Dokumentarfilm

Notizen eines Massenmörders

Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler
Der NS-Verbrecher Heinrich Himmler © picture-alliance / dpa
Moderation: Liane von Billerbeck · 10.02.2014
Viele Jahrzehnte lagen in einer Wohnung in Tel Aviv Tagebücher von Heinrich Himmler versteckt - einem der mächtigsten Nazis und Chef der Waffen-SS. Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa hat sie als Material für einen Film genutzt.
Liane von Billerbeck: Jahrzehntelang haben sie in einer Wohnung in Tel Aviv gelegen – nun kommen die Tagebücher, Briefe und Notizen an die Öffentlichkeit, allesamt von und an Heinrich Himmler, einem der mächtigsten Nazis und als Chef von Waffen-SS, Gestapo und Polizei Organisator des Holocaust. Es sind schriftliche Hinterlassenschaften aus dem Privatbesitz des Mannes, der eine entscheidende Rolle bei der Vernichtung der Juden spielte, die nun ausgerechnet in Israel lagen.
Vanessa Lapas Vater hat sie erworben. Die in Belgien geborene und aufgewachsene Regisseurin hat die Dokumente, Briefe, Tagebücher, Fotos von dem privaten Heinrich Himmler als Material für einen Film benutzt, der bei der Berlinale Premiere hat, und er trägt den Titel "Der Anständige". Vanessa Lapa ist in unserem Berlinale-Studio zu Gast. Herzlich Willkommen!
Vanessa Lapa: Danke!
von Billerbeck: Fotos und Briefe, private Tagebücher und Dokumente von Heinrich Himmler, die jahrzehntelang in einer Wohnung in Tel Aviv gelegen haben – wie kam Ihre Familie zu diesen Dokumenten?
Lapa: Wir bekamen sie vom Sohn von Chaim Rosenthal, der die über 40 Jahre besessen hatte, und er hatte zusammen mit seinem Vater entschieden, diese Sammlung in Israel jemandem zu geben, der etwas Wichtiges damit tun kann, der etwas Bedeutendes damit anfangen kann. Und die sprachen dann darüber, und das erfuhr dann auch mein Vater, und er hat dann an mich gedacht und hat versucht, mich zu überzeugen, etwas damit zu tun, etwas mit diesen Dokumenten anzufangen. Das hat einige Monate gedauert, mich zu überzeugen, aber dann war ich wirklich überzeugt, und man kann sagen, es war eigentlich ein Zufall, es war sozusagen übers Hörensagen, dass diese Dokumente zu uns gekommen sind.
von Billerbeck: Das klingt sehr geheimnisvoll, "die Dokumente sind zu uns gekommen". Wie sind Sie denn zu Chaim Rosenthal gekommen? Himmler-Briefe, Dokumente, Tagebücher – die fliegen ja nicht einfach so in der Weltgeschichte rum.
Lapa: Das ist die einzige offene Frage, die es noch gibt, wie die Dokumente von Heinrich Himmler zu Chaim Rosenthal gekommen sind. Was feststeht ist, dass sie von amerikanischen GIs gestohlen worden sind, die 1945 ins Haus von Himmler kamen. Und da gibt es mehrere Möglichkeiten. Also alle Zeitzeugen sind ja inzwischen tot, keiner kann die wirkliche Geschichte genau erzählen, und es gibt Spekulationen über Mexiko, Amerika, wahrscheinlich auch Europa, das ist wirklich noch nicht ganz geklärt. Man ist sich nicht sicher, wie die Dokumente von Gmund zu Chaim Rosenthal gekommen sind.
von Billerbeck: Nun erinnern wir uns hierzulande noch sehr deutlich an den großen Skandal um angeblich echte Hitler-Tagebücher, die die Illustrierte "Stern" veröffentlicht hatte und die sich dann als gefälscht herausstellten und den Ruf des Blattes für lange Zeit ruinierten. Was haben Sie denn unternommen, um die Echtheit dieser Himmler-Dokumente zu überprüfen?
Authentizität der Dokumente ausreichend geprüft
Lapa: Als erstes habe ich schon mit etwas angefangen: Bevor ich die Sammlung überhaupt bekam, habe ich sie sozusagen authentisieren lassen. Ich habe da mit dem Bundesarchiv in Koblenz zusammengearbeitet und dann auch in Israel mit Michael Wildt. Gemeinsam gab es schließlich den klaren Beleg für die Authentizität dieser Dokumente, und das war für mich ausreichend. Und auf der einen Seite steht dieser physische Prozess der Feststellung der Authentizität dieser Dokumente, und auf der anderen Seite gab es aber auch die Briefnummerierung: Die Briefe, die Himmler an seine Frau Marga geschrieben hat, waren alle durchnummeriert. Und diese Daten gab es auch in Koblenz, und die stimmten mit denen auf den Briefen überein, und auch die Daten der Tagebucheinträge, all diese stimmten überein und die konnten so nicht gefälscht gewesen sein.
von Billerbeck: Frau Lapa, Sie kommen aus einer jüdischen Familie, haben diesen Film auch Ihren überlebenden Großelternpaaren gewidmet. Mit welchem Gefühl haben Sie als Angehörige von Schoah-Opfern die privaten Briefe eines Massenmörders angefasst?
Lapa: Der Hintergrund meiner Familie war zunächst kein Faktor in der Entscheidung, diese Herausforderung anzunehmen, einen Film aus diesen Dokumenten zu machen. Nach ein paar Jahren wurde es dann durchaus emotional, nachdem ich mich mehr mit dem Material beschäftigt habe und als ich merkte, was ich da tat. Dann sah ich auch mehr den Zusammenhang mit der Geschichte meiner Familie. Aber abgesehen von bestimmten Momenten, in denen es dann emotionaler wurde, stand doch die Arbeit im Vordergrund. Man muss das so sehen, dass die persönliche Familiengeschichte, meine persönliche Familiengeschichte nicht getrennt von der zu sehen ist, von der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, von der Geschichte des jüdischen Volkes allgemein. Und diese andere große Geschichte, der geschichtlichen Ereignisse des jüdischen Volkes ist in Verbindung mit Himmler weitaus größer zu bewerten.
von Billerbeck: Ein Film, der über 90 Minuten das Leben Heinrich Himmlers von 1900 bis 1945 aus seinen Briefen an Frau, Tochter, Geliebte und aus seinen Tagebüchern rekonstruiert. Was steht da drin, was erfährt man daraus über Himmler?
Lapa: Für mich war alles neu. Ich bin ja keine Historikerin und ich habe nicht derartige Informationen über Himmler gehabt bisher, und auch, wenn es historisch jetzt nichts Neues war, so erschien mir es doch alles wichtig zu sein, und mir erschien es auch wichtig, das Leben Himmlers durch sein Schreiben wieder aufleben zu lassen, zu zeigen, wie es funktioniert hat. Es war wichtig, zu verstehen, wie ein Mann mit einem bestimmten Charakter und vor einem bestimmten Hintergrund in der Lage war, so zu handeln, so etwas zu tun, was er getan hat, so zu werden, wie er geworden ist.
von Billerbeck: Vanessa Lapa ist bei uns zu Gast, die Regisseurin hat einen Film gedreht, der heißt "Der Anständige", und der Film ist entstanden aus Material, aus privaten Tagebüchern, Briefen und Notizen des NS-Verbrechers Heinrich Himmler. Nun kennen wir ja von Himmler die berüchtigte Posener Rede vom 4. Oktober 1943, in der er die SS ermutigte, stolz auf ihre Härte zu sein, die es vor jüdischen Leichen brauchte, Zitat, "wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen", Zitat Ende. Und diese Eiseskälte Himmlers, sein reines Gewissen beim millionenfachen Mord an Juden – wollen wir von so einem wissen, dass er seine Briefe mit "Papi" unterschrieb und 1941 mal seinen Hochzeitstag vergessen hat?
Lapa: Ich glaube, dass das, was Sie gerade gesagt haben, genau zeigt, warum diese Geschichte so wichtig ist, warum es auch so dringend ist, dass zukünftige Generationen sich damit auseinandersetzen, das erfahren können. Himmler war keine Jekyll-Hyde-Persönlichkeit. Und wenn man sich jetzt seine anständige Posener Rede anguckt, dann ist da gar nicht so ein riesiger Unterschied zu dem anständigen Papi, mit dem er unterschrieben hat. Ich glaube, dass er wirklich alles, was er tat, getan hat, weil er dachte, es soll so sein, er muss das so machen. Er hat auch mit "Papi" unterschrieben, nicht weil er einen emotionalen Ausbruch hatte, sondern weil er dachte: So muss ich das unterschreiben. Also der Kontrast zwischen der Rede und den Briefen muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden.
von Billerbeck: Es gibt einige Zitate auch aus früheren Jahren, vor der Nazizeit, von Himmler in Ihrem Film, da schreibt er: "Der Mensch nordischer Rasse ist der schönste, Mann wie Weib", oder er schreibt dann später, als er schon dabei ist, die Judenvernichtung zu organisieren: "Die Juden, die uns ermorden wollten – man darf sie vernichten, aber man darf sie nicht berauben", und da gibt es durchaus dann einen Unterschied, weil er schickt Raubgut quasi an Frau und Tochter, Stoffe, Handtaschen, alles, was im Krieg so schwer bekommt. Da hat er sich also ohne mit der Wimper zu zucken bedient. Das zeigt da schon eine Doppelmoral.
Lapa: Ja, diese Doppelmoral gibt es auf jeden Fall. Wenn wir wissen wollen, ob diese Rede mit Absicht gehalten wurde, dann muss man das auch vor diesem Hintergrund sehen, die Rede über das Stehlen des jüdischen Eigentums. Er sagt ja seinen Leuten, ihr sollt nichts stehlen, ihr sollt diese Dinge nicht stehlen, und gleichzeitig gibt er sie seiner Frau, seiner Familie weiter, er stiehlt also. Und historische Nachforschungen haben ergeben, dass es wirklich exakt so war, da gibt es keinen Zweifel. Alles sollte dem Reich gegeben werden – und er nahm es selbst und gab es seiner Frau. Das ist ein Beispiel dieser Doppelmoral, und es war uns sehr wichtig, das auch im Film so drin zu haben.
von Billerbeck: Sie haben ja auch Briefe an die Tochter Gudrun und von der Tochter Gudrun an Heinrich Himmler, und da gab es einen, als ich den Film gesehen habe, der hat mich dann doch beschäftigt. Wenn wir den Ausdruck KZ Dachau hören, dann denken wir an Terror, dann denken wir an Sterben und Tod, und die Tochter hat mit ihrer Mutter dieses KZ Dachau bei München besucht und das Fazit dieses Besuches lautete: "Schön war’s!"
"Den Film von innen spüren"
Lapa: Es ist sehr wichtig dabei, zu verstehen, dass Gudrun deshalb einen schönen Besuch hatte, weil sie eben nicht die Teile des Konzentrationslagers sah, wo die Zwangsarbeit stattfand, wo die Leute geschlagen wurden, wo das große Leiden war. Sie sah die großen Gärten. Und das Problem liegt nicht darin, was sie schreibt, sondern darin, was die Eltern sich entschieden hatten, ihr zu zeigen. Ihre Erfahrung und ihre Darstellung dieser Dinge sind eine Kritik an ihren Eltern und nicht an Gudrun selber. Sie hat es wirklich so gesehen.
von Billerbeck: Wer solche Dokumente hat wie Sie, der hat ja erst mal schriftliche Zeugnisse und Fotos. Das macht ja noch keinen Film. Es erscheint ein Buch derzeit von Katrin Himmler und dem Historiker Michael Wildt. Aber 90 Minuten Dokumentarfilm, die funktionieren ja nicht ohne Ton. Was haben Sie da untergelegt, wie haben Sie das bearbeitet?
Lapa: Wie wir es mit dem Text gemacht haben, also nur Originale und die Originalworte zu nehmen, die Himmler auch gesprochen hat, die authentischen Texte zu verwenden, so haben wir es ja auch mit dem Bildmaterial gemacht. Und beim Sound haben wir uns dann auch auf Archivgeräusche bezogen. Wir haben sozusagen die Tonwelt der Zeit von damals wiedererstehen lassen. Wir haben alte Musikquellen aufgetan. Wir haben das so geplant, dass man den Film von innen spüren soll, nicht als Außenseiter da herangehen soll. Und deswegen haben wir nur Originalaufnahmen verwendet, also die Worte, auch die Züge, die da durchfahren, all diese Dinge, es waren nur echte Aufnahmen und auch von Original-Straßenbahnen zum Beispiel aus dieser Zeit.
von Billerbeck: Der Film endet mit Leichenwagen, mit Toten, und er endet mit Schrifttafeln, auf denen Sie mitteilen, was aus den Personen, deren Briefe und Tagebücher Sie verwendet haben, geworden ist, und er endet unter anderem damit, dass Gudrun Himmler, die Tochter von Heinrich Himmler, immer noch die Stille Hilfe unterstützt hat, also eine Hilfe, die Juristen, rechtsanwaltliche Hilfe bietet für alte Nazis. Da ist ja noch etwas offen.
Lapa: Die Idee oder der Grund, warum wir am Ende sagen, was aus den fünf Charakteren, die im Film auftauchen, passiert ist, liegt daran, dass wir die Geschichte damit zu Ende führen wollten. Und es war Zufall, dass Gudrun nun eben bei der Stillen Hilfe gearbeitet hat. Wir haben das nicht ans Ende gesetzt, um zu zeigen, dass die Tochter von Heinrich Himmler jetzt rechtsradikal wäre oder so. Die Frage war eben: Was passierte mit Heinrich Himmlers Tochter, nachdem sie so eine Beziehung zu ihm gehabt hatte?
von Billerbeck: Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa, deren Dokumentarfilm "Der Anständige" bei der Berlinale Weltpremiere hat, ein einzigartiges Dokument aus privaten Briefen und Tagebüchern eines der größten Naziverbrecher und Organisator des Holocaust Heinrich Himmler, jahrzehntelang haben sie in einer Wohnung in Tel Aviv gelegen. Frau Lapa, ganz herzliche Dank für das Gespräch, das Marei Ahmia übersetzt hat.
Lapa: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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