Dokumentarfilm "Franco vor Gericht?"

Die Mär vom guten Diktator lebt weiter

Der spanische Diktator General Francisco Franco am 26.05.1974 in Madrid
Der spanische Diktator Francisco Franco starb vor 43 Jahren. Doch Spaniens Gesellschaft hat die Zeit der Unterdrückung bisher nur wenig aufgearbeitet. © UPI/dpa
Von Wolfgang Hamdorf · 15.10.2018
Nicht über die Diktatur sprechen: Das gehörte zum stillschweigenden Pakt für die Demokratisierung Spaniens nach General Francos Tod 1975. Der Film "Franco vor Gericht?" zeigt, wie die Opfer bis heute dafür kämpfen, dass ihr erlittenes Leid anerkannt wird.
Die spanische Gesellschaft ist zur Zeit stark polarisiert, nicht nur durch die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, sondern auch im Umgang mit der Vergangenheit. Die Aufarbeitung der Vergangenheit war nie einfach und erst nach dem Amnestiegesetz von 1977 blieben die Verbrechen der Diktatur straffrei. Ab dem Jahre 2000 begann eine breite Bürgerbewegung gezielt nach den, in anonymen Massengräbern verscharrten, Opfern von Bürgerkrieg und Diktatur zu suchen.
Erst vor zehn Jahren trat ein Gesetz in Kraft, das den Umgang mit den Denkmälern der Diktatur und den Ansprüchen der Opfer regelt. Seit dem Beginn der Bürgerbewegung zur Aufarbeitung der Vergangenheit sind zahlreiche Dokumentarfilme zu den Verbrechen der fast 40 Jahre andauernden Diktatur entstanden. Am 16.10.2018 startet "Franco vor Gericht: Das Spanische Nürnberg?" der Filmmemacherin Lucía Palacios in Berlin.
Francisco Franco kam nach einem Putsch und einem blutigen Bürgerkrieg an die Macht. In den fast 40 Jahren seiner Herrschaft über Spanien töteten seine Schergen nach Schätzungen von Historikern 140.000 Regimegegner und verscharrten sie in Massengräbern. 185 Konzentrationslager wurden errichtet.
Jetzt will die sozialistische Minderheitsregierung Franco aus seinem monumentalen Mausoleum, nordwestlich von Madrid, mit dem höchsten freistehenden Kreuz der Welt, umbetten. Geschehen soll dieser späte Akt der Vergangenheitsbewältigung in aller Stille.

Familie fordert Staatsbegräbnis

Die Familie des Diktators wehrt sich juristisch und in den Medien gegen die Umbettung, würde ihn aber jetzt auch in der Krypta der Kathedrale von Madrid beisetzten. Dazu fordern die Enkel und Urenkel des Diktators alle protokollarischen Ehren, die einem ehemaligen Staatschef zustehen würden: Salutschüsse, Ehrenbataillon und die Nationalhymne. Der hochsymbolische Akt der Vergangenheitsbewältigung bekäme so eine groteske Ambivalenz. Nach ihrer Umbettung aus der faschistisch-nationalkatholischen Gedenkstätte würden die Gebeine des Diktators eine noch prominentere letzte Ruhestätte bekommen.

Das Märchen vom "guten Diktator"

Ein exemplarischer Fall, der zeigt, dass auch 43 Jahre nach dem Tod Francos die Vergangenheit immer noch nicht wirklich aufgearbeitet wurde, sagt die Filmemacherin Lucía Palacios. Das erkläre auch die ambivalente Wahrnehmung des Diktators im In- und Ausland:
"Franco war der gute Diktator, also nicht so ganz böse wie Hitler oder Mussolini, so wie ein netter alter Onkel, wie übrigens auch für viele Spanier. Die spanische Gesellschaft ist wirklich in zwei Lager geteilt, die Meinungen gehen so auseinander. Wenn wir jetzt über Franco sprechen und dass Franco jetzt wieder woanders begraben werden soll, und, und, und."

Gräber der Ermordeten sind noch immer unbekannt

Aber was ist mit den anderen, was ist mit den anderen Spaniern, die nicht einmal wissen, wo ihre Toten sind?
Die Verbrechen des Regimes, das nicht nur das Ende seiner faschistischen Verbündeten überlebte, sondern im Kalten Krieg zum wichtigen Alliierten von USA und NATO aufstieg, sind nie juristisch verfolgt worden, ergänzt Lucía Palacios Co-Regisseur Dietmar Post:
"Franco ist eben nie verurteilt worden, wie im übrigen auch alle anderen Putschisten nie verurteilt wurden. Da gab es kein Nürnberg, wenn man so will, oder kein Tokio und von daher denken die Leute, na so schlimm war die Diktatur nicht."

Späte Spurensuche

Erst sehr spät, im Jahr 2000, hatten Bürgerinitiativen mit der systematischen Suche nach den Opfern der Diktatur begonnen. Von Anfang an dabei war der weltbekannte Gerichtsmediziner Francisco Etxeberria, der zur Premiere des Films nach Berlin gekommen ist. Bis heute arbeitet er an der Identifizierung der Toten aus mehr als 500 spanischen Massengräbern.
"Der Übergang zur Demokratie in Spanien beinhaltete ein verordnetes oder vielleicht auch vereinbartes Schweigen, und deswegen haben wir hier erst sehr spät angefangen mit unserer Arbeit. Viele der Beteiligten sind mittlerweile verstorben und die Erinnerungen der noch Lebenden aufzuzeichnen wird immer schwerer."

Anerkennung durch eine Völkerrechtsklage

Besonders stark war der Widerstand der konservativen Volkspartei und der katholischen Kirche gegen die Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur. Dabei ist deren strafrechtliche Verfolgung in Spanien durch das Amnestiegesetz von 1977 ohnehin unmöglich. Daher gingen die Angehörigen der Opfer mit ihrer Klage ins Ausland: Die argentinischen Richterin Maria Servini de Cubria, prüft eine Anklage im Rahmen des Völkerrechts wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordes. Der Dokumentarfilm "Franco vor Gericht: Das Spanische Nürnberg?" begleitet die argentinische Richterin bei ihren Zusammentreffen mit den Opfern der Diktatur in Spanien.
Er rekonstruiert die Verbrechen des Regimes von den ersten Massakern im Bürgerkrieg 1936 bis zu den letzten Hinrichtungen kurz vor Francos Tod und zu den Polizeimassakern und Folterungen in der Zeit der "Transición", des Übergangs zur Demokratie. Mit aussagekräftigen Archivbildern und Interviews mit den Opfern und Tätern rekonstruiert der Film den historischen Kontext, aber auch die Spaltung der spanischen Gesellschaft bis heute. Dietmar Post:
"Ein Einzelschicksal ist nie nur ein Einzelschicksal. Das Einzelschicksal hängt an politischen Bedingungen, die es vielleicht vor 40, 50, 60 oder 80 Jahren im Falle Spaniens gegeben hat. Und wenn sich eben diese Einzelschicksale, und darum geht es ja auch in dieser Anklageschrift, wenn sich diese Einzelschicksale sich zum Beispiel summieren und systematisch gewesen sind, erst dann hat ja so eine Anklage auch ein Recht Anklage zu sein, weil wenn man Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachweisen will, muss man beweisen, dass es sich um systematische Verbrechen gehandelt hat."

Dokumentarfilme machen die Diktatur begreifbarer

"Franco vor Gericht: Das Spanische Nürnberg?" steht in einer Reihe von engagierten Dokumentarfilmen, die sich mit den Verbrechen des Regimes und der schwierigen Aufarbeitung der Vergangenheit in Spanien beschäftigen: Etwa "Francos Erbe - Spaniens geraubte Kinder" der deutschen Regisseurin Inga Bremer über die Zwangsadoptionen und den Raub von etwa 300.000 Neugeborenen. Oder, auch im vergangenen Jahr, "Bones of Contention" der amerikanischen Regisseurin Andrea Weiss über die systematische Verfolgung von Lesben und Schwulen in Franco-Spanien und auch die spanisch-amerikanische Produktion "El silencio de los otros - Das Schweigen der anderen" über eine zerrissene Gesellschaft, in der die Verbrechen der Diktatur nie juristisch verfolgt werden durften.

Am 16.10.2018 hat "Franco vor Gericht: Das Spanische Nürnberg?"im Kino Babylon in Berlin Premiere. Im Anschluss findet eine Podiumsdiskussion mit dem Gerichtsmediziner Francisco Etxeberria, dem Generaldirektor für Fragen des historischen Andenkens innerhalb des spanischen Justizministeriums Fernando Martínez, der Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Stefanie Schüler-Springorum und per Videoschaltung dem Generalstaatsanwalt am Obersten Spanischen Gerichtshof, Carlos Castresana.

(mle)
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