Drahtzieher in der Medienrepublik

Rezensiert von Günter Müchler · 13.07.2007
In der Hauptstadt sind Heerscharen von Journalisten unterwegs, doch nur ein paar aus der schreibenden Zunft haben die publizistische Macht in ihren Händen konzentriert und verfügen über direkte Verbindungen in die höchsten Ebenen der Politik. Lutz Hachmeister analysiert in seinem Buch "Nervöse Zone", wie Politik und Journalismus in der Berliner Republik funktionieren und voneinander abhängen.
Das Beziehungsgeflecht zwischen Journalisten und Politikern, zwischen den Medien und der Politik ist ein altes Thema und schwer zu fassen. Aber es enthält Konstanten. Dazu gehören Angeberei und Verschwörungstheorien. Journalisten schwadronieren gern darüber, wen sie gerade mal wieder an- oder gar abgeschossen haben, während Politiker sich ebenso gern als Opfer skalpwütiger Schreiberlinge darstellen.

Klar, dass ihre Abrechnung mit den Medien immer erst dann erfolgt, wenn die Karriere zu Ende ist und Schmeichelei nichts mehr brächte. Gerhard Schröder, der deutsche "Medienkanzler", wusste Bild und Glotze virtuoser zu benutzen als jeder seiner Vorgänger. Als aber ausgezählt war, an jenem Abend des 18. September 2005, gab Schröder dann den Ludendorff: Im Felde unbesiegt, sei er dem Dolchstoß verschworener Medienmächte erlegen.

In Lutz Hachmeisters Buch über "Politik und Journalismus in der Berliner Republik", so der Untertitel, fließt kein Blut. Die vielen Klischees über den Berliner Journalismus, die meisten sind unvorteilhaft, lässt der Autor weitgehend unberührt. Mit feinem Stift skizziert er die Internaktionen, die sich zwischen Journalisten und Politikern in der "Nervösen Zone" abspielen.

Was hat sich am Hauptstadtjournalismus geändert? Hachmeister sieht das so: Verglichen mit der Bonner Idylle bildete sich in den neunziger Jahren ein neuer medialer Überbau heraus.

"Kennzeichnend dafür sind der Fernsehtalk als eine Art politischer Dauerkonferenz, die erhöhte visuelle Präsenz einer kleinen Gruppe von Politikern und Interpretatoren und die herumlungernde `Meute` der Berichterstatter, die vor politischen Tagungsstätten und Konferenzsälen auf Statements wartet."

Letztere interessieren den Autor weniger, dafür umso mehr jene zwei Dutzend erlauchte Vertreter des Gewerbes, deren Nobilitierung sich ableitet vom Einfluss der von ihnen vertretenden Organe, von Bild oder Bunte, Stern oder Siegel. Sie sind es, die schon deshalb den Ton angeben, weil – das weiß man - so viele von ihnen abschreiben. "Wichtigtuer" sind es, wie sie der Journalismuswissenschaftler Siegfried Weischenberg nicht ganz zu Unrecht nennt. Sie meint Hachmeister, wenn er schreibt:

"Politik und Journalismus sind sich in der Berliner Republik auf seltsame Weise verfallen, so sehr, dass es beiden Teilklassen schon unheimlich wird und sie öfter mal wieder getrennte Wege gehen möchten. Eine Zeitlang erschienen Politiker und Kommentatoren in der neuen Hauptstadt als homogene Gruppe von Party- und Salonlöwen, aneinandergekettet durch irrlichternde Medienauftritte, dauerbeobachtet von Kameras wie in einem endlosen sozialpsychologischen Experiment."

Nach Hachmeisters Urteil sehen sowohl Politiker wie Journalisten die Rolle, die sie in dieser sonderbaren, selbstreferentiellen Rotation spielen, durchaus skeptisch. Sie begründen sie

"mit dem Zwang der Verhältnisse, mit der Notwendigkeit, dabei zu sein, 'mitzuspielen', damit Deutungsgewinne und Dienste an Vernunft und Problemlösung erzielt werden können."

Unerwähnt bleibt dabei der Faktor Eitelkeit. Wie sonst sollten Treffs wie das "Einstein" Unter den Linden oder das feine "Borchardt" entstehen, deren Zweckbestimmung ja doch keineswegs die Förderung von Vernunft und Problemlösung ist, sondern schlicht und einfach die, gesehen und dem Orden der Bedeutenden zugeordnet werden? Dieses eitle, wuselige Miteinander, das von Widersprüchen und Selbstinfragesellung nicht frei ist und irgendwo zwischen Anziehung und Abstoßung pendelt, ist der Gegenstand des Buches.

Hachmeister beschreibt die Szene aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Fallstudienartig beschäftigt er sich zunächst mit dem, was er die "neue Journalismuskritik" unter Gerhard Schröder nennt. Das liest sich gut, teilweise wie eine comédie humaine. Es sind Bildergeschichten von Treue und Treulosigkeit, von Indienststellung und Verweigerung.

Ein anderes Kapitel widmet sich dem "Prinzip Christiansen". Es beginnt mit dem hübschen Satz: "Sabine Christiansen regierte von 1998 bis 2007, etwas länger als Gerhard Schröder." Hachmeister durchleuchtet das Erfolgsrezept dieser Talksendung, zu der alle gehen, die alle sehen und über die sich alle das Maul zerreißen. "Christiansen" ist im Urteil des Autors der sichtbare Beweis dafür, dass das politische Fernsehen auf den Hund gekommen ist. "Christiansen" ist der Panoramapunkt der "Nervösen Zone", die von Oberflächlichkeit und Windmacherei geprägt ist.

Frank Schirrmacher will auf den ersten Blick in dieses Klischee nicht passen. Ihn knüpft sich Hachmeister vor, weil für ihn der Chef des FAZ-Feuilletons zu den drei einflussreichsten Journalisten der Berliner Republik zählt. Die beiden anderen sind Kai Diekmann von Bild und Stefan Aust, der Spiegel-Chef.

"Diekmann lenkt ein Boulevard-Blatt, dessen Prinzipien mit Sex & Crime und dem ewigen Wir-verteidigen-den-kleinen-Mann-gegen-die-da-oben klar auf der Hand liegen. Der Ultra-Pragmatiker Stefan Aust vertritt auch nach eigenem Anspruch kein weltanschaulich-politisches Programm, hat sich zu keinem Zeitpunkt als 'Intellektueller' definiert und lehnte es auch vernünftigerweise ab, die Nachfolge des großen Polemikers Rudolf Augstein als Herausgeber des Spiegel anzutreten."

Schirrmacher überragt Diekmann und Aust. Er ist, was die anderen auch sind, und mehr:

"Welterklärer, publizistischer Beweger mit scharfem Bewusstsein für das Timing von Kampagnen, Intellektueller und Zukunftsdeuter."

Ist nun das, was die Journalisten in der nervösen Zone brauen, guter oder schlechter Journalismus? Hachmeister meidet ein apodiktisches Urteil. Doch zweifellos ist er irritiert. Es irritiert ihn der Pragmatismus, dem er bei den Alpha-Tieren des Berufsstands begegnet. Es irritieren ihn die Allianzen, die zwischen den Hauptakteuren möglich sind: Da paktiert die FAZ bei der Rechtschreibreform mit dem Spiegel, Helmuth Karasek schreibt für die Welt. Der Chef von Bild ist eine Respektperson.

Wie kann das sein? Hachmeister plagen die Phantomschmerzen eines vergangenen Journalismus, der Utopien folgte, in Treue fest zu alten Loyalitäten stand und sichere Feindbilder hatte. Dieser Journalismus ist passé, weil ideologische Vereinfachung in der großen Unübersichtlichkeit der neuen Welttagesordnung nur komisch wirken würde. Wo good guys und bad guys nur schwer zu unterscheiden sind, lässt sich schlecht scharfrichtern. Den Sozialstaat zu retten ist weniger sexy als Fraternitäts-Visionen zu hegen. Die Welt ist einfach zu kompliziert geworden für ein Grand Design. Und deshalb musste auch die Publizistik herunter von den Wolken, hinein in die Mühen der Ebene.

Hachmeister bedauert das; er beschreibt überzeugend. Doch wo er zur Theorie-Bildungen ansetzt, wird sein Buch verquer.

"Es war für die publizistischen Wortführer nicht einfach, in dieser Situation von Umwertungen und Verschiebungen einen konsistenten Kurs zu halten, und viele von ihnen haben einen intellektuellen Ankerplatz im Meer der alten Werte gesucht: Arbeit, Familie, Vaterland und Religion. Der gesellschaftlichen Libertinage konservative Sinnsuche entgegenzusetzen, vermischt wiederum mit wirtschaftsliberalen Plädoyers zur Rettung von Kapitalismus und freiem Unternehmertum gegen die Staatsbürokratie, macht aus der publizistischen Elite eine Gruppe von Volkspädagogen, die den handelnden Politikern von hoher Warte aus Ratschläge erteilen."

Wem diese Deutung nicht einleuchtet, der wird erst recht die Stirn runzeln bei Hachmeisters Schlussapotheose. Hier sieht er die medialen Hauptkämpfer zusammen mit Politikern und Industriellen im Netz eines Interessenkartells zappeln, dem es einzig um Verteidigung und Bewahrung geht. In einer "geistigen Nato" habe sich die journalistische Elite angesiedelt, notiert Hachmeister empört. Damit – so sieht er es - sündigt sie gegen ihre Bestimmung. Denn Journalisten sind links, sie müssen "Agenten der Aufklärung" sein.

"Als wir noch Götter waren im Mai", lautet der ironische Titel eines soeben erschienen Buches von Johano Strasser. Im Mai – das war die Zeit eines ebenso hochfliegenden wie engstirnigen Gesinnungsjournalismus. Ob die Journalisten in dieser Zeit wirklich die besseren Agenten der Aufklärung waren, darf man bezweifeln.

Lutz Hachmeister: Nervöse Zone - Politik und Journalismus in der Berliner Republik
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007
Lutz Hachmeister: "Nervöse Zone"
Lutz Hachmeister: "Nervöse Zone"© Deutsche Verlags-Anstalt