Dramatischer Betriebsausflug - Corona-Tagebuch (I)

Alltag in Zeiten von Corona

02:45 Minuten
Eine Frau steht mit ihrem Smartphone und einer Tasse Kaffee in der Hand in ihrem Home Office.
Der Coronavirus bestimmt unseren Alltag. Was machen wir jetzt bloß? © Eyeem / Johnér Agency
Von Laura Naumann · 21.03.2020
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Selbst der Blick in den Einkaufskorb des Nachbarn hat sich verändert: Das Leben ist anders, seit sich das Coronavirus zu einer Pandemie ausgeweitet hat, die unseren Alltag bestimmt. Nicht nur für Kulturschaffende ist die Zukunft ungewiss.
Inzwischen ist sogar der Ausflug in den Supermarkt dramatisch. Mit Blick zum Boden schleichen wir durch die leergekauften Regalreihen, nervös treten wir vor der Putzmittelsektion vom einen Bein aufs andere, weichen unseren Mitmenschen unauffällig aus und spähen heimlich in ihre Körbe, um zu herauszufinden, ob die hamstern, und fragen uns, ob uns das dazu anhalten sollte, auch zu hamstern, oder erst Recht nicht.

Selbst Geld macht Angst

Angst, für einen Hamsterer gehalten zu werden, Angst, nicht ausreichend für sich zu sorgen, in dem man nicht hamstert. Angst, angehustet zu werden, Angst, zu husten, Angst, vor ein paar Tagen angehustet worden zu sein – und was heißt das jetzt für die Zukunft aller Menschen, durch deren Hände dieser 20-Euro-Schein noch gehen wird, mit dem ich jetzt bezahlen möchte. Dabei hab ich ihn nicht mal angehustet, aber vielleicht jemand anderes.
Nahe der Kassen in vielen Supermärkten gibt es Corona-Sixpacks zum Sonderpreis. Viele Menschen glauben, wenn man sich ganz dick in Klopapier einwickelt, kriegt man das Virus nicht. Es ist eine verrückte Zeit. Nur bei Netflix ist die Welt noch normal. Aus Gewohnheit und weil ich immer Herzrasen kriege, wenn ich zu lange die Nachrichten lese, scrolle ich durch die Theaterspielpläne, durch die Steppenläufer rollen, blättere durch meinen Kalender, durch den ebenfalls Steppenläufer rollen.
Laura Naumann (re.) weist bei der Generalprobe des Theaterstücks "Right of Passage" einem Soldaten den Weg.
Ernste Sache: Laura Naumann (re.) bei der Generalprobe zu "Right of Passage" in Düsseldorf.© picture alliance/dpa
Im Hintergrund spielt eine Mundharmonika. Alles wüstenleer. Die Mittagssonne prasselt durchs Fenster und daneben steht auch noch mein Koffer, mein Koffer, der da immer steht, reisefertig. Viele Menschen, die freischaffend im Kulturbetrieb arbeiten, handhaben das so: Den Kalender voller Jobs, an allen anderen Orten als zuhause und den Koffer immer reisebereit, nie wirklich ausgepackt.

Beschäftigung – nur keine Arbeit

Ich bin eigentlich grad mit meinem Kollektiv mitten in einer Tour. Bis Ende Juni sollten wir fast jede Woche in einer anderen Stadt sein und dort Vorstellungen spielen, Workshops geben, Vorträge halten. Was machen wir denn jetzt nur alle? Fragen sich alle, die ich kenne.
Das ist keine Frage, bei der es um Langeweile geht. Eigentlich wissen dann doch immer alle ganz gut, was mit sich anzufangen, auch wenn sie nicht zehn Stunden täglich ackern müssen. Es ist eine Frage, bei der es um die bedrohte Existenz aller geht, die davon leben, das Menschen in Gruppen zusammenkommen. Was machen wir denn jetzt alle, um unsere Hamsterkäufe zu finanzieren?
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