Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen"

Frauen können Macht

04:26 Minuten
Regisseur Torsten Körner (l-r) posiert zur Prämiere seines Dokumentarfilms "Die Unbeugsamen" im Berliner Delphi-Filmpalast mit den ehemaligen und amtierenden Politikerinnen Rita Süssmuth (CDU), Christa Nickels (Bündnis90/Die Grünen), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Renate Schmidt (SPD), Roswitha Verhülsdonk (CDU) und dem Produzenten Leopold Hoesch. Der Film zeigt, wie Frauen in der Bonner Republik um ihre politische Teilhabe kämpfen mussten.
Heute ist Angela Merkel einer der mächtigsten Menschen der Welt. Zu Anfang ihrer politischen Karriere wurde sie als "Kohls Mädchen" belächelt. © dpa / picture alliance / POOL / Jörg Carstensen
Torsten Körner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.08.2021
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Die Bonner Republik wird oft als Zeit gesehen, in der nur Männer Politik machten. Doch der Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" von Torsten Körner erzählt die Geschichte der Frauen, die den Willen zur Macht hatten und sich im Bundestag durchkämpften.
Angela Merkel wurde anfangs lange als "Kohls Mädchen" verspottet, später dann als "Mutti". Und das ist nur eines von ganz vielen Beispielen, wie Frauen in der deutschen Politik behandelt werden und wurden. Wie hart sich Frauen in der Politik nach dem Zweiten Weltkrieg Normalität erkämpfen mussten, davon erzählt der neue Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" von Regisseur Torsten Körner. Die Dokumentation läuft seit Mittwoch in den Kinos.
Liane von Billerbeck: Mein erster Eindruck bei ihrem Film war Scham. Ich kann es kaum fassen, wie die Politikpionierinnen der Bonner Republik im Parlament noch in den 1980er- und 1990er-Jahren behandelt wurden. Was war ihr Ziel, als Sie die Szenen ausgesucht haben, Scham oder Fremdschämen?
Torsten Körner: Ich will überwiegend Scham beim Zuschauer auslösen, obwohl ich mich als Mann natürlich umso mehr über meine Geschlechtsgenossen schäme.
Ich wollte starke Frauen zeigen und charismatische Politikerinnen nach vorne stellten. Und ich wollte jüngeren Menschen in Gedächtnis rufen, dass die alte Bonner Republik eben nicht nur auf den ewig gleichen großen Männerköpfen basierte, sondern dass wir charismatische Politikerinnen hatten und dass wir an die unbedingt erinnern müssen.
Annemarie Renger, ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, hält 1982 ihr Buch "Fasziniert von Politik" in die Kamera.
In der Bonner Republik wurden Politikerinnen noch oft belächelt und herabgewürdigt. Einer der bekanntesten Frauen im Bundestag war die ehemalige Vizepräsidentin Annemarie Renger.© imago / United Archives

Die Lust an der Macht

von Billerbeck: Was sich durch den Film zieht wie ein rotes Band, ist das Wort "normal". Immer wird wieder wird den Frauen in der Politik unterstellt, sie seien nicht normal. Dem setzen sie kompetent, durchsetzungsfähige und dickfellige Frauen entgegen: Waltraud Schoppe, Herta Däubler-Gmelin, Rita Süssmuth, Petra Kelly, Ingrid Matthäus-Maier und Renate Schmidt. Hatten diese Frauen über Parteigrenzen hinweg etwas gemeinsam?
Körner: Ja, dass sie durchsetzungsstark waren, eine gewisse Machtlust und einen Machtwillen hatten. Was mich als Mann im Rückblick fassungslos gemacht hat, dass wir uns so einer Autofiktion oder Autosuggestion hingegeben haben, Frauen können Macht nicht.
Darauf basiert im Grunde die gesamte Bundesrepublik. Das ist eigentlich erschreckend, dass wir das alle miteinander offenbar verabredet haben. Und diese Frauen, das ist ihnen gemeinsam, haben sich mit dieser Fiktion nicht abspeisen lassen, sondern sind dagegen angegangen. Dadurch ist die Republik eine bessere geworden. Das muss gewürdigt werden – auch und gerade heute.

Der Fortschritt ist in Gefahr

von Billerbeck: Mit Angela Merkel hat zwar die letzten 16 Jahre eine Frau regiert, aber der Frauenanteil im Bundestag liegt bei 31 Prozent – weniger als in der Legislaturperiode zuvor. Vor einigen Wochen gab es eine Debatte darüber, ob es als Frau mit zwei kleinen Kindern möglich ist, Kanzlerin zu sein. Vor allem auch dann, wenn ein Partner sich um die Kinder kümmert. Haben es Frauen noch immer schwerer in der Politik? Vielleicht sogar schwerer als noch vor ein paar Jahren?
Körner: Wir haben sicherlich Fortschritte in der Gleichberechtigung und Repräsentanz von Frauen in Politik und Macht gemacht. Aber wir sehen auch, dass es einen Rückschlag gibt, wenn wir den Weg von Annalena Baerbock anschauen oder wie populistische Bewegungen Frauen in vielen Ländern unter Druck setzen.
Die Demokratie verkümmert, wenn wir nicht die Parität in den Parlamenten haben. Ich empfinde diesen Trend als besorgniserregend. Wir brauchen wieder mehr Politikerinnen in der Politik, wir brauchen mehr Frauen in den Kommunal- und Landesparlamenten, im Bundestag, denn sonst geht der Demokratie der Sauerstoff aus.
Heidemarie Wieczorek-Zeul hält auf dem SPD-Parteitag am 25.08.1986 in Nürnberg eine Rede. In einer geheimen Abstimmung entschieden sich die Delegierten auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Nürnberg fast einstimmig für Johannes Rau als Kanzlerkandidaten für die nächtste Bundestagswahl.
Auch in den 1980er-Jahren hatten es Frauen in der Politik nicht leicht. Heidemarie Wieczorek-Zeul hält auf dem SPD-Parteitag am 25.08.1986 in Nürnberg eine Rede, ALs Johannes Rau zum Kanzlerkandidaten gewählt wurde.© dpa
von Billerbeck: Ihr Film zeigt überwiegend die Bonner Republik, also Westdeutschland vor 1989. Mit der Wiedervereinigung kamen auch Frauen aus den neuen Bundesländern dazu, die ein ganz anderes Frauenbild hatten. Wurde damals eine Chance vertan, viel mehr Frauen an die Spitze zu holen – neben Angela Merkel?
Körner: Ja, absolut. Ich will noch eine Trilogie machen, über westdeutsche Frauen und die Frauen der DDR, die dann in der ersten Legislaturperiode nach Bonn gegangen sind.
Der Prozess der Wiedervereinigung hat vor allem für die Frauen aus der ehemaligen DDR viele Rückschläge gebracht. Alles, was man da frauenpolitisch erreicht hatte: das Selbstverständnis, mit dem Frauen dort in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz standen, ist im Zuge der Wiedervereinigung teilweise abgeräumt worden – obwohl sie durch die Ideologie und die Praxis einen höheren Stellenwert hatten. Trotzdem blieb auch in der DDR die meiste Care-Arbeit und Familienarbeit an ihnen hängen. Das verbindet sie letztendlich doch mit den Frauen in Westdeutschland.

"Frauen haben Corona geschultert"

von Billerbeck: Wir haben in der Corona-Pandemie wieder erlebt, dass die Arbeitsteilung im Homeoffice und bei der Beschulung der Kinder meist zu Ungunsten der Frauen ausfiel. Für wen wird nach Ihrem Eindruck gerade Politik gemacht?
Körner: Wie zum Beispiel mit Annalena Baerbock umgegangen wird, das hat – trotz ihrer vielen Fehler, die sie gemacht hat – sexistische Untertöne. Das hat so einen paternalistischen Bevormundungston.
Sie haben es erwähnt: Corona haben in vielfacher Hinsicht die Frauen geschultert, in den Krankenhäusern, in den Supermärkten, in der Familienarbeit.
Wir müssen diese ganzen Sonntagsreden zur Gleichberechtigung hinter uns lassen. Die Männer in diesem Land müssen begreifen, dass Parität in den Parlamenten, in der Gesellschaft, die Gleichberechtigung in der Gesellschaft, das ist wichtig für uns selbst. Den Männern kann man nur zurufen: Seid egoistisch und kämpft dafür, dass Frauen auch politische Karrieren machen, denn dann wird die Demokratie lebendiger. Dann hat sie auch mehr Chancen, sich im Kampf gegen autoritäre Staatsformen durchzusetzen.
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