Doku-Fiktion "Mütter und Söhne" am Berliner Ensemble

Wenn der Sohn ein Neo-Nazi wird

07:25 Minuten
Ein junger Mann ist von hinten zu sehen. Er spricht mit einer weißhaarigen Frau, die von vorne zu sehen ist und ins Leere schaut.
Die Schauspieler Nico Holonics und Corinna Kirchhoff proben eine Szene des Stücks "Mütter und Söhne. © Gregor Fischer/dpa
Karen Breece im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 18.09.2019
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Regisseurin Karen Breece hat für diesen Theaterabend im Umfeld von Neo-Nazis recherchiert. "Mütter und Söhne" heißt ihr neues Stück am Berliner Ensemble. Sie betrachtet das Thema Rechtsextremismus aus dem Mikrokosmos Familie.
"Mütter und Söhne" heißt ein neues Theaterstück am Berliner Ensemble. Regisseurin Karen Breece geht der Frage nach, warum junge Männer zu Rechtsextremisten werden.
Erarbeitet wurde der Theaterabend auf Grundlage von Gesprächen mit Nazi-Aussteigern, mit deren Müttern, mit Sozialarbeitern, Psychologen, Polizisten und Rechtsextremismus-Experten.* "Mich hat von Anfang an interessiert, das Thema der Radikalisierung und des Rechtsextremismus aus dem Mikrokosmos Familie zu betrachten", sagt Breece über ihre Inszenierung.

Die Mütter sind oft traumatisiert

An die Mütter heranzukommen, habe sich als große Herausforderung erwiesen, sagt die Regisseurin, "weil einfach ganz viele Mütter traumatisiert sind, sie wollen nicht mehr sprechen". Oft seien es aber die Mütter, die versuchten, "die Ordnung wiederherzustellen" und Hilfe für die Familie zu suchen. Väter radikalisierter Jugendlicher würden sich eher schämen, schweigen und den Kontakt zum Kind abbrechen. "Insofern ist da die Mutter-Sohn-Beziehung eine sehr besondere Beziehung", so Breece.
In einer Probe für das Stück "Mütter und Söhne" sitzt Nico Holonics inmitten eines Sees aus Stühlen und schreit, während ihm Corinna Kirchhoff in der Rolle der Mutter von der Seite gut zuredet.
Corinna Kirchhoff und Nico Holonics proben eine Szene des Stücks "Mütter und Söhne" in der zweiten Spielstätte "Neues Haus" des Berliner Ensembles. © Picture Alliance / dpa / Gregor Fischer
Auffallend sei, dass viele der radikalisierten jungen Männer vaterlos aufwüchsen. "Das heißt, es gibt viele alleinerziehende Mütter, die dann schlichtweg auch überfordert sind. Jetzt ist aber nicht jede überforderte Mutter automatisch die Mutter eines rechtsradikalen Jungen." Im Zusammenhang rechtsextremer Radikalisierung von Schuld zu sprechen, sei schwierig, sagt Breece: "Wenn sich ein Kind radikalisiert, dann hat das vielfältige Gründe."

Arbeitsweise der "Doku-Fiktion"

Ihre Begegnungen mit Neo-Nazi-Aussteigern* beschreibt die Regisseurin und Theaterautorin als "unglaublich ambivalente Situation". Natürlich sitze man in solchen Gesprächen auch einem Menschen gegenüber, beschreibt sie ihre Erfahrungen. "Und wenn man dessen Geschichte anhört, dann verbindet man sich letztlich ja auch irgendwie mit ihm." In solchen Momenten könne man diesen Menschen auch "irgendwie nett" finden. Für sie selbst gebe es aber "immer eine Grenze".
Für die Bühnenfassung habe sie ihre Recherchen anonymisiert. Die Interviews werden nicht wörtlich wiedergegeben. Sie überschreibe und kontextualisiere, manches sei komplett neu verfasst, sagt Breece. Zudem ergänze sie Gesprächstexte durch wissenschaftliche, philosophische oder politische Verweise. Ihre Arbeitsweise sei die der "Doku-Fiktion".
*Wir haben klargestellt, dass sich Frau Breece mit Neo-Nazi-Aussteigern getroffen hat.
(huc)
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