Donaueschinger Musiktage

Avantgarde als kritische Instanz

Der Dirigent Pierre-André Valade
Der Dirigent Pierre-André Valade © Phan Man Kien/Website Valade
14.10.2016
Vier neue Werke stehen auf dem Programm des Eröffnungsabends der 95. Donaueschinger Musiktage. Pierre-André Valade leitet das SWR Symphonieorchester mit Musik von Jan W. Morthenson, Martin Jaggy, James Dillon und Klaus Schedl.
Die 1921 gegründeten Musiktage sind das weltweit älteste Festival für Neue Musik und gleichzeitig das renommierteste seiner Art. Viele bedeutende Komponisten des 20. Jahrhunderts haben hier ihre Werke uraufgeführt. Das jährlich im Oktober stattfindende Festival gibt einen Überblick über die Musikavantgarde der Gegenwart. Auch heute noch steht es für alle neuen experimentellen Formen auf dem Gebiet aktueller Musik und Klangkunst. Im 95. Jahr ihres Bestehens gibt es bei den Donaueschinger Musiktagen an diesem Wochenende 18 Uraufführungen, nebst einer ganzen Reihe von Klanginstallationen und Sound-Environments, die seit den 1990er Jahren das musikalische Spektrum erweitern.
Wo befinden wir uns, wenn wir Musik hören? Und wer sind wir, wenn wir Musik hören? Musik ist eine seduktive Kraft. Auch die Musik der Avantgarde kann uns bisweilen des kritischen Kontakts mit der Wirklichkeit entheben. Es ist nicht möglich, sich dem Gesang der Sirenen zu widersetzen. Wo Schlagermusik als ästhetisches Modell waltet, wird dem Hörer suggeriert, dass er sich nicht zu sorgen habe. Das Rauschen und der Rausch sind Formen der ästhetischen Entgrenzung, denen wir vor allem in der elektronischen Musik begegnen. Und der psychoakustischen Kunst gelingt es, unsere Wahrnehmung irrezuführen. Dennoch ist die Musik der Avantgarde eine kritische Instanz. Sie ist ein Gegenüber, das uns dazu zwingt, eine eigene Position zu beziehen. Gerade dort, wo wir ihr erliegen, schärft Musik unser kritisches Bewusstsein. Die Verführung enthält immer auch ein aufklärerisches Moment, das uns darüber ins Klare setzt, wie bereitwillig wir uns der Musik ergeben. Ästhetische Positionen heute sollten dieser Dialektik Rechnung tragen.
Grenzgänger prägen das Eröffnungskonzert der diesjährigen Donaueschinger Musiktage: archäologische Grenzen, geografische Grenzen, psychologische Grenzen. Und die Grenzen des Klangs selbst. Martin Jaggi lässt die prähistorische Anden-Stadt Caral wieder auferstehen und dringt zum Ursprung von Zivilisation und Kultur vor, während James Dillon mit "The Gates of Asia" das offene Terrain zwischen Europa und Asien durchstreift, auf der Suche nach Verflechtungen zwischen den beiden Kontinenten. An einer persönlichen, inneren Grenze bewegt sich Jan Morthenson, der in "Omega" die Frage nach der schöpferischen Libido im Alter stellt. Klaus Schedl wiederum transzendiert den Klang der Orchesterinstrumente mit Hilfe der filigranen Technik des SWR Experimentalstudios.
Wir übernehmen diese Übertragung direkt von SWR 2.
Donaueschinger Musiktage
Live aus der Baar-Sporthalle
Jan W. Morthenson
"Omega" für Orchester (Uraufführung)
Martin Jaggy
"Caral" für Orchester (Uraufführung)
James Dillon
"The Gates" für Streichquartett und Orchester (Uraufführung)
Klaus Schedl
"Blutrausch" für Orchester und Elektronik (Uraufführung)

Arditti Quartet
Experimentalstudio des SWR
SWR Symphonieorchester
Leitung: Pierre-André Valade