Dorfleben

Juden in Berkach

Ein historischer Wegweiser von 1912 zeigt im südthüringischen Berkach in der Rhön Richtung und Entfernung nach Nordheim, Meiningen, Behrungen und Römhild an, aufgenommen am 10.06.2009.
Ein historischer Wegweiser im südthüringischen Berkach in der Rhön © picture-alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Blanka Weber · 22.08.2014
Zu DDR-Zeiten lag der kleine Ort Berkach in Thüringen mitten im einstigen Sperrgebiet. Niemand interessierte sich für die Geschichte der Juden des Dorfes und für ihre Synagoge, die vor 160 Jahren gebaut wurde.
Es ist eines jenes jener Thüringer Grenzdörfer, deren gewölbter Kirchturm mit aufragender Spitze schon von Weitem zu sehen ist. Südlich von Meiningen, an der bayrischen Landesgrenze, zwischen Feldern und Wäldern liegt Berkach.
Irmgard Hoffmann: "Es gab natürlich auch einen Erbsenjuden, das war der Moritz Buxbaum. So ein Händler, und dann die Dina Buxbaum, das war eine Freundin von meiner jüngeren Schwester und Schulkameradin."
Irmgard Hoffmann ist 88 Jahre alt und eine der letzen Zeitzeugen des Ortes. Natürlich gab es hier Juden, sagt sie. Wir lebten neben- und miteinander, haben gespielt und Angst gehabt, als plötzlich auch in der Dorfschule, 1938, alles anders war:
"Wir hatten einen Lehrer und einen Pfarrer, das waren SA-Männer und früh in der Schule, die erste Stunde, das war die Anti-Judenstunde. Da ging‘s los. Da hat er gesagt, die Jungen sollen Steine in die Fenster werfen und zu unserer Mutter, ist die Hulda Hoffmann bis zuletzt gekommen. Und da haben wir immer gedacht, och, wenn er uns das nun ankreiden würde, dass unsere Mutter Besuch empfängt von Juden, aber das hat er dann doch nicht gemacht."
Sie erzählt von der gleichnamigen jüdischen Freundin, vom kleinen Lädchen, in dem alle einkauften und von den vielen Juden, die flohen oder deportiert worden sind:
"Die Goldschmidts – na das war klar, das sind Juden. Die sind 1938 – da haben sie sich aufgemacht – ausreisen – waren auf dem Schiff, das sie nirgends wo hineingelassen haben. Das waren Rosa und Rudolph Goldschmidt."
Seit dem 17. Jahrhundert gibt es Juden in Berkach. Bis nach Leipzig hat es manche von ihnen gezogen, um dort auf der Messe zu handeln. 1833 war von etwa 460 Einwohnern jeder dritte jüdisch. Man baute eine Synagoge und eine Schule unmittelbar nebeneinander.
Irmgard Hoffmann: "Die Selig, Clara hatte ja einen Textilladen und der Simon Stein hatte einen Lebensmittelladen, das war bei uns nur der Moni. Wir Kinder sind immer gern dorthin gegangen. Dort haben wir immer Schokoladenblättchen gekriegt."
Tür an Tür mit den Christen
Das jüdische Leben fand mitten im Dorf, Tür an Tür neben den Christen statt. Wer zum Schabbatgottesdienst durch das Fenster der Synagoge blickte, sah den Kirchturm. Beide Gebäude stehen bis heute mitten im eng gebauten, verwinkelten Dorf mit vielen kleinen Gassen.
Zu den "Thüringer Tagen der Synagogenmusik" war die Berkacher Synagoge ein historischer Ort, der für ein Konzert genutzt wurde. Jüdisches Leben können wir nicht bringen, wohl aber die Musik, so Jascha Nemtsov vom Lehrstuhl Jüdische Musikgeschichte von der Hochschule für Musik in Weimar:
"Ich habe schon viel über die Synagoge gehört und über die Vergangenheit und über die jüdische Gemeinde hier im 19.Jahrhundert und über diesen Kantor, der hier gewirkt hatte als jüdischer Schullehrer und der es geschafft hat, eine Zeitschrift für jüdische, liturgische Musik herauszubringen in diesem kleinen Ort."
Es ist der Kantor Hermann Ehrlich, noch heute sind einzelne Exemplare seiner Zeitschriften in Bibliotheken erhalten, selbst in New York.
Jascha Nemtsov: "Er scheint eine energische Persönlichkeit gewesen zu sein. Das muss man erst mal geschafft haben, das er auch Kontakt zu den führenden Kantoren der liberalen Richtung im Judentum damals geknüpft hat und ihre Werke publiziert hat in dieser Zeitschrift."
Ein bedeutender Musiker war jener Hermann Ehrlich allerdings nicht. Aber eine interessante Episode der jüdischen Geschichte sei seine "Allgemeine Zeitung des Judentums" in dieser Region allemal, meint der Musikwissenschaftler Nemtsov. Gemeinsam mit der jüdischen Landesgemeinde und dem Abraham-Geiger-Kolleg hat er die Konzertreihe organisiert.
Das Leben in Berkach, es wirkt trotz Konzert auch an jenem Abend sehr ruhig und abgeschieden. Wie das Leben der Dorfjuden hier einst ausgesehen haben könnte?
Der Kantor Amnon Seelig schüttelt den Kopf:
"Ich kann mir schwer vorstellen, dass es irgendwann hier blühendes jüdisches Leben gab."
Einzelne jüdische Wohnhäuser sind noch vorhanden, der Friedhof am Rande der Stadt ebenfalls. Doch jüdisches Leben, das gibt es nicht mehr. Eine fast symbolische Ruhe, auch wenn die nun sanierte und wieder geweihte Synagoge ein außergewöhnlicher Konzertort ist.
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