DNA-Erkenntnisse über Steinzeitmenschen

Wissensquelle Kaugummi

06:40 Minuten
Ein Teenager macht eine Kaugummiblase.
Im Kaugummi kann der menschliche Speichel über Jahrtausende überdauern. Ein Glück für Forscherinnen und Forscher. © imago/imagebroker
Von Christine Westerhaus · 13.02.2020
Audio herunterladen
Vor Tausenden Jahren kaute ein Mädchen einen Klumpen Birkenpech – der Kaugummi der Steinzeitmenschen. Der darin enthaltene menschliche Speichel mit DNA ist für die Forschung heute eine wahre Fundgrube des Wissens.
"Und die sind halt wirklich ganz unscheinbar. Wenn man sich die anschaut, denkt man sich nicht, was sich darin alles verbirgt."
Diese unauffälligen Klumpen haben es in sich. Genauer gesagt: menschliche Spucke. Denn als die Menschen vor etwa 5000 Jahren darauf herumkauten, hat sich ihr Speichel darin eingeschlossen. Und damit auch ihre Erbsubstanz, also ihre DNA. Und genau die haben Hannes Schröder und sein Team von der Universität von Kopenhagen jetzt dazu genutzt, die Identität des Menschen zu entschlüsseln, der seine Spucke in dem Stück Birkenpech zurückgelassen hat.
"Und dann hat sich rausgestellt, dass der Großteil der DNA in diesem einen Kaugummi menschlichen Ursprungs war. Also die eine Hälfte war menschliche DNA und die andere war von Mikroben und solchen Sachen. Und das war schon beeindruckend und auch überraschend, weil solche hohe DNA, also menschliche DNA-Prozente, kriegt man an Knochen oder Zähnen normalerweise gar nicht. Und da die DNA so gut erhalten war, konnten wir ein ganzes menschliches Genom rekonstruieren aus diesem Kaugummi."

Gespeichertes Wissen im Kaugummi

Die DNA in der Spucke verriet den Forschern, dass ein Mädchen auf dem Birkenpech herumgekaut hatte. Es lebte vor etwa 5700 auf der dänischen Insel Lolland und war etwa fünf Jahre alt, als es das Birkenpech kaute. Das konnten die Forscher aus der Größe der Zähne rekonstruieren, die ihre Abdrücke auf dem Kaugummi hinterlassen haben.
"Und das haben wir dann dazu benutzt, Rückschlüsse auf die Bevölkerungsgeschichte Skandinaviens zu ziehen. Vor einem Jahr oder so kam eine wissenschaftliche Publikation raus, die an menschlichen Knochen Genome rekonstruiert hat von Kollegen in Schweden und die haben festgestellt, dass Skandinavien anscheinend einmal vom Süden und auch vom Norden bevölkert wurde, und hier sprechen wir so um die Zeitspanne so vor zehn oder 8000 Jahren oder so."
Doch das Genom des Mädchens, das Schröder und seine Kollegen nun aus dem eingeschlossenen Speichel rekonstruieren konnten, deutet auf ein anderes Szenario hin.
"Interessanterweise ist aber diese Person, also dieses Mädchen aus Lolland gleich, also genetisch, den westlichen Jägern und Sammlern und das deutet darauf hin, dass Skandinavien aus dem Süden, aus Süd-Dänemark bevölkert wurde. Und dass die östlichen Jäger und Sammler es nicht ganz bis nach Süd-Dänemark geschafft haben."

Allzweckmittel Birkenpech

Im eingeschlossenen Speichel haben die Forscher auch charakteristische Eiweiße gefunden, die ihnen verraten haben, dass das Mädchen vermutlich Ente, Nüsse und Aal gegessen hatte. Eine typische Diät für Jäger und Sammler. Außerdem entdeckten die Forscher die Erbsubstanz bestimmter Bakterien, die die darauf hindeuten, dass die Menschen schon damals an Zahnkrankheiten wie Parodontose litten. All diese Erkenntnisse zeigen, dass die unscheinbaren Birkenpech-Klumpen einen immensen Wissensschatz in sich tragen. Ein weiterer Vorteil:
"Wir finden solche Birkenpech-Klumpen eigentlich an jeder prähistorischen Fundstelle. In Irland, in England, in Skandinavien, sagt Matthew Collins, Professor für Archäologie am Naturkundemuseum in Kopenhagen. Er ist Co-Autor der Studie. Das ist eine Quelle menschlicher Erbsubstanz, über die bisher niemand nachgedacht hat."

Und vielleicht tragen nicht nur die Birkenpech-Kaugummis ein spannendes Geheimnis in sich: Denn Birkenpech war in der Steinzeit so etwas wie ein Universalkleber: Klingen oder Pfeilspitzen wurden damit befestigt. Boote wasserdicht gemacht oder Keramik geklebt. Auch die Gletschermumie Ötzi befestigte seine Pfeilspitzen vor mehr als 5000 Jahren mit Birkenpech.
"Vor kurzem haben Forscher Ötzis Pfeilspitzen genauer untersucht und gesehen, dass diese ziemlich laienhaft geschärft wurden. Deshalb schlussfolgern sie, dass jemand anderes, also ein Spezialist, die Pfeilspitzen angefertigt hat und Ötzi sie dann nur während seiner Wanderungen wieder neu geschärft hat, weil die Klinge stumpf geworden ist. Falls wir DNA aus dem Birkenpech gewinnen können, mit dem die Pfeilspitzen befestigt sind, könnten wir eindeutig sagen, ob Ötzi selbst, oder jemand anderes die Pfeile hergestellt hat."
Eine Nachbildung der Ötzi-Mumie steht am 08.11.2013 in Herxheim (Rheinland-Pfalz) im Museum. 
Auch Steinzeitmensch Ötzi verwendete Birkenpech. Hier eine Nachbildung der Ötzi-Mumie im Museum in Herxheim (Rheinland-Pfalz).© picture alliance/dpa/Uwe Anspach

Neues Wissen über den Neandertaler

Damit könnten die Forschenden zukünftig völlig neue Fragen beantworten: Zum Beispiel, ob es schon in der Vorzeit eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern gab.
"Wir könnten auf diesem Weg herausfinden, wer bestimmte Werkzeuge hergestellt hat. Und noch spannender ist, dass Birkenpech nicht nur in der Mittelsteinzeit und Jungsteinzeit genutzt wurde. Auch die Neandertaler haben es verwendet!"
Tatsächlich sind die bislang ältesten gefundenen Spuren von Birkenpech 200.000 Jahre alt. Und damit bestehen sogar reelle Chancen, die Kaugummis von Neandertalern zu finden. Hannes Schröder hält das nicht für utopisch. Denn in den Birkenpech-Klumpen wird die DNA über viele Jahrtausende luftdicht abgeschlossen und so hervorragend konserviert.
"Wenn man das mal vergleicht mit Knochenfunden, die genauso alt sind, hat sich die DNA in diesen Kaugummis viel, viel besser erhalten. Das kann schon sein, dass wenn man die richtigen Objekte findet, dass man dann auch theoretisch Neandertaler-DNA gewinnen kann."
Mehr zum Thema