Don-Bosco-Zentrum in Berlin

Beistand für einen zweiten Anlauf

Eine Jugendliche mit ihrem Erzieher im Don-Bosco-Zentrum in Berlin bei einer Aktivierungsmaßnahme auf dem Weg zu einer Tischlerlehre.
Eine Jugendliche mit ihrem Erzieher im Don-Bosco-Zentrum in Berlin: Fachleute bieten den Jugendlichen hier Einblicke in zehn verschiedene Berufe. © imago/Ulli Winkler
Von Josefine Janert · 18.11.2018
Gestrauchelt, gefallen, aber nicht verlassen: Der italienische Priester Don Bosco gab Jugendlichen eine zweite Chance. Eine Ordensgemeinschaft setzt das Werk in seinem Namen fort. Zum Beispiel in einem Ausbildungszentrum am Rand von Berlin.
Es ist kurz vor Neun. In der Küche des Don-Bosco-Zentrums Berlin haben schon die Vorbereitungen für das Mittagessen begonnen. Ein junger Mann schneidet für einen Rohkostsalat Kohl in Streifen. Er macht eine zweijährige Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe. Neben ihm rührt eine Frau in einer Schüssel.
"Das ist veganes Mett: Reiswaffeln, Zwiebeln, Tomatenmark, passierte Tomaten, Oregano, Kümmel, Salz und Pfeffer."
Das Jobcenter hat sie ins Don-Bosco-Zentrum geschickt, damit sie fit wird für den Arbeitsmarkt, erzählt die 21-Jährige:
"Ich komm jeden Tag her, drei Stunden. Ich kann auch sechs Stunden. Aber ich bleib lieber drei. Und kann halt in verschiedenen Bereichen arbeiten. Ich könnt‘ jetzt auch zur Mode wechseln. Aber ich bin halt lieber in der Küche. Um mich wieder daran zu gewöhnen, früh aufzustehen und arbeiten zu gehen."
Nebenan im Speisesaal ist noch das Frühstück im Gange. Jugendliche und Angestellte des Don-Bosco-Zentrums sitzen in Gruppen zusammen, essen Brötchen, Cornflakes und Obstsalat. Der Speisesaal ist hell und freundlich, so wie die übrigen Räume des 2005 gegründeten Zentrums.

Ein Ansprechpartner für jedes Problem

In Schichten rund um die Uhr kümmern sich 64 festangestellte Mitarbeiter um Menschen zwischen 16 und 25 Jahren – Psychologen, Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen, Ergotherapeuten. Fachleute bieten den Jugendlichen Einblicke in zehn verschiedene Berufe. In einem Beruf bilden sie sie sogar aus: Fachkraft im Gastgewerbe.
Seit 2008 gehört auch der Sozialarbeiter Erik Mohring zum Team, ein hagerer Mann von 32 Jahren.
Mohring: "Unser Anspruch ist, dass jeder Jugendliche, egal, welches Problem er hat, hier einen Ansprechpartner findet. Das kann sein von: Ich bin ein Mal in der Woche nur hier, um meine Briefe mit euch zu bearbeiten, weil ich die Hälfte nicht verstehe, was da drin steht, bis hin zu: Ich komm jeden Tag, um Unterricht zu machen, um mich in einem der verschiedenen Berufsfelder hier im Haus zu erproben. Was liegt mir? Eher was Handwerkliches? Was Kreatives?
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Don-Bosco-Jugendzentrum in Berlin-Marzahn im Jahr 2016.
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Don-Bosco-Jugendzentrum in Berlin-Marzahn im Jahr 2016.© picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Dafür haben wir eben ganz verschiedene Möglichkeiten – von der Tischlerei über eine Metallwerkstatt, einen Friseur-Kosmetik-Bereich, den Kreativbereich, die Küche, die Malerwerkstatt, den ganzen haustechnischen, hauswirtschaftlichen Bereich. Bis hin zu: Ich wohne hier, ich arbeite 40 Stunden in einem Arbeitsbereich. Ich mache meinen Schulabschluss und habe gleichzeitig noch psychologische Beratungstermine."

Für Ausreißer ist ein Zimmer frei

Dass sie die Briefe vom Jobcenter und von anderen Behörden nicht verstehen, ist noch das geringste Problem, das die Jugendlichen haben. Eine junge Frau hat wochenlang die Schule geschwänzt, eine andere hat eine Suchterkrankung und Schulden. Wieder ein anderer ist in der Nacht von der Polizei aufgegriffen worden, nachdem er von zu Hause weggelaufen ist. Im Don-Bosco-Zentrum stehen für solche Notfälle zwei Betten bereit. Am nächsten Morgen können die Jugendlichen mit einem Mitarbeiter über ihre Probleme reden, erklärt Schwester Margareta Kühn.
Kühn: "Jugendliche sagen oft: Ich bin froh, dass ich genau jetzt weggerannt bin, bevor es zu irgendeinem Gewaltausbruch gekommen wäre, den ich dann hätte nicht mehr steuern können. Die Sorgen sind oft meterhoch, und dann ist es auch gar nicht mehr gut, miteinander so auf dichtem und engem Raum zusammenzuleben."
Von Schwester Margaretas dunkler Ordenstracht abgesehen, fällt kaum auf, dass die Einrichtung von zwei katholischen Ordensgemeinschaften getragen wird, den Salesianern Don Boscos und den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel. Don Bosco war ein italienischer Priester, Maria Magdalena Postel eine französische Nonne. Beide setzten sich in ihren Heimatländern für benachteiligte Jugendliche ein und wurden später vom Papst heiliggesprochen.

Im Namen des Herrn mitten im Plattenbaubezirk

Doch mit den beiden Namen könnten die meisten Einwohner von Marzahn-Hellersdorf, wo sich das Don-Bosco-Zentrum befindet, kaum etwas anfangen. Der Berliner Bezirk ist von Plattenbauten aus der DDR-Zeit geprägt. Zur katholischen Kirche fühlen sich nur wenige Menschen hingezogen. Trotzdem, so erzählt Schwester Margareta, ernte sie mit ihrer Ordenstracht keine dummen Bemerkungen, sondern eher neugierige Blicke. Sie sei auch daran gewöhnt, im Stillen zu beten.
Kühn: "Doch, ich bete ständig, aber nicht, dass das alle sehen. Ich verstehe Beten nicht als: Übernimm du das mal bitte, ich gehe jetzt in die Kirche. Für mich ist Beten im Gehen, im Alltag vor allen möglichen Gesprächen, vor jeder Begegnung: Herr, hilf mir, dass ich jetzt das Richtige sage oder an der richtigen Stelle den Schnabel halte oder dass mir das Richtige einfällt. Oder: Lass es gut gehen in dieser Nacht.
Ich bin in Marzahn-Hellersdorf jeden Morgen froh, wenn dieses Haus hier mittendrin, an dieser Stelle gut durch die Nacht gekommen ist. Viele Jugendliche wohnen ja auch hier, schlafen hier. Der Nachtdienst weiß nie, was ihm geschieht."

Am Tresen gibt es keinen Alkohol

Im Erdgeschoss des Don-Bosco-Zentrums steht ein Tresen, an dem zwischen 6 und 21.30 Uhr alkoholfreie Getränke ausgeschenkt werden. Von den 250 Jugendlichen, mit denen das Zentrum in Kontakt steht, kommt etwa die Hälfte täglich vorbei. Zu denen, die dadurch die Kurve gekriegt haben, gehört der 21-jährige Sebastian:
"Naja, als Kind hab ich halt sehr viel geschwänzt und bin auch ein Heimkind gewesen und bin halt umher geswitcht. Und jetzt, so vor ein paar Jahren kam halt das Klick, und dann hab ich beschlossen, hier meine Schule nachzuholen."
Sebastian hat im Don-Bosco-Zentrum in einer Kleingruppe gelernt und seinen Schulabschluss geschafft – ebenso wie der 18-jährige Igor, der in Kasachstan geboren wurde und als Spätaussiedler nach Berlin kam. Sebastian sucht jetzt einen Betrieb, der ihn zum Busfahrer ausbildet. Igor hat noch größere Pläne:
"Bei mir hat sich das echt in meinem Kopf alles umgedreht, wo ich das hier kennen gelernt habe, wo ich dann wieder angefangen habe, Schule zu machen. Davor dachte ich: Arbeiten, ach, lass mal Schule sein. Aber ich hab jetzt wieder angefangen. Das hat sich bei mir so gut entwickelt, dass ich jetzt mein Abitur machen will. Und danach will ich auf jeden Fall noch studieren. Vielleicht Philosophie."
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