Dorothea Gädeke: "Politik der Beherrschung“

Abschied von den universellen Menschenrechten?

Buchcover Dorothea Gädeke: "Politik der Beherrschung“
Dorothea Gädeke bezweifelt, dass es bei der Demokratisierung Hilfe von außen geben kann. © Suhrkamp / AP /Ivan Sekretarev
Von Marko Martin · 25.01.2018
Dorothea Gädeke kritisiert in ihrem Buch "Politik der Beherschung" die Theorie westlicher "externer Demokratieförderung", hält sich jedoch bei der Beschreibung von Praxisbeispielen zurück. Am Ende entschuldigt sie bestehende Machtverhältnisse.
"Die 1990er-Jahre waren ein Jahrzehnt demokratischer Euphorie", schreibt Dorothea Gädeke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Goethe-Universität Frankfurt/Main, in ihrem Buch "Politik der Beherrschung". Dieser Prämisse, aus der dann nachfolgenden Thesen entwickelt werden, mag man zustimmen oder nicht: Die von den westlichen Staaten schmählich in Stich gelassenen Menschen in Bosnien und Ruanda hatten damals gewiss keinen Grund zu "demokratischer Euphorie".
Gerade aber die (ohnehin praxis-schwache) westliche Idee externer Demokratieförderung soll nach dem Willen der Autorin nun einer "kritischen Theorie" unterzogen werden, sei sie doch eine "Politik der Beherrschung", die dringend durch eine globale "Strukturpolitik der Nicht-Beherrschung" ersetzt werden müsse.

Verklausulierte Kritik an NGOs

Unabhängig davon, dass eine gewisse Hölzernheit der Sprache hier zahlreiche Redundanzen gebiert: Es wäre für den Leser Erkenntnis fördernd gewesen, Konkretes präsentiert zu bekommen, denn wer ist gemeint, wenn von einer "Politik der Beherrschung" die Rede ist – westliche Regierungen, die in der Tat oft unsinnig-destruktive "Entwicklungshilfeprogramme" auf den Weg bringen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag oder gar NGOs, die mit Verweis auf die Universalität der Menschenrechte lokalen ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten oder Umweltaktivisten beistehen (und in ihrer Arbeit ja häufig offiziell unterstützt werden, etwa von der norwegischen und kanadischen Regierung?)
Eher verklausuliert findet sich dann eine Kritik an NGOs, deren emanzipatorische Absichten zwar nicht in Frage gestellt werden, jedoch: "Solange Institutionen nicht-beherrschender Herrschaft selbst von Dritten abhängig sind, genießen die jeweiligen Bürger_innen keine normative Autorität über die Hintergrundbedingungen ihres sozialen Handelns."
Dass dieses essentielle Politikverständnis - verkürzt gesagt: Legitim ist lediglich das, was "die eigenen Leute" tun - eine reaktionäre Schlagseite hat, scheint der Autorin nicht aufzufallen. Denn von wem stammen die "strukturell angelegten Imperialismusvorwürfe", die Dorothea Gädeke zu ihrer Kritik an der westlichen Demokratieförderung mit inspiriert haben? So weit zu sehen, sind es zur Zeit vor allem russische, chinesische oder venezuelanische Staatsmedien, die vor "westlichen Ideen" warnen, um die autoritäre Herrschaft ihrer Auftragsgeber zu rechtfertigen.
Was schließlich die westlichen Staaten und konkret Deutschland betrifft: Vom einflussreichen "Ostausschuss der deutschen Wirtschaft" bis hin zu FDP und AfD gibt es Druck, nicht weiter die Menschenrechtsverletzungen in Russland zu thematisieren und dortige Aktivisten zu unterstützen, sondern im Interesse der Ökonomie auf "Dialog" setzen. Ähnliches ist, auch aus der SPD heraus, in Sachen China und Iran zu hören.

Die Demokratieförderung wird zu Grabe getragen

Eine vermeintlich dominierende Idee "externer Demokratieförderung" erweist sich damit als Schimäre; nachdem sie bereits "realpolitisch" unter Dauerbeschuss steht, soll sie nun auch "diskurs-theoretisch" zu Grabe getragen werden. Damit prägt jene "Politik der Beherrschung", der eigentlich die Kritik gelten soll, auch den Charakter dieses Buches, wird hier doch von hoher theoretischer Warte aus den Ohnmächtigen dieser Welt erklärt, dass sie eigentlich ganz einfach aus eigener Kraft ihr Schicksal zum Besseren wenden könnten: "In autokratischen Staaten fungieren staatliche Institutionen eher als Handlungsstruktur der Regierung denn als Medium der Inkorporation des Volkes. Doch auch in diesem Falle bleibt den Bürger_innen gemeinsam die fundamentale Macht, sich die volle Kontrolle über diese Institutionen anzueignen und sich so als kollektiver Akteur im unverkürzten Sinne zu konstituieren.
Eine bemerkenswerte - bestenfalls blauäugige, in Wirklichkeit jedoch zynische - Opfer-Verhöhnung, die sich ironischerweise dabei auch noch korrekter Gender-Sprache bedient.

Dorothea Gädeke: Politik der Beherrschung. Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2017
491 Seiten 26,80 Euro

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