Doppelspitze am Schauspielhaus Zürich

Diese Personalie ist ein Zeichen der Öffnung

Der Regisseur Nicolas Stemann posiert in den Münchner Kammerspielen für den Fotografen.
Regisseur Nicolas Stemann - hier zu sehen in den Münchner Kammerspielen - übernimmt gemeinsam mit Benjamin von Blomberg ab 2019 die Leitung des Schauspielhauses Zürich. © picture alliance / dpa / Sven Hoppe
Von Tobi Müller · 21.06.2017
Das Schauspielhaus Zürich erhält eine Doppelspitze: Regisseur Nicolas Stemann und Dramaturg Benjamin von Blomberg teilen sich ab 2019 die Leitung des Hauses. Eine gute Nachricht, meint Tobi Müller: Beide stehen für ein Theater, das sein Publikum im Blick behält.
Die Wahl von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg für das Schauspielhaus Zürich ist ein Zeichen der Öffnung. Seit Christoph Marthaler 2004 nach vier schwierigen Jahren die Stadt verließ, hat der verunsicherte Verwaltungsrat auf hohem Niveau das Vertraute gesucht. Die Hauptfrage lautet seither: Welche Kunst eignet sich gut für das Theater, das wir nun mal haben?

Neuen Produktionsbedingungen zugewandt

Stemann und von Blombergs Arbeiten in Hamburg und in München lassen hoffen, dass sie die Frage auch umdrehen: Welches Theater, welche Bühnen braucht die Kunst, die wir wollen? Mehr auf die Bedürfnisse der Kunst zu schauen, und nicht alles an der Struktur des Apparates auszurichten, das ist die Herausforderung eines Stadttheaters, wenn es mehr sein will als die mehr oder weniger gelungene Verwaltung des Bestehenden.
Die Meldung aus Zürich spricht, für Schweizer Verhältnisse, Klartext. "Stemann und von Blomberg stehen für ein Theater, das sich zwar in der Tradition des klassischen Stadttheaters sieht, sich zugleich aber den Herausforderungen sich modifizierender Produktionsbedingungen und einer sich verändernden Welt stellt und so neue Wege geht – und zwar sowohl ästhetisch wie strukturell." Das klingt für ungeübte Ohren vage, hat im Kern aber Kontur. "Modifizierte Produktionsbedingungen", das heißt: Viele Kulturschaffende arbeiten heute in Netzwerken und Gruppen, die dem Stadttheater Mühe bereiten. Das deutschsprachige Theater verpasst nämlich gerade viel, weil es auf seinen alten Modellen beharrt.

Die Gegenwart der Städte im Blick

Stemann und von Blomberg sind keine Vatermörder. Sie kommen aus dem Innern des Systems. Aber sie sind dort für dessen Wandel zuständig, für mehr Vielfalt in der Kunst, im Ensemble, vor und hinter der Bühne. Stemann und von Blomberg stehen für ein Theater, das die Gegenwart der Städte im Blick behält, in denen nicht alle Zuschauer Heiner Müller oder Schiller verstehen. Das bedeutet nicht Abkehr von Text. Sondern: Mitdenken, für wen man das macht, und wer dabei auf der Bühne steht.
Die größte Herausforderung für die beiden Neuen in Zürich ist die Raumsituation: Das Schauspielhaus hat zwei vollwertige Bauten und mehrere Bühnen, alles an bester Lage. Das Stammhaus, Pfauen genannt, und der Schiffbau, der 2000 dazu kam mit großen Bühnen, Werkstätten und schickem Beton. Im alten Pfauen kann man nicht an den Grenzen des Stadttheaters kratzen wie Stemann es bisher gemacht hat, das führte in den letzten 17 Jahren meistens zu schlechten Auslastungszahlen. Diversität im Denken hieße auch, die Leute mit Kunst zu locken, die einem selbst nicht gefällt, die man aber trotzdem gut macht. Das unterscheidet einen großzügigen Intendanten von einem eigenwilligen Regisseur. Für die Zürcher Aufgabe braucht es beides. Die Entscheidung für ein Team ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen, und ich finde: zu begrüßen.
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