Doris Wagner zum Buch "Spiritueller Missbrauch"

Glaube muss selbstbestimmt sein

19:10 Minuten
Doris Wagner auf der Bühne von Deutschlandfunk Kultur mit Mikrofon, gestikulierend.
Gegen die autoritäre Traditionslinie in der katholischen Kirche macht die Theologin Doris Wagner ebenso vorhandene freiheitliche Traditionen stark. © Deutschlandradio / Andreas Wünschirs
Moderation: Anne Françoise Weber · 24.03.2019
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Die Theologin Doris Wagner hat selbst spirituelle Gewalt in einer katholischen Gemeinschaft erlebt. Ihr Buch bearbeitet das Phänomen systematisch und benennt Gegenmaßnahmen. Zentral ist dabei die spirituelle Selbstbestimmung.
Was ist spiritueller Missbrauch? Doris Wagner definiert ihn als "Verletzung des spirituellen Selbstbestimmungsrechtes". Das heißt, Menschen wird die Möglichkeit genommen, die zu ihnen passenden spirituellen Ressourcen zu wählen, um ihr Leben positiv zu deuten.

Wenn Sinnfragen nicht zugelassen werden

Dieser Missbrauch kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen und schon im Elternhaus beginnen, wenn Kinder entweder in eine Richtung des Glaubens gedrängt werden oder auch, wenn Sinnfragen gar nicht zugelassen, sie also spirituell vernachlässigt werden. Denn Wagner ist überzeugt:
"Wir alle haben eine eigene Spiritualität, gleich wie sie aussieht und aus welchen Quellen sie sich speist, ob sie religiös konnotiert ist oder nicht."

Gegen Ausbeutung, Gewalt und Persönlichkeitsverlust

Ihrer eigenen Erfahrung in einer katholischen Gemeinschaft entsprechend, richtet sie den Blick vor allem auf Missbrauchserfahrungen in diesem Bereich und erzählt von Männern und Frauen, die Furchtbares erlebt haben: von der materiellen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft über sexuelle Gewalt und die Zerstörung jeglicher Beziehungen zur Familie bis hin zum Verlust der eigenen Persönlichkeit.
Nur die Wiederentdeckung des eigenen Ichs aber kann einen Ausweg bieten, so Wagner – wobei ihr der Ausstieg aus einem spirituell totalitären System innerhalb der katholischen Kirche schwerer erscheint, als der Versuch, eine Sekte oder eine von Missbrauch belastete Beziehung zu verlassen, "weil die Kirche selbst sich von der in diesen Gruppen vorherrschenden Unterordnungslogik und von deren Anführern nicht wirksam distanziert, sondern sie im Gegenteil sogar fördert und hofiert."

Individuelle Freiheit statt Unterordnung

Gegen die autoritäre Traditionslinie in der katholischen Kirche macht Doris Wagner ebenso vorhandene freiheitliche Traditionen stark. So sei der Schutz des Individuums durch die Trennung von äußerlicher Leitung und geistlicher Begleitung durch bestimmte Artikel des Kirchenrechts verbrieft – nur eben längst nicht überall gängige Praxis.
Die Gefahr, Menschen durch manipulatives Vorgehen ihre spirituelle Freiheit zu nehmen, bestehe weit über autoritäre Gemeinschaften hinaus, betont Wagner.

Doris Wagner: Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche
Herder, Freiburg 2019
208 Seiten, 20 Euro

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