Doug Aitken in der Schirn Kunsthalle

Großartiger Trip in einsame Räume

Doug Aitken, Black Mirror, 2011
Doug Aitken, Black Mirror, 2011 © Doug Aitken
Von Ludger Fittkau · 08.07.2015
Die Einsamkeit steht im Mittelpunkt vieler Werke des Multimediakünstlers Doug Aitken. Diesem Gefühl kann man in seinen Klangräumen und Bildcollagen in der Frankfurter Schirn nachspüren.
Es klingt wie in einer großen Tropfsteinhöhle. Doch in Wirklichkeit ist man gerade zu Fuß an der lärmigen Baustelle der Altstadt-Rekonstruktion in Frankfurt am Main entlanggegangen und in den Eingangsbereich der "Schirn"-Kunsthalle gelangt. Hier ist ein Wasserbecken installiert, von der Decke tropft es aus einer Art Sprinkler-Anlage ins Becken. Mikrofone auf dem Beckenboden und Computertechnik schaffen einen Sound, der viele verblüffte Passanten, die eigentlich nur am Museum vorbeigehen wollten, zum Stehenbleiben veranlasst.
"Es handelt sich um einen Kreislauf. Das Wasser wird anschließend wieder hochgepumpt kommt wieder zurück. Und ein Programm befindet sich hinter den Räumen, die nicht von unter zu sehen sind. Da werden diese ganzen Muster und Verzerrungen und Ton-Modulationen vorgenommen."
Matthias Ullich ist der Kurator der Aitken-Ausstellung. Vom "Sonic Fountain" im Eingangsbereich geht es in den Innenraum der Schirn-Kunsthalle. Dort sind es im Grunde vier große Kino-Säle und ein kleinerer Bereich mit Skulpturen, in denen die Werke des Kaliforniers Aitken präsentiert werden.
Einsamkeit ist ein Hauptmotiv der Filmarbeiten. Aitkens Kameraauge gleitet über beinahe menschenleere Steppen oder Wüsten in den USA oder in Namibia, in denen gelegentlich Motels oder Industrieanlagen anzeigen, dass diese Räume auch von Menschen bereist oder bearbeitet werden. Das Objektiv richtet sich auf nächtliche Fähren oder Autobahnen, zwar menschengemacht aber gewissermaßen auch "zweite Natur", in der man sich als Individuum verlieren kann.
"Und Sound, was wir jetzt gerade auch im Hintergrund hören, spielt in all seinen Arbeiten eine wichtige Rolle. Das war schon bei 'Sonic Fountain' im Eingangsbereich ganz explizit der Fall, ist aber in den Filmen nicht minder wichtig. Hat eventuell auch damit zu tun, dass er für MTV ursprünglich gearbeitet hat, was er ungerne in seiner heutigen Erzählung über sich zu Wort kommen lässt, aber man hört es auch so oder so, wenn man seinen Arbeiten begegnet."
Klang bewegt Bilder
Mit dem Sound, so Matthias Ullrich, schafft Doug Aitken eine Rhythmik für die Bilderwelten, die er anbietet. Der Klang bringt die Bilder in Bewegung. Wie er durch elektronische Verstärkung und Verfremdung der Wassertropfen bei seinem Klangbrunnen am Eingang einen Überraschungsmoment fürs Ohr schafft, sorgt er in seinen Filmen immer wieder für verblüffende Wendungen für das Auge, das er durch Hotelzimmer oder leerstehende Wohnhäuser von Minenarbeitern schickt: Neben Bett und Fernseher im Motel steht plötzlich ein echter Büffel, der sich verwundert im Raum umschaut. Oder ein Biber sitzt in einer Badewanne. Kurator Matthias Ullrich:
"Es sind diese Tiere, die sozusagen für uns den Raum erkunden. Wie wenn das ein Mensch macht, der zum ersten Mal auf die Erde kommt und sich fragt, was sollen all diese Dinge."
In der menschenleeren Wüste in Namibia, die für den Diamantenabbau eingezäunt und deshalb für Menschen praktisch unzugänglich ist, tauchen plötzlich Pferde auf, die man in dieser unwirtlichen Sonderwelt nicht vermuten würde.
In den nächtlichen Räumen der Großstadt ist es dann überraschend die großartige Schauspielerin Tilda Swinton, die singend den Rhythmus der Bildcollagen vorgibt.
"Tilda Swinton in 'Song 1', eine der Darstellerinnen. Sie ist auch eine derjenigen, die den Song 'I Only have Eyes for You' gecovert hat. Es gibt in dem Film mehrere Cover des gleichen Stücks, was in den USA eines der meist gecoverten Lieder ist. Stammt von 1934 und wurde weltbekannt durch die Interpretation der Flamingos."
Man muss Zeit mitbringen
Doug Aitken gibt dem Song keine Chance, kitschig zu wirken. Dafür sind die Bilder der nächtlichen Stadträume oder Verkehrstechniken zu kalt und nüchtern, die er mit dem Gesang der Swinton oder anderer Interpreten unterlegt. Der Sound kleistert die Ambivalenz nicht zu, die man beim Anblick der von Neonlicht oder Autoscheinwerfern belichteten Nacht-Räume empfindet. Man muss Zeit mitbringen, um sich auf Aitkens Bild- und Klangcollagen einzulassen. Kurator Matthias Ullrich:
"Eine Stunde braucht man schon, wenn man es eine Stunde aushält – Aushalten ist aber nicht der richtige Begriff, denn wer von diesen Arbeiten nicht verführt wird – schwer vorstellbar. Aber um nicht nur diese Bilder zu erleben, sondern um zu erleben, wie diese Bilder in einem etwas auslösen."
Diese Stunde in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main ist ein großartiger audio-visueller Trip, der einen schlagartig wegführt von der sommerlichen Idylle am Mainufer. Mittels aufwendiger Technik wird man tatsächlich entführt – in Klang- und Bildräume, die zeigen, wie einsam der Mensch doch sein kann. Wie ein Wassertropfen in einem unendlichen Meer von Naturdingen und Artefakten.
Die Doug Aitken-Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt läuft vom 9. Juli bis 27. September 2015.
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