Dokumentarfilm über Gentrifizierung

"Das Land gehört allen!"

Mit einer Verdunklungsation protestieren Gewerbetreibende des Kreuzberger Oranienkiez gegen Gentrifizierung.
Mit einer Verdunklungsaktion protestieren Gewerbetreibende des Kreuzberger Oranienkiez gegen Gentrifizierung. © imago
Von Marietta Schwarz  · 22.11.2017
Bei der diesjährigen Architekturbiennale in Chicago hat der Dokumentarfilm "The Property Drama" für Wirbel gesorgt. Es geht um Preisexplosionen auf dem Wohnungsmarkt, Verdrängung und die Zukunft unserer Städte.
Nur 30 Minuten dauert dieser Film, vielleicht hätten ihm ein paar mehr gut getan. 30 atemlose Minuten, in denen weltweit agierende Architekten über das "Property Drama", das Drama mit dem Eigentum sprechen.
Es geht um den Grund und Boden, der uns, der Stadtgesellschaft, zunehmend abhanden kommt, weil er in private Hände gelangt, deren Profitgier keine Grenzen kennt. Denn so ein Stück Stadt ist per se ja eine gute Geldanlage!

Bodenpreise um 36.000 Prozent gestiegen

Hans-Jochen Vogel, inzwischen 91-jährig, ist kein Architekt, war aber Oberbürgermeister. Und er kommt in diesem Film auch zu Wort. "Wenn einer gar nix macht und der Wert steigt nicht in Folge seiner Anstrengung, sondern weil die Stadt wächst und dadurch der Bedarf zunimmt, dann sind das Gewinne, für die er selber keinen eigenen Beitrag geleistet hat" ... und diese Gewinne daher, so der SPD-Politiker weiter, äußerst fragwürdig sind.
Und dann nennt Vogel diese Zahl, die einem die Sprache verschlägt: In München ist der Bodenpreis seit 1950 bis heute um etwa 36.000 Prozent gewachsen! 36.000 Prozent!

"Nicht jeder hat ein Recht auf Wohnen in der Mitte"

Die Zahl stimmt, versichert die zuständige Behörde in München. Und liefert – der Film ist längst vorbei - noch eine nach: Münchner Innenstadt, Kaufinger Straße, da liegt der Bodenrichtpreis bei 120.000 Euro. Vogel beschreibt im Film, wie die SPD damals mit ihren Gesetzesvorhaben, diese Entwicklung zu verhindern, an Lobbyisten scheiterte. Unerwähnt bleibt freilich die neoliberale Erosion in der eigenen Partei Jahre später, etwa der Ausverkauf kommunaler Liegenschaften in Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der noch vor wenigen Jahren polterte: "Nicht jeder hat ein Recht auf Wohnen in der Mitte."
Doch kommen wir zum Film zurück, der sich mit der Aneinanderreihung von einem Dutzend Talking Heads begnügt, keinen Raum für Reflektion lässt, und die fehlenden Bilder des Sujets - es geht doch um Stadt, oder? - mit penetranter musikalischer Untermalung wettzumachen sucht.

Wenn auch Luftrechte gehandelt werden

Urheber: Der Filmemacher Christopher Roth und der Architekt Arno Brandlhuber, letzterer bekannt für steile Thesen zu brisanten Fragen. Das ist kein Film, sondern eine Unterrichtsstunde in Kapitalismus. Den Advocatus Diaboli gibt Patrick Schumacher, Büropartner der verstorbenen Architektin Zaha Hadid. Er sieht das Individuum als Entwicklungsmotor, der durch Regulierungsmaßnahmen gebremst wird.
Doch die Realität lehrt anderes: Was, wenn das Individuum seine Verantwortung vergisst? Wenn nicht mehr das Individuum, sondern der globalisierte Markt die Bodenpreise in die Höhe treibt? Wenn ungleiche Bedingungen herrschen, wie die Urbanistin Raquel Rolnik anmerkt, etwa zwischen dem Durchschnittsverdiener und dem Scheich oder dem russischen Magnaten? Wenn längst nicht nur mit Grund und Boden, sondern, wie in New York, auch mit Luftrechten gehandelt wird, um noch höher, noch dichter zu bauen?

Architektur des guten Willens löst keine Probleme

Die Idee von Privateigentum ist anormal, soweit geht Phyllis Lambert, Gründerin des kanadischen Architekturzentrums CCA, inzwischen auch 90 Jahre alt. Und: Das Land gehört allen! Auch Henry George, amerikanischer Ökonom des 19. Jahrhunderts, erkannte den Besitz von Grund und Boden als Ursprung allen Übels. Weshalb eine Stadt wie Wien über den neoliberalen Zeitgeist hinweg an ihrer alten Tradition festhält, heißt: nicht nur der des sozialen Wohnungsbaus, sondern auch des Grundstückserwerbs. Den Architekten bleibt in "Property Drama" nur der wehmütige Blick zurück – als noch mit architektonischen Visionen sozial gebaut wurde.

Schaut hin, sagt Jean-Philippe Vassal. Wir Architekten könnten fantastische Projekte realisieren. Am Ende aber der Appell an die Politik: Eine Architektur des guten Willens allein löst keine Probleme.
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