Doppelausstellung in Frankfurt

Der Kampf gegen Rassismus ist 200 Jahre alt

06:04 Minuten
"Black Lives Matter"-Demonstranten laufen hinter einem Plakat mit der Aufschrift "No Justice, No Peace".
Auch 2020 wird in Frankfurt noch gegen Rassismus protestiert. © BLM Frankfurt, Ardavan Safari
Von Ludger Fittkau · 30.09.2020
Audio herunterladen
Eine Doppelausstellung in Frankfurt am Main beschäftigt sich mit Rassismus und Kolonialismus. Dabei werden Perspektiven gezeigt, die sonst oft zu kurz kommen - zum Beispiel der Widerstand von Menschen, die im 19. Jahrhundert zu Opfern von Rassismus wurden.
Ein muslimischer Gebetsteppich in verschiedenen Rottönen hängt an einer Ausstellungswand. Davor Vitrinen mit Alltagsgegenständen wie Rasierzeug, Zahnbürsten und ein paar Schulhefte. Sarmina Stuman von der Flüchtlingshilfeorganisation "Afghan Refugee Movement" hat diese wenigen Hinterlassenschaften des vor zweieinhalb Jahren in Fulda erschossenen Flüchtlings Matiullah Jarbakhil in zwei blauen Müllsäcken von der Polizei übergeben bekommen.
Nun hat Stuman die Dinge ins sogenannte "Stadtlabor" der aktuellen Frankfurter Doppelausstellung zur Kolonialismus- und Rassismus-Geschichte eingebracht: "Wir hatten eigentlich schon Fotos gemacht und wollten eine Fotoausstellung machen. Und dann wurde uns gesagt, hier gibt es dieses Stadtlabor. Und hier ist die Möglichkeit, die Sachen im Original auszustellen."

Ein Archiv aus bürgerschaftlichem Engagement

Das "Stadtlabor" ist eine ständige Einrichtung des Museums, die Bürgerinnen und Bürger zur Mitarbeit einlädt. So können Einzelpersonen beispielsweise Kartons mit Material interessanter Leute aus der Stadtgesellschaft füllen. Nach und nach entsteht so ein Archiv, das durch bürgerschaftliches Engagement gespeist wird. Auch das bietet "Rohstoff" für Ausstellungen.
Die Vitrinen mit den Habseligkeiten von Jarbakhil stehen gleich neben der begehbaren künstlerischen Großinstallation "Limbo Citizen" von Lilliam Dam Bracia und Pien den Hollander. Es ist eine kleine Zeltstadt. Wenn man hineingeht, wird man von den Stimmen Geflüchteter begrüßt, die aus Lautsprechern an der Zeltdecke ertönen.

Auswirkungen der deutschen Kolonialgeschichte

Dass diese Ausstellung trotz vieler Bezüge zu aktuellen Flüchtlingsschicksalen in einem historischen Museum richtig platziert ist, wird an anderen Stationen deutlich. Dort geht es um die Auswirkungen der deutschen Kolonialgeschichte auf Frankfurt am Main.
Ob es die Fotografien der Deutschen Kolonialgesellschaft sind, die heute in der örtlichen Universitätsbibliothek aufbewahrt werden. Oder ein Plakat aus der Kolonialzeit, das an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den Frankfurter Zoo einlädt. Zu einer sogenannten "Anthropologisch-Zoologischen Ausstellung". Geworben wird mit "18 Kameelen, 16 Pferden und 8 Fettschwanzschafen", neben denen auch "25 Männer, Weiber und Kinder" präsentiert werden sollten. Solcherart Spuren der Herabwürdigung von Kolonisierten im ehemaligen "Deutsch-Südwest", in Togo oder auch in Kamerun lassen sich in vielen Archiven der Mainmetropole finden.

Auch "fragwürdige Objekte" Teil der Ausstellung

"Und das ist natürlich nicht nur eine Sache von Polizei und Verwaltung, sondern auch von Kultureinrichtungen, auch von Museen. Und eine kritische Überprüfung der Museumsarbeit und der Museumssammlung ist deshalb ebenso überfällig wie ein engagiertes Eintreten von Museen gegen Rassismus." Das betont Jan Gerchow, der Direktor des Historischen Museums in Frankfurt am Main.
Deshalb sind auch "fragwürdige Objekte" aus der Sammlung des Museums Teil der Ausstellung. Etwa eine Goldmünze mit einem Porträt von Paul Emil von Lettow-Vorbeck. Der war im Ersten Weltkrieg als deutscher Generalmajor Kommandeur der Schutztruppe von "Deutsch-Ostafrika". Sie ist in einer Vitrine besonders herausgehoben und als "problematisch" gekennzeichnet.
"In den letzten Monaten wurde so oft über Rassismus und die Kolonialzeit diskutiert wie nie zuvor. Uns ist dabei aber aufgefallen, dass gerade eine Perspektive fehlt, nämlich die Perspektive der Menschen, die gegen den Kolonialismus gekämpft haben", sagt Meron Mendel, der israelische Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. Hier ist der zweite, kleinere Teil der Doppelausstellung zu sehen.

Konzentration auf den Widerstand

Meron Mendel und sein Kuratoren-Team konzentrieren sich dabei auf den Widerstand von Rassismusopfern in Europa: von der Zeit der französischen Revolution bis in 20. Jahrhundert hinein. Das Titelbild ist eine Zeichnung von Kwelle Ndumbe, die sich auf ein Ereignis im Jahr 1896 bezieht: "Er wurde zwangsweise nach Europa, nach Berlin gebracht, um an einer Völkerschau teilzunehmen. Das waren übliche Veranstaltungen, wo Hunderte und Tausende von Besuchern kamen, um die Schwarzen anzuschauen, als ob sie Tiere waren. Und Ndumbe hat einen ganz interessanten Akt gemacht. Er stand vor den Leuten, dann hat er eine Opernbrille aufgesetzt und schaut auf die Menschen zurück", so Mendel.
Durch das Opernglas vor seinen Augen vertauscht der in der Völkerschau ausgestellte Kolonisierte schlagartig die Rollen: Die Besucherinnen und Besucher der rassistischen Veranstaltung werden zu den Objekten der Beobachtung. "Und hier haben wir zwei Originale aus der Zeit der Massaker an den Herero und Nama. Hier ist eine Skizze, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Namibia entstanden ist. Das ist sozusagen das erste Konzentrationslager, das von Deutschen errichtet wurde. Nicht in Europa, sondern in Afrika", betont der Museumsdirektor.
Die aktuelle Frankfurter Doppelausstellung bietet vielfältige Anregungen zur Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex "Kolonialismus und Rassismus". Besonders verdienstvoll: der Versuch, nicht nur Opferperspektiven einzunehmen. Sondern auch kleine Widerstandshandlungen wie das Opernglas in den Blick zu rücken.
Mehr zum Thema