Dokumentarfilm "Chris the Swiss" auf 3sat

Gestorben in einem fremden Krieg

04:59 Minuten
Menschenleere Stadt (Illustration): Ausschnitt aus dem teils animierten Dokumentarfilm "Chris the Swiss"
Der teils animierte Dokumentarfilm "Chris the Swiss" erzählt vom Schweizer Journalist Christian Würtenberg, der in die Wirren des Kroatienkriegs gerät. © ZDF / SRF / Dschoint Ventschr.
Von Jörg Taszman · 11.01.2021
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In "Chris the Swiss" forscht Regisseurin Anja Kofmel dem gewaltsamen Tod ihres Cousins nach: Der war Journalist im Kroatienkrieg, bis er einer Söldnertruppe beitrat. Der vielfach ausgezeichnete Schweizer Doku- und Animationsfilm ist auf 3sat zu sehen.
Für das Schweizer Radio berichtet der Kriegskorrespondent Christian Würtenberg vom Leid der Zivilbevölkerung im kroatischen Karlovac. Er war mitten im Krieg mit dem Zug nach Zagreb gefahren, um dort im Hotel Intercontinental auf andere Kriegsreporter zu treffen und vom Krieg in Post-Jugoslawien zu berichten.
Nur vier Monate später ist Christian Würtenberg tot. Er wurde ermordet und mit seinem eigenen Schal erwürgt. Ein Trauma für seine Eltern und Geschwister aber auch unfassbar für seine damals zehnjährige Cousine Anja Kofmel, die sich über 25 Jahre nach seinem Tod auf Spurensuche begibt und viel Widersprüchliches herausfindet.

Beobachter, Täter oder Opfer?

So starb ihr Cousin, den alle in Kroatien nur "Chris the Swiss" nannten als Mitglied der paramilitärischen Einheit PIV, die auf Seiten der Kroaten kämpfte. Im Interview mit unserem Sender präzisiert die Filmemacherin, wie problematisch dieses militärische Engagement war:
"Es gab diverse Gerüchte, dass diese Truppe involviert gewesen sei in Waffenhandel, in Drogenhandel und dass sie Verbindungen zu Opus Dei gehabt hätte. Die eine Theorie ist, dass sich mein Cousin undercover engagiert hat, um eine Geschichte über diese Truppe zu schreiben. Auf der anderen Seite habe ich auch seine Notizbücher aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dort sehe ich ganz klar seine Gedanken, die er sich über den Krieg gemacht hat. Das sind nicht die Gedanken eines Rambotypen oder eines Rechtsextremen."

Es gelingt der Filmemacherin, Chris' Brüche und Widersprüche aufzudecken, die auch mit Abenteuerlust und einer Faszination für das Militär und den Krieg zusammenhängen. So haute Chris mit 17 nach Namibia ab und durchlief beim südafrikanischen Militär eine soldatische Grundausbildung.
Foto des Journalisten und späteren Söldners Chris Würtenberg - Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Chris the Swiss".
Was brachte den Journalisten Chris Würtenberg dazu, sich einer internationalen Söldnergruppe anzuschließen?© ZDF / SRF / Dschoint Ventschr.
Warum sich Chris ausgerechnet vom Apartheidregime ausbilden ließ, bleibt offen. Ebenso wie die Bemerkung des Topterroristen Carlos, der in einem Telefongespräch mit der Regisseurin behauptet, Chris habe heimlich für den Schweizer Geheimdienst spioniert und sei deshalb ermordet worden.

Ein brutaler Bürgerkrieg mitten in Europa

"Chris the Swiss" ist ein hochinteressanter und vielschichtiger Film. So rückt er auch den historisch umstrittenen bolivianisch-ungarischen Journalisten und Söldner Eduardo Rozsa-Flores in den Mittelpunkt, der den Mord an Christian Würtenberg befohlen haben soll. Aber auch reine Söldner, die Zivilisten töteten und Ex-Kollegen von Christian, die über den Krieg in Jugoslawien berichteten, kommen zu Wort.
Einmalig ist der Einsatz von Spielfilm-Animationen, die immer dann eingesetzt werden, wenn die Geschichte von Chris in Kroatien thematisiert wird. Die gelernte Animationsfilmemacherin Anja Kofmel erläutert diese besondere Dimension.
"Ich hab einerseits mit Archivaufnahmen, mit Realaufnahmen und mit Animation gearbeitet. Die Animation ist eine abstrakte, subjektive, manchmal fast träumerische, poetische Ebene – und ich wollte die bewusst auch brechen mit den Archiven, weil es ist nicht ein Animationsfilm einfach, sondern wir sprechen da von der Realität."

Es bleiben offene Fragen

Und genau an diese verstörende Realität, an diesen brutalen Bürgerkrieg mitten in Europa in den 1990er-Jahren erinnert "Chris the Swiss" und hinterfragt die Rolle des Westens. Dabei werden auch nicht alle Stränge verfolgt. So fragt man sich durchaus, warum der Terrorist Carlos überhaupt Chris kannte – und warum die Filmemacherin seine Verschwörungstheorie um den Schweizer Geheimdienst nicht weiterverfolgt.
Aber nur Antworten gibt es nicht. So bleiben Leer- und Bruchstellen und viele offene Fragen. Genau das macht die Faszination dieses so vielschichtigen Dokumentar- und Animationsfilms aus.

Der Film "Chris the Swiss" läuft am 11. Januar 2021 um 22:25 Uhr auf 3sat und in der Mediathek des Senders.

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