Doppelt hohes Risiko
Jeder Tag ist eine Herausforderung. Wer unter Diabetes leidet, muss sich ständig kontrollieren und sehr gewissenhaft planen, was er isst, wie viel er sich bewegt. Denn das alles hat Einfluss auf seinen Stoffwechsel, und der ist ja beim Diabetiker durcheinander. Eine lebenslange Herausforderung, Diabetes ist nicht heilbar. Viele Diabetespatienten zerbrechen daran. Zum Diabetes kommt dann die Depression.
Sie ist erst 31 - und schon seit elf Jahren chronisch krank. Christina hat Diabetes, Typ 1, ihre Bauchspeicheldrüse produziert kein Insulin. Das braucht der Körper aber, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren und gesund zu bleiben. Christina muss deswegen mindestens viermal am Tag ihren Blutzuckerspiegel messen und Insulin spritzen. Einfach unbeschwert drauflos leben - das darf sie nie:
"Jedes bisschen, was man isst, muss man abschätzen. Man kann nicht irgendwo zum Essen gehen und sagen: Ist lecker - sondern muss denken: Wie haben die das zubereitet? Was haben die gemacht? Das schränkt mich schon ein, alles auseinander zu nehmen, und nicht einfach, sich zurück zu lehnen und zu genießen."
Immer wieder hadert Christina deswegen mit ihrer Krankheit, zieht sich zurück. Bis sie merkt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Etwa ein Jahr ist das jetzt her:
"Das fing an, dass meine Stimmung schlechter wurde. Ich war so antriebsarm, hab viel zuhause auf der Couch gelegen."
Jedes Aufstehen am Morgen, eine Qual. Grübeleien zermürben sie. Ihr Seele findet keinen Halt mehr, und das schadet schließlich auch ihrem Körper. Christina schafft es nicht mehr, ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren, ihre Werte verschlechtern sich dramatisch. Ein Teufelskreis.
"Wenn es mir schlechter geht, fang ich auch an, mehr zu essen - das macht die Werte unberechenbarer. Man spritzt und spritzt. Man spritzt halt immer hinterher. Das ist immer ein grobes Abschätzen nur. Dadurch, dass ich nicht gerne messe, wenn es einem nicht so gut geht, - ist eher so ein Blindflug dann."
Sie steckt mitten in einer Depression, fühlt sich hilflos und allein. Aber sie ist kein Einzelfall. Vielen Menschen mit Diabetes geht es wie ihr. Denn sie haben ein doppelt so hohes Risiko, depressiv zu werden, wie Gesunde. Stephan Herpertz, Arzt für Psychosomatik an der Ruhr-Universität Bochum, kennt die Gründe:
"Zum einen ist es sicherlich ein Lebensbelastungsereignis, weil dem Patienten eröffnet wird, dass er sein Leben lang diese Krankheit haben wird und dass diese Krankheit viel von ihm abverlangt. Eine weitere Möglichkeit ist, wenn er feststellt, dass seine Blutzuckerwerte, obwohl er sich abrackert, nicht gut ist. Und dass er dann frustriert ist. Und das ist dann unter dem Begriff der erlernten Hilflosigkeit. Er tut alles, aber es hat keine große Wirkung."
Gefährdet sind besonders Diabetespatienten, die schon unter körperlichen Folgen leiden, einer Nierenerkrankung zum Beispiel oder den Auswirkungen einer Amputation. Diabetes und Depression - die Zahlen sind alarmierend: Jeder vierte Diabetespatient entwickelt eine depressive Störung, oft ohne sie selbst zu bemerken. Warnzeichen sind: länger andauernde Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Verlust der Libido, schwindendes Interesse an Hobbies, quälendes Gedankenkreisen. Und auch für den Arzt ist es nicht immer ganz leicht, die Depression zu erkennen:
"Weil eben der Patient nicht zum Arzt kommt und sagt: Ich hab eine Depression, bitte helfen Sie mir. Sondern, der Arzt merkt es auf ganz vielen Gebieten des Diabetes: Blutzuckereinstellung, Ängsten vor Spätfolgen, aber auch seine Interaktion mit ihm - alles negativ gefärbt ist. Der Patient ist mit seinem Blutzucker unzufrieden. Er möchte seinen Diabetes überhaupt nicht mehr haben. Er will eigentlich nicht mehr zum Arzt gehen, er hat enorme Ängste vor seiner Zukunft."
Hier ist der aufmerksame Arzt gefragt. Christina hat es zunächst anders erlebt: "Ich war schon bei Diabetologen in Behandlung, die mich dann kritisiert haben für schlechte Werte. Das macht es natürlich dann schwieriger. Wenn man Vorwürfe hört. Weil: ich tue ja mein Bestmöglichstes. Ich versuch es ja schon. Es klappt halt nicht. Und wenn man dann auch noch kritisiert wird, fühlt man sich vollkommen unverstanden."
Bleibt die Depression unentdeckt und unbehandelt, kann das für den Diabetiker schlimme Folgen haben: Spätfolgen wie Schäden an Nieren, Augen und Nerven treten früher ein, der Patient hat insgesamt eine kürzere Lebenserwartung, sein Selbstmordrisiko steigt. Christina hatte noch die Kraft, für sich selbst einzustehen. Vor einem halben Jahr fand sie den Weg in die Klinik für Psychosomatik der Ruhr-Universität Bochum. Acht Wochen blieb sie. Heute geht es ihr besser:
"Ich hab gelernt, ein bisschen mehr auf mich zu gucken, mich selbst wichtiger zu nehmen - was auch mich komplett dann meint. Auch den Diabetes. Dass man nicht mit Schrecken daran denkt, dass man mehrmals am Tag messen muss, sondern es einfach dann macht, weil man sich das wert ist."
Eine Psychotherapie hat ihr geholfen, noch heute besucht sie einmal wöchentlich eine Selbsthilfegruppe. Manchen Patienten helfen anfangs auch antidepressive Medikamente über den Berg. Der Unterschied: Medikamente wirken etwas schneller, dafür kann eine Psychotherapie nachhaltiger sein und Rückfälle besser verhindern. Niemand müsse sich schämen, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagt Stephan Herpertz.
"Wir machen die Erfahrung, dass diese Patienten sehr froh sind, das Kind beim Namen genannt zu bekommen. Sie haben ja einen schlimmen Gemütszustand, sind auch teilweise der Kritik ihrer Umwelt ausgesetzt – weil sie nicht in die Pötte kommen. Sie fühlen sich zurückgestoßen. Und wenn wir klar sagen, dass das behandlungsmöglich ist, dann sind sie eher erleichtert."
Wer sich erst einmal in kompetente Hände begeben hat, der hat gute Chancen, die Depression zu überwinden und damit auch den Diabetes wieder in den Griff zu bekommen.
"Jedes bisschen, was man isst, muss man abschätzen. Man kann nicht irgendwo zum Essen gehen und sagen: Ist lecker - sondern muss denken: Wie haben die das zubereitet? Was haben die gemacht? Das schränkt mich schon ein, alles auseinander zu nehmen, und nicht einfach, sich zurück zu lehnen und zu genießen."
Immer wieder hadert Christina deswegen mit ihrer Krankheit, zieht sich zurück. Bis sie merkt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Etwa ein Jahr ist das jetzt her:
"Das fing an, dass meine Stimmung schlechter wurde. Ich war so antriebsarm, hab viel zuhause auf der Couch gelegen."
Jedes Aufstehen am Morgen, eine Qual. Grübeleien zermürben sie. Ihr Seele findet keinen Halt mehr, und das schadet schließlich auch ihrem Körper. Christina schafft es nicht mehr, ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren, ihre Werte verschlechtern sich dramatisch. Ein Teufelskreis.
"Wenn es mir schlechter geht, fang ich auch an, mehr zu essen - das macht die Werte unberechenbarer. Man spritzt und spritzt. Man spritzt halt immer hinterher. Das ist immer ein grobes Abschätzen nur. Dadurch, dass ich nicht gerne messe, wenn es einem nicht so gut geht, - ist eher so ein Blindflug dann."
Sie steckt mitten in einer Depression, fühlt sich hilflos und allein. Aber sie ist kein Einzelfall. Vielen Menschen mit Diabetes geht es wie ihr. Denn sie haben ein doppelt so hohes Risiko, depressiv zu werden, wie Gesunde. Stephan Herpertz, Arzt für Psychosomatik an der Ruhr-Universität Bochum, kennt die Gründe:
"Zum einen ist es sicherlich ein Lebensbelastungsereignis, weil dem Patienten eröffnet wird, dass er sein Leben lang diese Krankheit haben wird und dass diese Krankheit viel von ihm abverlangt. Eine weitere Möglichkeit ist, wenn er feststellt, dass seine Blutzuckerwerte, obwohl er sich abrackert, nicht gut ist. Und dass er dann frustriert ist. Und das ist dann unter dem Begriff der erlernten Hilflosigkeit. Er tut alles, aber es hat keine große Wirkung."
Gefährdet sind besonders Diabetespatienten, die schon unter körperlichen Folgen leiden, einer Nierenerkrankung zum Beispiel oder den Auswirkungen einer Amputation. Diabetes und Depression - die Zahlen sind alarmierend: Jeder vierte Diabetespatient entwickelt eine depressive Störung, oft ohne sie selbst zu bemerken. Warnzeichen sind: länger andauernde Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Verlust der Libido, schwindendes Interesse an Hobbies, quälendes Gedankenkreisen. Und auch für den Arzt ist es nicht immer ganz leicht, die Depression zu erkennen:
"Weil eben der Patient nicht zum Arzt kommt und sagt: Ich hab eine Depression, bitte helfen Sie mir. Sondern, der Arzt merkt es auf ganz vielen Gebieten des Diabetes: Blutzuckereinstellung, Ängsten vor Spätfolgen, aber auch seine Interaktion mit ihm - alles negativ gefärbt ist. Der Patient ist mit seinem Blutzucker unzufrieden. Er möchte seinen Diabetes überhaupt nicht mehr haben. Er will eigentlich nicht mehr zum Arzt gehen, er hat enorme Ängste vor seiner Zukunft."
Hier ist der aufmerksame Arzt gefragt. Christina hat es zunächst anders erlebt: "Ich war schon bei Diabetologen in Behandlung, die mich dann kritisiert haben für schlechte Werte. Das macht es natürlich dann schwieriger. Wenn man Vorwürfe hört. Weil: ich tue ja mein Bestmöglichstes. Ich versuch es ja schon. Es klappt halt nicht. Und wenn man dann auch noch kritisiert wird, fühlt man sich vollkommen unverstanden."
Bleibt die Depression unentdeckt und unbehandelt, kann das für den Diabetiker schlimme Folgen haben: Spätfolgen wie Schäden an Nieren, Augen und Nerven treten früher ein, der Patient hat insgesamt eine kürzere Lebenserwartung, sein Selbstmordrisiko steigt. Christina hatte noch die Kraft, für sich selbst einzustehen. Vor einem halben Jahr fand sie den Weg in die Klinik für Psychosomatik der Ruhr-Universität Bochum. Acht Wochen blieb sie. Heute geht es ihr besser:
"Ich hab gelernt, ein bisschen mehr auf mich zu gucken, mich selbst wichtiger zu nehmen - was auch mich komplett dann meint. Auch den Diabetes. Dass man nicht mit Schrecken daran denkt, dass man mehrmals am Tag messen muss, sondern es einfach dann macht, weil man sich das wert ist."
Eine Psychotherapie hat ihr geholfen, noch heute besucht sie einmal wöchentlich eine Selbsthilfegruppe. Manchen Patienten helfen anfangs auch antidepressive Medikamente über den Berg. Der Unterschied: Medikamente wirken etwas schneller, dafür kann eine Psychotherapie nachhaltiger sein und Rückfälle besser verhindern. Niemand müsse sich schämen, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagt Stephan Herpertz.
"Wir machen die Erfahrung, dass diese Patienten sehr froh sind, das Kind beim Namen genannt zu bekommen. Sie haben ja einen schlimmen Gemütszustand, sind auch teilweise der Kritik ihrer Umwelt ausgesetzt – weil sie nicht in die Pötte kommen. Sie fühlen sich zurückgestoßen. Und wenn wir klar sagen, dass das behandlungsmöglich ist, dann sind sie eher erleichtert."
Wer sich erst einmal in kompetente Hände begeben hat, der hat gute Chancen, die Depression zu überwinden und damit auch den Diabetes wieder in den Griff zu bekommen.