Doku von Jia Zhangke im Berlinale-Special

Literatur als Spiegel der Geschichte Chinas

05:18 Minuten
In einer Filmszene "Swimming Out Till The Sea Turns Blue" von Jia Zhangke arbeiten Menschen auf einem Getreidefeld.
Filmszene aus "Swimming Out Till The Sea Turns Blue": Wenn man über China schreiben will, muss man aufs Land gehen, sagt Jia Zhangke. © mk2 Films / xstream pictures
Von Stephanie von Oppen · 24.02.2020
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Jia Zhangkes Spielfilme handeln vom Umbruch in der Volksrepublik: Nun läuft eine Doku des chinesischen Regisseurs auf der Berlinale. In "Swimming out till the Sea Turns Blue" porträtiert er drei Schriftsteller, die allesamt aus der Provinz stammen.
Fenyang, ein kleiner Ort im ländlichen Norden Chinas. Hier ist Regissuer Jia Zhangke aufgewachsen als Sohn eines Lehrers und einer Verkäuferin aufgewachsen. Er hat dort schon mehrere Literaturfestivals organisiert mit wichtigen Schriftstellern aus ganz China.
Die Provinz ist ein zentraler Bezugspunkt für die Literatur, sagt Jia: "Wir müssen uns vorstellen, China ist riesig. In den 70er-Jahren gab es 700, 800 Millionen Chinesen, heute sind es 1,4 Milliarden. Der Großteil dieser Menschen lebt auf dem Land. Wenn man also über China schreiben will, muss man aufs Land gehen."

"Alle drei sind in großer Armut aufgewachsen"

Der Filmtitel "Swimming out till the Sea Turns Blue", Schwimmen bis die See blau wird, stammt aus einer Erzählung von Yu Huan. Darin steckt die Ermutigung, nie aufzugeben, so hart man dafür auch arbeiten muss. Yu Huan ist einer von drei Schriftstellern, die Jia in seiner Dokumentation porträtiert.
Berlinale 2020: Der chinesische Regisseur Jia Zhangke bei der Pressekonferenz zu seinem Film "Swimming Out Till the Sea Turns Blue"
Erst nach 1980 gab es in der Volksrepublik China wieder eine ehrliche, kritische Literatur, sagt Jia Zhangke.© picture alliance / Xinhua
"Jia Pingwa ist 1950 geboren", erzählt Jia Zhangke, "Yu Huan 1960 und Liang Hong 1970. Die drei decken also 70 Jahre chinesische Geschichte ab. Alle drei sind in großer Armut und auf dem Land aufgewachsen. Und diese Perspektive ist mir wichtig, wenn ich von chinesischer Geschichte erzähle."
Jia Pingwa musste zum Beispiel erleben, dass sein Vater während der Kulturrevolution seine gute Arbeit verlor, weil ihm Spionage unterstellt wurde. Yu Huans Vater wiederum war Zahnarzt und wurde an einen völlig rückständigen Ort versetzt. Dort gab es, wenn überhaupt, lediglich öffentliche Toiletten.
Den ärmlichen Verhältnissen zum Trotz seien unter der Hand Romane weitergereicht worden, die während Mao Zedongs Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 verboten waren. Manche waren so zerfledddert, dass ganze Kapitel fehlten.

"Die 80er-Jahre sind eine Trennlinie"

Auch Liang Hong erzählt von der bitteren Armut ihrer Familie und ihrem großen Glück als sie von ihrer Schwester einmal ein paar Turnschuhe geschenkt bekam. Längst haben alle drei den Aufstieg in die chinesische Mittelschicht geschafft. Sie repräsentieren den Umbruch des Landes und gelten als Schriftsteller, die sich nicht vor Kritik an Politik und Gesellschaft scheuen.
"Wenn man sich mit chinesischer Literatur beschäftigt, dann sind die 80er eine Trennlinie", sagt Jia Zhangke. "Die Literatur, die davor geschrieben wurde, vor allem während der Kulturrevolution, die ja die heftigste sozialistische Bewegung war, war reine Propagandaliteratur. Erst nach 1980 gab es wieder eine ehrliche, kritische und vor allem auch persönliche Literatur."
Liang Hong zum Beispiel schreibt sehr offen über die Schwierigkeiten in ihrer Familie, übt schonungslose Kritik am ihrem Vater. Andererseits bewundert sie ihn dafür, dass er trotz schwerster körperlicher Arbeit immer ein blütenweißes, gebügeltes Hemd getragen habe. Immer wieder zeigt der Film, wie Menschen zusammen kochen, essen, feiern. Das Gemeinschaftsgefühl in China hat einen sehr hohen Stellenwert und ist auch ein wichtiges Thema in der Literatur.

Überleben dank Unterstützung der Familie

"Familie bedeutet uns Chinesen alles", erklärt Jia Zhangke. "Wenn wir uns anschauen wie wir durchs Leben kommen und wie wir Krisen überstehen, dann geht das nur mit Unterstützung der Familie, durch den Zusammenhalt. Das ist unsere Überlebensstrategie."
Zum Überleben, gerade nach den Schrecken der Kulturrevolution, haben Kunst und Literatur eine große Bedeutung für die Chinesen. In "Swimming Out Till the Sea Turns Blue" gibt es Szenen, in denen sogar bei der Feldarbeit Gedichte rezitiert werden. Gezeigt wird aber auch der wachsende Wohlstand, die vielen Autos, Smartphones, Leuchtreklamen – das China von heute.
"Für mich war es sehr wichtig, diesen Film zu machen", sagt Jia Zhangke, "weil man manchmal auch in China sehr große Enttäuschungen erlebt und manchmal das Gefühl hat, die Welt bewegt sich nicht, aber wenn ich den Geschichten dieser Schriftsteller zuhöre, dann wird mir klar, dass es einen Generationswechsel gibt und ich spüre eine Hoffnung."
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