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Elite-Sportschulen
Teuer und ineffizient

Möglichst viele Medaillen - das wünschen sich nicht nur Sportler und Fans, sondern auch der Bundesinnenminister. So wie Spitzensport in Deutschland derzeit gefördert wird, wird es die aber nicht geben, sagen Kritiker des Systems - und fordern neue Denkansätze.

Von Bastian Brandau | 27.09.2015
    Die Olympia-Goldmedaille die ehemaligen deutschen Leichtathletin Bärbel Wöckel, die sie 1980 über 200 Meter gewann, fotografiert in Breitenbrunn im Odenwald (Hessen) am 11.03.2015 ihrem Haus.
    Viel Geld für zu wenige Medaillen: Die deutsche Sportförderung steht immer wieder in der Kritik. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Die Eliteschulen des Sports: 43 von ihnen gibt es in Deutschland, außerdem über 100 Partnerschulen. Mehr als 11.500 junge Menschen werden hier gefördert. Aber, sagt Arne Güllich, Professor für Sportwissenschaften an der Uni Kaiserslautern, die Eliteschulen sind nicht effektiver als normale Schulen. Für den Kinder- und Jugendsportbericht der Bundesregierung hat er den Leistungssport untersucht. Die hochgelobte Frühförderung, Erbe des Kampfs des System zwischen Ost und West, bringt seiner Meinung nach nicht die erfolgreichen Sportler hervor:
    "Es gibt zwar Sportler, die schon früh in der Förderung waren, und auch langjährig gefördert worden sind und auch werden. Überwiegend ist es aber so, dass die erfolgreichen Spitzensportler erst relativ spät in die Spitzenförderung aufgenommen wurden. Spätere Quereinsteiger sind unter ihnen überrepräsentiert. Und innerhalb des Systems ist erkennbar, dass relativ hohe Auffrischungsquoten von Jahr zu Jahr innerhalb der Kaderpopulation festzustellen sind."
    Wer also etwa mit 12 oder 13 Jahren ein Überflieger in seiner Sportart ist, hat statistisch gesehen nur eine geringe Chance, es mal zu einer Weltmeisterschaft zu bringen, sagt Güllich. Für seine Untersuchung hat er die bisherigen Untersuchungen zur Förderung im Kinder- und Jugendbereich zusammengetragen. Mit einer - angesichts der Kosten - niederschmetternden Bilanz für die Eliteschulen des Sports:
    "Da ist es tatsächlich so, dass die Absolventen der Eliteschulen des Sports sich im sportlichen Erfolg nicht unterscheiden von denjenigen von Regelschulen, dass sie aber Beeinträchtigungen in den Abschlüssen beziehungsweise in den nachschulischen Bildungslaufbahnen haben."
    Ein System, das Abhängigkeiten schafft
    Ehemalige Eliteschüler nehmen seltener ein Studium auf - was im Widerspruch zum formulierten Ziel liegt. Eliteschulen des Sports, so sagt Güllich, seien teuer und ineffizient:
    "Aber das heißt ja nicht, dass sie gar nichts können. Sportarten wie Skifahren, die bestimmte Zentralisierungsformen brauchen, weil sie an geografische Bedingungen gebunden sind oder weil sie an bestimmte bauliche Voraussetzungen gebunden sind wie ein Veolodrom oder eine Skischanze - in diesen Sportarten können Eliteschulen des Sports durchaus wirksam sein, auch in Hinblick auf den sportlichen Erfolg."
    Wenn der sich aber auf so geringe Ausnahmen beschränkt, warum werden dann weiterhin Millionen in dieses System gepumpt? DOSB-Präsident Alfons Hörmann gab sich bei der Präsentation des Kinder- und Jugendsportberichts im August überrascht.
    "Wenn Sie Erkenntnisse oder eine Studie haben, aus der hervorgeht, dass die Eliteschulen keine besseren sportlichen, aber schlechtere sportlichen Ergebnisse bringen, dann sollten sie uns die Ergebnisse bitte umgehend zur Verfügung stellen, weil man die dann dringend in dem Projekt verarbeiten müsste, weil es sein könnte, dass man an der Stelle völlig neu justieren müsste."
    Doch danach sieht es nicht aus. Viele Menschen innerhalb des Systems Sport profitieren von den aktuellen Fördermechanismen. Ein System, das Abhängigkeiten schafft und kaum evaluiert wird. Wem es gelungen ist, einen der begehrten Trainerposten zu ergattern, wird kaum das System hinterfragen. Ein System, das außerdem die Rückendeckung der Politik hat. Mehr Medaillen für öffentliches Geld wünscht sich der Bundesinnenminister:
    "Wenn wir Steuergelder einsetzen dafür, dann kann man dafür auch etwas erwarten. Das gilt für jeden Bereich, in dem wir Steuern einsetzen - und hier gilt das auch."
    Zeit für neue Ideen und Ansätze
    Nach den Forschungsergebnissen von Sportwissenschaftler Güllich wird es die gewünschten Medaillen jedoch nicht durch das aktuell bestehende Fördersystem geben:
    "Man könnte im Fördersystem die außerordentlich frühe Förderung lassen. Das Geld kann man sich sparen. Mit diesem Geld stärkt man die Vereine, die in dem Bereich die Hauptressource für Talententwicklung sind. Dadurch entwickeln sich mehr Talente günstig in den Vereinen, man hat also einen größeren Talentepool, ein größeres Talentepotenzial, das man später auswählt und rekrutiert - womit langfristig die Entwicklungschancen im Spitzensport steigen."
    Internationale Vorbilder dafür sind Großbritannien und Australien. Dort gibt es sogenannte Talent-Transfer-Programme. Jugendliche Leistungs-Sportler probieren zwei Monate lang eine andere Sportart aus: Leichtathleten, die aufs Rennrad steigen. Radsportler, die zu Ruderern werden oder zu nordischen Skisportlern, wie Arne Güllich erklärt:
    "Die Erfolgsquote für das UK Sport Program haben wir vor den olympischen Spielen mal untersucht: 50 Prozent. Also 50 Prozent der in dieses Acht-Wochen-Programm Aufgenommenen hatten ein Jahr später dasselbe Wettkampfniveau wie die Mitglieder der höchsten Förderquote in dieser Sportart."
    Ansätze, die in Deutschland noch in den Kinderschuhen stecken. Wenn man Leistungssport fördern will - und das wollen Parteien und der DOSB - dann, so sagt Arne Güllich, sollten neue Ansätze in der deutschen Sportförderung schnell überdacht werden.