen sie auch nur Bengali, um klarzumachen, dass die Muslime illegale Einwanderer aus Bangladesch seien.
    Ein buddhistisches Kloster in Sittwe im Unruhestaat Rakhine, etwa hundert Kilometer von dort entfernt, wo muslimische Dörfer brennen. Näher darf das ARD-Team nicht ans Krisengebiet heran. Der Abt trägt Meditationstexte vor, kleine Novizen spielen Verstecken, auf dem Hof Hühner und Hunde und: viele buddhistische Familien, die ebenfalls vor der Gewalt geflohen sind. Sie wühlen sich durch Kleiderspenden, Kinder schlafen, viele haben Angst. Denn der Abt sagt:"Die Muslime sind aggressiv, sie wollen den ganzen Rakhine-Staat für sich, sie wollen ganz Myanmar besetzen."
    Und diese Aussage ist exemplarisch für das, was die buddhistische Mehrheit in Myanmar glaubt. Aber wenn die Buddhisten die Muslime fürchten, warum sind dann schon so viele Rohingya geflohen? "Die Muslime inszenieren sich als Opfer, die internationalen Medien stellen alles falsch dar. Unser Militär handelt korrekt", meint der Abt.
    Das Problem ist: Myanmar lässt keine unabhängigen Beobachter in das Krisengebiet. Es gab zwar einige geführte Touren für ausgewählte Journalisten im Krisengebiet. Die trafen dann auf Buddhisten, die von ihrer Angst vor den Rohingya-Extremisten berichten. Aber dann sah der BBC-Reporter Jonathan Head bei einer dieser Touren Angehörige der buddhistischen Bevölkerung, die gerade Häuser angezündet hatten, mit Hilfe der Polizei, wie sie sagten.
    Seitdem hat es keine Touren mehr gegeben. Denn es gefährdet die vom Militär verbreitete Version, dass die Muslime ihre eigenen Dörfer anstecken, um die Sicherheitskräfte zu behindern und sich als Opfer darzustellen. Wieso sich Hass und Gewalt gerade jetzt derartig Bahn brechen? Die unter der Hand geäußerte Erklärung kritischer burmesischer Journalisten lautet: Das Militär habe die Gewalt provoziert. Es benutze die Krise, um Aung San Suu Kyis Partei zu schwächen. Machtpolitische Spielchen auf dem Rücken der Ohnmächtigen.
    Die meisten Rohingya kamen nie aus den Lagern heraus
    Viele Flüchtlinge in Bangladesch leben noch im Freien, provisorische Zelte haben nach einem starken Regen in der Nacht nicht gehalten und erneut 300 Flüchtlinge obdachlos gemacht, sagt Habib Ahmed: "Wir sind mitten in der Nacht den Hügel rauf, einige hatten einen Schirm, andere saßen dann einfach so im Regen. Manche konnten noch etwas retten, aber vieles ist einfach davon geschwommen."
    Die Regierung in Bangladesch setzt Soldaten und Polizisten ein, um die Hilfe zu organisieren. Hunderte Hektar Wald werden nun gerodet, um ein Flüchtlingscamp auszubauen, in dem mehr als 800.000 Rohingya vorübergehend leben sollen. Aber schon seit den 1970er Jahren fliehen Rohingya nach Bangladesch, schon vor der derzeitigen Krise sollen um die 300.000 hier gelebt haben, die meisten kamen nie aus den Lagern heraus. Viele von ihnen leben hier illegal, sie wurden nie offiziell als Flüchtlinge anerkannt.
    Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hält am 19. September 2017 in der Hauptstadt Naypyidaw eine Rede zur Lage der Rohingya-Minderheit.
    Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hält am 19. September 2017 in der Hauptstadt eine Rede zur Lage der Rohingya-Minderheit (AFP / Ye Aung Thu)
    Denn niemand in Bangladesch möchte, dass die Rohingya dauerhaft im Land bleiben, sagt auch Ali Hossein, er ist der Regierungsbeauftragte der Provinz Cox’s Bazar. Das ist die Region, die direkt an der Grenze zu Myanmar liegt:"Die Rohingya sind eindeutig Bürger von Myanmar, sie haben Häuser dort, sie leben seit Jahrhunderten dort. Das ist ihre Heimat. Internationale Organisationen sollten uns helfen, damit wir sie dabei unterstützen, wieder zurück in ihre Heimat zu gehen."
    Bangladesch ist nur halb so groß wie Deutschland, hat aber doppelt so viele Einwohner. Es ist das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Die Premierministerin, Sheikh Hasina, hatte schon damit gedroht, die Rohingya auf eine unbewohnbare Insel auszusiedeln. So etwas macht weltweit Schlagzeilen und vermutlich ist es nur ein Hilferuf, um die Weltgemeinschaft auf die Probleme mit den Flüchtlingen in Bangladesch aufmerksam zu machen. Hamidul Chowdury aber findet die Idee gut. Er ist Schuldirektor und organisiert Demonstrationen, damit die Rohingya wieder nach Myanmar gehen: "Wenn die Europäer alles Mögliche anstellen, damit keine Flüchtlinge in ihre Länder kommen, warum verstehen sie nicht, dass wir auch keine wollen. Wenn es so viele sind, ist es schwierig, sie alle zu kontrollieren, also schlägt unsere Regierungschefin vor, dass sie auf eine Insel gehen, das ist doch nur richtig so."
    Ruf nach der Weltgemeinschaft
    Natürlich solle den Muslimen aus Myanmar geholfen werden, aber warum in Bangladesch, fragt Hamidul Chowdury vorwurfsvoll. "Wir sagen, dass die Rohingya zurückgehen sollen und Myanmar soll sie anerkennen, wir sagen der Welt klar, die Rohingya leiden, aber wir sagen auch, wenn wir sie hier alle aufnehmen, leiden auch die Menschen in Bangladesch darunter."
    So viele Flüchtlinge wie in den letzten Wochen sind noch nie hierhergekommen. Und das werde auch nicht mehr lange gut gehen, sagt der Parlamentsabgeordnete Mayeen Badal, der mit Parteikollegen Essen und Kleidung in den neuen Camps verteilt: "Wie lange kann Bangladesch noch diese Hilfsbereitschaft zeigen? Wir können das nicht mehr leisten. Wir brauchen Sicherheitszonen in Myanmar, die Vereinten Nationen sollen sie dort errichten, sonst sind diese Menschen nicht mehr zu retten."
    Gibt es ein Zurück? Es mag vielleicht jetzt ein Abkommen über die Rückkehr geben - aber gibt es ein Zurück? In vielen Gebieten des Unruhestaates haben buddhistische Bauern und auch Angehörige der Sicherheitskräfte die Felder der Rohingya abgeerntet und ihr Vieh übernommen. Die Ernten sind verloren, die Dörfer abgefackelt, die Botschaft der Bevölkerung in Myanmar ist klar: Ihr habt keinen Platz hier. Dabei sagte der UN-Generalsekretär Antonio Guterres noch beim ASEAN-Gipfel Mitte November, Bemühungen für "sichere, würdevolle, freiwillige und unterstützte Rückkehr" der Rohingya seien "essenziell". "Ich kann meine Sorge nicht verbergen über die dramatische Flucht Hunderttausender von Myanmar nach Bangladesch. Das ist eine besorgniserregend Eskalation dieser langwierigen Tragödie und eine potenzielle Quelle von Instabilität und Radikalisierung in dieser Region."
    Nicht mehr als eine Absichtserklärung
    Und nach einem Treffen mit Aung San Suu Kyi äußerte sich kürzlich US-Außenminister Rex Tillerson und versuchte, vermittelnde, aber deutliche Worte zu finden: "Wir unterstützen das Engagement der Regierung, um die notwendigen Bedingungen für alle Flüchtlinge zu schaffen, sicher und freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren. Wir sind darin ermutigt durch den Austausch zwischen den Regierungen von Myanmar und Bangladesch und fordern beide Seiten auf, diese Zusammenarbeit fortzusetzen, um den Schutz und die Obhut derer sicherzustellen, die heimkehren wollen."
    Worte, die vielleicht etwas bewirkt haben. Vielleicht war es aber auch die Drohung von weiteren Strafmaßnahmen der USA - Sanktionen, wirtschaftliche Maßnahmen gegen einzelne Angehörige des Militärs, Reiseverbote. Vielleicht war es auch der Besuch des Papstes in der kommenden Woche, der die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Rohingya lenken wird - auf jeden Fall sind Myanmar und Bangladesch nach langenzähen Verhandlungen, nach vielen gegenseitigen Schuldzuweisungen zu einem Abkommen gelangt, nicht mehr als eine Absichtserklärung: Die Flüchtlinge dürfen zurückkehren - nach den Richtlinien eines ähnlichen Abkommens, das die beiden Länder schon 1993 nach ähnlichen Unruhen geschlossen hatten. Denn, wie die De-Facto-Regierungschefin, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, nach wochenlangem Schweigen endlich äußerte: "Wir verdammen jegliche Menschenrechtsverletzungen und unrechtmäßige Gewalt. Wir sind der Wiederherstellung von Frieden, Stabilität und Recht und Ordnung im ganzen Staat verpflichtet."
    UNO-Generalsekretär Antonio Guterres spricht auf einer Pressekonferenz.
    UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sieht bei der Situation der Rohingya eine besorgniserregend Eskalation dieser langwierigen Tragödie und eine potenzielle Quelle von Instabilität und Radikalisierung in dieser Region (pa/dpa/Pacific Press via ZUMA Wire/Lohr-Jones)
    In derselben Rede wunderte sie sich alles Ernstes, warum diese ganzen Menschen denn fliehen? Das sollte doch mal untersucht werden. Aber sie seien willkommen zurückzukehren - wenn sie irgendeinen, von einer Regierung beglaubigten Identitätsnachweis erbringen. Das stellt schon mal eine Hürde dar: Wie lässt sich das beweisen, wenn die Rohingya noch nie eine Staatsangehörigkeit hatten? Und so wie es aussieht, werden sie auch keine bekommen. Viele Fragen sind noch offen: Wo sollen sie hin? Wie viele von ihnen? Wie soll ihre Sicherheit garantiert werden, wenn in zwei Monaten die ersten zurückkommen sollen? Die Rede ist von Sicherheitszonen - das bedeutet Lager wie jene, die es bereits in Sittwe in Rakhine gibt - wo mehr als hunderttausend Rohingya zu ihrer eigenen Sicherheit eingepfercht leben, auf unfruchtbarem Boden, den sie nicht verlassen dürfen.
    "Diskriminierung fördert Radikalisierung "
    Myanmar sieht wenig Grund, sein Verhalten zu ändern. Die Muslime, die angeblich die Dörfer anzündeten, das seien Terroristen, betont das Militär. Und mit denen verhandele man nicht. Die würden bekämpft. Was die Vorwürfe von Massenvergewaltigung und tausendfachem Mord an den Rohingya betrifft, sieht sich die burmesische Armee unter falschem Verdacht: Eine ausführliche Untersuchung angeblicher Gräueltaten habe die Unschuld der beteiligten Soldaten ergeben. Überhaupt scheint Myanmar in der Selbstdarstellung komplett schuldlos zu sein. Nach den klaren Worten des UN-Generalsekretärs beschwerte sich der burmesische Vertreter bei den Vereinten Nationen: "Hier wird ein einzelner Mitgliedsstaat an den Pranger gestellt aufgrund von Anschuldigungen und gefälschten Beweisen. Wir lehnen das entschieden ab; das hilft nicht bei der Lösung der Probleme, sondern führt zu weiterer Polarisierung und Eskalation der Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften."
    Dementsprechend haben die ASEAN-Staaten, also die Vereinigung südostasiatischer Länder, haben bei ihrem Treffen in Manila das Thema ausgespart. So wurde das ASEAN-Mitglied Myanmar nicht bloßgestellt.
    Aber es muss sich etwas ändern an der Lage der Rohingya. Diskriminierung fördert Radikalisierung, davor hatte auch schon Kofi Annan gewarnt. Im August, bevor die Krise ausbrach, hatte eine Kommission unter Vorsitz des ehemaligen UN-Generalsekretärs notwendige Schritte zur Verbesserung der Situation veröffentlicht:
    "Wir glauben, dass das Recht auf Staatsangehörigkeit, Freizügigkeit und der Nachweis von Identität und Besitz extrem wichtig sind. Es liegt in der Verantwortung der Regierung, der Anführer und der Menschen des Rakhine-Staates und seiner Regierung, diese Schritte umzusetzen. Sie fragen, was geschieht, wenn sie nicht umgesetzt werden? Ich hoffe, wir müssen das nicht erleben, denn es bedeutet, dass die Situation noch schlimmer wird."
    2000 Patienten auf 1000 Betten
    Wenn diese Bedingungen nach wie vor nicht erfüllt werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Kreislauf von Gewalt und Flucht wiederholt, Rückkehr oder nicht.
    Für die schwerverletzten Flüchtlinge geht es erst einmal darum, zu überleben. Sie wurden auf mehrere Krankenhäuser im Süden von Bangladesch verteilt: "Ich kann nichts sehen, ich habe meine Augen verloren." Yusuf Nobi stöhnt. Er liegt auf dem verdreckten Flur im staatlichen Krankenhaus in Chittagong, im Süden von Bangladesch. Er hört die vielen anderen Patienten, die um ihn herum auf Matten und Strohdecken liegen. Dicht an dicht.
    Yusuf Nobi hat große Schmerzen. Seine Beine sind mit Verbänden umwickelt. Sie enden an der Wade. Der junge Landwirt hat beide Füße verloren: "Es war eine Mine. Nach der Explosion unter mir, hingen die Muskeln aus meinen Beinen heraus."
    Yusuf Nobi ist aus seinem Dorf geflohen, weil es überall gebrannt habe, erzählt er mit zittriger Stimme. Tagelang sei er unterwegs gewesen, bis er zur Grenze kam. Er konnte Bangladesch schon sehen können: "Ich habe einen ganz normalen Schritt gemacht, dann ist etwas unter mir explodiert."
    Menschen der muslimischen Minderheit Rohingya steigen aus einem Boot aus.
    600.000 Menschen der muslimischen Minderheit sind in den vergangenen drei Monaten geflohen - aus Myanmar ins benachbarte Bangladesch (dpa)
    Das Krankenhaus ist hoffnungslos überfüllt. Mehr als 2000 Patienten liegen im Medical College Hospital, obwohl es nur für rund 1000 Menschen Betten gibt. Auf den Treppenstufen sind Blutlachen, der Geruch ist beißend: eine Mischung aus Desinfektionsmitteln, Urin und Schweiß. Einige Matten neben Yusuf liegt Nowbab Sharif, er reckt seine Unterarme in die Höhe und spreizt seine Finger. Denn seine Haut dort ist völlig zerfetzt:
    "Die Armee hat unser Dorf umstellt. Dann haben sie eine Ausgangssperre ausgerufen, von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Sie haben dann wohl Landminen um unser Dorf gelegt, aber das wussten wir ja vorher nicht."
    Am Morgen sei er mit zwei Freunden am Wegesrand rund um das Dorf gelaufen: "Plötzlich ist etwas unter mir explodiert und ich wurde stark verletzt. Meine Freunde waren auch leicht verletzt, aber bei mir war es ziemlich schlimm. Meine Nachbarn haben mich dann nach dann Bangladesch gebracht."
    "Nicht einmal mehr Tränen, die fließen könnten"
    Es gibt ein internationales Übereinkommen das verbietet, Tretminen zu verwenden, mit ihnen zu handeln oder sie zu lagern. Doch Myanmar hat diesen Vertrag nicht unterzeichnet.
    Yusuf Nobis Frau streichelt dem blinden Bauern sanft über den Kopf. Die drei Kinder sind bei Bekannten in einem Flüchtlingscamp untergebracht. Sie wissen nicht, wie es für sie weitergehen soll. Nobi wird wohl nie mehr arbeiten können, ohne Füße, ohne Augenlicht, die Finger seiner rechten Hand sind zerfetzt. Nicht nur die Opfer erzählen von Minen, auch die Regierung von Bangladesch hat gegen die Landminen so nah an der Grenze Protest eingelegt. Dafür gebe es Beweisfotos. In Myanmar hieß es in Militärkreisen, Landminen seien in den 90er Jahren ausgelegt worden. Seitdem versuche das Militär allerdings, die Minen wieder zu entfernen und habe keine neuen platziert.
    In den Krankenhäusern in Bangladesch liegen auch Menschen mit Schusswunden. Tasmin Ara ist mit ihrem Vater hier, sie ist zehn Jahre alt und kann sich an die Flucht aus Myanmar kaum erinnern, sie war bewusstlos: "Ich habe im ganzen Gesicht Schmerzen, hinter dem Auge und auf meiner Nase."
    Dort klafft ein Loch und blauen Fäden hängen heraus. Ihr linkes Auge hängt herunter. Sie könne nichts mehr sehen durch dieses Auge, sagt sie leise: "Ich habe draußen gespielt, es war Tag, da hat mich die Kugel am Auge getroffen. Keine Ahnung, wer geschossen hat, die Leute sagen, es sei jemand in Uniform gewesen."
    Danach weiß sie nicht mehr, was passiert ist. Ihr Vater packt sie sanft an ihrem Arm. Er habe sie bis nach Bangladesch getragen, sie habe die ganze Zeit aus ihrem Auge geblutet. Jetzt rollt eine Träne über Tasmins Wange, sie kann mit ihrem blinden Auge nicht mehr zwinkern, es steht die ganze Zeit offen.
    Viele der Kinder in den Camps seien unterernährt, sagt die Weltgesundheitsorganisation. Helfer geben Impfungen gegen Cholera. Die Flüchtlinge hocken über Stunden in langen Reihen, um sauberes Wasser, Reis oder Linsen zu bekommen. Andere kauern am Straßenrand und hoffen, dass die Menschen in den vorbeifahrenden Autos ihnen Geld zustecken. Dennoch sieht die Zwillingsmutter Rokeya im Moment nur hier in Bangladesch eine Zukunft für ihre beiden Neugeborenen, auch wenn sie erst einmal nur unter einer Zeltplane mit ihnen schlafen kann. Hasina, deren Sohn die Soldaten in Myanmar verbrannt haben sollen, will auch erst einmal hier bleiben, was sonst bleibe ihr übrig: "Wir haben hier nichts, sagt sie, wir haben nicht einmal mehr Tränen, die fließen könnten.