Dokumentarfilm „Pink Elephants“

"Es kommen automatisch Emotionen hoch"

Der Schauspiel-Lehrer Bernard Hiller während eines Schauspiel-Workshops in Berlin
Der Schauspiel-Lehrer Bernard Hiller während eines Schauspiel-Workshops in Berlin © imago/David Heerde
Susanne Bohlmann im Gespräch mit Susanne Burg · 10.11.2018
Es fließen viele Tränen, mancher fühlt sich wie nackt. Schauspielcoach Bernard Hiller gelinge es dennoch, die meisten Menschen in seinen Master Classes "super-euphorisch" zu machen, sagt Susanne Bohlmann. In „Pink Elephants“ zeigt sie seine Arbeit.
Susanne Burg: "Pink Elephants" – das ist ein neuer Dokumentarfilm. Und er wirft einen sehr eigenen Blick auf den vermeintlichen Traumberuf Schauspieler. "Pink Elephants" begleitet denn US-amerikanischen Schauspielcoach Bernard Hiller bei seiner Arbeit. Hiller reist quer durch die Welt und bietet Master Classes an. Drei- bis viertägige Workshops für schon ausgebildete Schauspieler. Schauspieler aus allen Bereichen, dem Theater, Musical oder Film. Was er da genau macht, das zeigt der Film und darüber will ich auch mit der Regisseurin von "Pink Elephants" sprechen, mit Susanne Bohlmann, guten Tag.
Susanne Bohlmann: Hallo!
Burg: Wir sollten ein bisschen über die Methode reden. Er arbeitet damit, dass die Schauspieler ihre Ängste ergründen. Sie zeigen ihn dann auch dabei, wie er zum Beispiel von Schauspieler zu Schauspieler geht, sie ansieht und ihnen direkt sagt, wo ihre Probleme liegen.
Er geht dann herum, sagt, diese Frau hier, die war ihr Leben lang traurig, sagt er über eine Teilnehmerin. Bei ihr gibt es keine Liebe, nichts. Und bei einem anderen Teilnehmer sagt er, ja, der ist auch traurig. Wir kennen ja diesen Ansatz, dieses Arbeiten mit Gefühlen vor allem aus dem Method Acting. Wie unterscheidet sich denn der Ansatz von Bernard Hiller eigentlich?
Bohlmann: Beim Method Acting würde ich sagen, arbeitet man natürlich auch mit eigenen Emotionen, Erinnerungen, Gefühlen, alles, was im Körper und im Geist gespeichert ist. Aber man arbeitet eben auch konkret an Szenen. Das habe ich so nicht wirklich erlebt. Ich würde sagen, dass vielleicht 15 Prozent dieses Workshops aus Szenen bestehen. Das heißt, jeder darf mal eine Szene spielen. Bernhard Hiller sagt dann seinen Teil dazu, aber es ist meistens auch nicht genug Zeit, dass jeder da seine Szene spielen kann und sozusagen das, was er jetzt eben an Emotionen und so weiter erlebt hat, dann auch mit in die Szene nimmt.
Für mich war der Fokus ziemlich schnell weg vom Schauspiel, muss ich sagen. Ich kenne es ja selbst, ich bin ja gelernte Schauspielerin, kenne es aus meiner Ausbildung, dass man da bestimmte Übungen macht und so weiter. Aber das hier wirkte auf mich wie eine ganz andere Herangehensweise. Es ging sofort um ganz urmenschliche Bedürfnisse und Ängste. Für mich hat es mit Schauspiel wenig zu tun gehabt. Ich habe nur noch gedacht, Schauspieler passen hier natürlich super rein, weil die so einen großen Traum haben. Und jemand, der so einen großen Traum hat, der ist natürlich auch bereit, viel dafür zu tun, und sehr offen. Und da sind Schauspieler natürlich auch besonders empfänglich für.

"Man fühlt sich auf einmal nackt"

Burg: Gerade die Szene, die wir eben gehört haben, das war ja irgendwie an Tag eins oder zwei, oder? Und in solchen Workshops sind dann 20, 30 Leute. Woher nimmt er eigentlich dann diese Erkenntnis, dass eine Person ihr Leben lang traurig war? Es wirkt auf mich erst mal auch ganz schön anmaßend, ehrlich gesagt.
Bohlmann: Für mich ist das eine ganz interessante Technik. Er lässt ja die Leute vorher sich in Zweiergruppen zusammenfinden, und sie sollen sich nur in die Augen schauen, so 20 Minuten. Ich weiß nicht, das haben bestimmt noch nicht viele Menschen gemacht, aber wenn man jemandem wirklich mal 20 Minuten in die Augen schaut, dann passiert was mit einem. Es kommen automatisch Emotionen hoch, man fühlt sich auf einmal nackt. Man kann gar nicht mehr dem Blick des anderen ausweichen, man hat das Gefühl, man wird gesehen. Das gibt einem wieder ein schönes Gefühl. Und da passiert schon ganz viel. Und dann kommt der Moment, wo Bernhard Hiller rumgeht und natürlich auch ein bisschen Menschenkenntnis mitbringt und ein bisschen Körpersprache lesen kann. Das heißt, wenn eben bei Leuten, und das passiert dann oft, irgendwie schon die Tränen laufen, dann weiß er, das ist ein emotionaler, sensibler Mensch, und hat natürlich eine relativ hohe Trefferquote, wenn er dann sagt, du bist traurig. Oder jemand, der nervös wirkt, du hast Angst. Also ich finde, er hat viele Sachen gesagt, die eigentlich auf uns alle zutreffen.
Burg: Es fließen sehr viele Tränen. Sie interviewen dann hinterher auch die Teilnehmer, die aber immer sehr beglückt wirken, die in dem Augenblick offensichtlich durchaus zugänglich sind für diese Sachen. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Bohlmann: Das war in der Tat so. Also wir hatten einen Protagonisten, den wir eigentlich von Anfang an begleiten wollten, den wir auch am Tag vor dem Workshop noch interviewt haben, der relativ skeptisch war und im Grunde, das ist die Szene, wo Bernard Hiller fragt, wer vertraut mir hier in dem Raum, und er hebt nicht seine Hand. Das ist der Matthias, und der ist in der Mittagspause gegangen, weil er es ganz furchtbar fand und ganz schlimm und sich ganz schlimm manipuliert fühlte und das für sich einfach nicht vertreten konnte.

"Wie lange die Euphorie anhält ist eine andere Frage"

Aber ansonsten, muss ich sagen, waren die Reaktionen zu 90 Prozent super-euphorisch. Also die Leute, die sich drauf eingelassen haben … und das mussten letztendlich alle sein, denn die, die sich nicht drauf eingelassen haben, die wurden von Bernard Hiller nach Hause geschickt oder sind selbst gegangen. Die Gruppe funktioniert, und wenn man sich drauf einlässt, dann passieren da ganz viele Sachen. Selbst beim Filmen sind bei mir ganz viele Sachen passiert, und die Leute wirkten euphorisch, sie waren auch euphorisch. Wie lange das dann anhält, ist eine andere Frage.
Burg: Das wäre meine Frage, die Sie auch nicht beantworten können, was dann mit den Leuten passiert, wenn sich das setzt nach drei Wochen und sie alleine sind mit all dem, was da aufgewühlt wurde.
Bohlmann: Genau. Also es ist schon so, wir sind ja jetzt schon sehr, sehr lange an dem Projekt dran. Das heißt, ich habe schon auch einige Langzeiterfahrungsberichte, die sind in der Tat nicht ganz so euphorisch. Also die meisten sehen das heute ganz anders, sind viel skeptischer, hatten auch Bedenken, ob sie im Film zu sehen sind. Ich glaube, auf lange Sicht gesehen funktioniert es dann eben nicht. Also wenn man einen kurzen Kick braucht oder diese Erfahrung einfach einmal braucht und die dann mitnimmt, dann kann das durchaus positiv wirken, aber es hält nicht für immer, denn es ist wirklich nur kurzfristiger Rausch.
Burg: Wir werden das gleich auch noch mal vertiefen. Hier im Studio sitzt auch noch Ingrid Lutz. Sie hat sich schon fleißig Notizen gemacht. Wir werden das Ganze gleich auch noch mal aus therapeutischer Sicht näher besprechen.
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