Dramatischer Betriebsausflug – Corona-Tagebuch (VI)

Der Kniff in den Oberschenkel fehlt

03:10 Minuten
Gesichtsmaske und Handschuhe hängen über der Wäscheleine.
Der Alltag ist neu, vieles fehlt. © Eyeem/ Selu Gallego
Von Laura Naumann · 25.04.2020
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Unter ihrer Federbettdecke lässt sich zwar aufnehmen, aber es gibt es in der Coronakrise viele Dinge die unsere Kolumnistin vermisst. Vor allem das Persönliche lässt sich trotz aller digitaler Medien nicht ersetzen.
Mittlerweile sitze ich die sechste Woche in Folge in meiner Wohnung unter meiner Bettdecke und spreche diese Kolumne in mein Handy. Im Schneidersitz, leicht nach vorn gebeugt, sodass ich die Schrift auf meinem Computer erkennen kann, mein Kopf ist die Befestigung des Federbett-Tonstudios, vier bis fünf Minuten hält es, dann droht Einsturz und Erstickungsgefahr.
Ich will mich echt nicht beklagen, denn ich hab ja Arbeit und eine Federbettdecke über dem Kopf und das einzige Kind, was ich zu betreuen hab, bin ich selbst. Aber ich muss sagen: Ich vermisse das Studio im Funkhaus, den anschließenden Plausch im Flur.

Ein Ort, der nicht Zoom oder WhatsApp ist

Was ich noch vermisse, sind meine Freundinnen. Alle zusammen, an einem Ort, der nicht Zoom oder Skype oder WhatsApp ist. Ich vermisse das Leben in Gruppen, ich vermisse Gemeinschaft. Ich vermisse: eine Pizza, ein Handtuch, ein Glas teilen und jemanden von meinem Eis kosten lassen. Ich vermisse: Gemeinsam etwas erleben, statt einander davon zu berichten, was man heute und gestern und vorgestern wieder so erlebt hat, was man gelesen hat, was man gehört hat und wie es allen so geht.
Ich vermisse es, zu erleben, wie es allen so geht. Ich vermisse es, gemeinsam in einer Theateraufführung zu sitzen und meiner Sitznachbarin in den Oberschenkel zu kneifen, wenn was Krasses passiert. Ich vermisse es, ein Publikum zu sein. Ich vermisse Magie. Ich vermisse, Kunst mit dem ganzen Körper aufzunehmen.
Ich vermisse: anschließend im Foyer an der Bar stehen und sprechen. Mit vielen. An dieser Bar Menschen treffen, die ich immer nur zufällig treffe, aber gern sehe. Menschen, die ich noch nicht so gut kenne. Menschen, mit denen ich mich nicht verabreden würde.
Ich vermisse: von Begegnungen überrascht werden. Ich vermisse: nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs sein. Ich vermisse: Smalltalk und Blödsinn labern und einfach jemandes Hand nehmen, wenn mir danach ist.

Der ganze Tisch lacht

Ich vermisse es, mit anderen Menschen zu tanzen. Ich vermisse die Nähe von fremden, schwitzenden Körpern. Ich vermisse Tempo. Ich vermisse Tempowechsel. Ich vermisse auch Themenwechsel – und Perspektivwechsel und Kostümwechsel.
Ich vermisse Ausschläge. Ich vermisse Störungen. Ich vermisse es ehrlich gesagt nicht so sehr, in einem scheiß Einkaufscenter zu stehen. Ich vermisse viel mehr, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, und jemand bringt den gesamten Tisch zum Lachen. Ich vermisse es, in volle Räume zu sprechen, statt in Bildschirme.
Ich vermisse Hautporen und neue graue Haare und Nuancen in Gesichtern zu erkennen, statt Pixel. Ich vermisse Anwesenheit, Zeugenschaft und Kollektivität. Ich vermisse mein Zeitgefühl. Ich vermisse unsere Freiheiten. Ich vermisse gute Aussichten. Ich vermisse euch alle.
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