Diversität und deutsche Gegenwartsliteratur

Wie bespricht man Vielfalt?

42:02 Minuten
Person schreibt auf einem Laptop.
Die Vielfalt an Autorinnen und Autoren auf dem deutschen Buchmarkt nimmt seit vielen Jahren zu. © unsplash / Wocintechchat
Von Christine Watty und Katrin Rönicke · 14.01.2021
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Die Neuerscheinungen der kommenden Saison fallen diverser aus als noch vor einigen Jahren. Aber wie verstehen sich Buchkritik und postmigrantische Literatur? Wir fragen Autorin Mithu Sanyal und Literaturkritiker David Hugendick.
Der deutschsprachige Buchmarkt wird immer diverser. Schon seit Jahren tut sich was im Bereich der Buchveröffentlichungen – es gibt immer mehr sogenannte postmigrantische Literatur. Die Zahl neuer Bücher nichtweißer deutscher Autorinnen und Autoren steigt. Das Frühjahrsprogramm der Verlage führt diesen Trend mit Autorinnen wie Hengameh Yaghoobifarah, Asal Dardan, Shida Bazyar und vielen anderen fort.
Ist die traditionelle Literaturkritik bereit für so viel Diversität? Darüber sprechen wir mit der Autorin und Journalistin Mithu Sanyal und dem Literaturkritiker David Hugendick. Mithu Sanyals Romandebüt "Identitti" erscheint im Februar. Wir wollen von ihr wissen, was sie als Autorin von den Feuilletons erwartet.

Schublade "Migrationsgeschichte"

Auffällig ist: Die "Bücher mit Migrationsgeschichte" fordern ihre Kritiker*innen heraus. Einerseits, weil die Identifikation schwerer fallen kann, etwa wenn ein Literaturkritiker einer schwarzen Autorin vorwirft, in deren Buch nicht mitgemeint zu sein.
Andererseits, weil ihnen oft die Worte fehlen und sie dann etwas unbeholfen darauf abstellen, wie "neu" und "anders" solche Bücher und Perspektiven sind. Nicht selten wird eine große Vielfalt an Geschichten auch einfach genommen und in eine Schublade gesteckt: "postmigrantische Literatur".
Ein Label, das David Hugendick lieber durch "deutsche Gegenwartsliteratur" ersetzen würde. Das sieht Mithu Sanyal anders: Solche Label können auch eine Stütze sein und notwendig, um auf Missstände zuerst einmal aufmerksam zu machen, um sie dann im zweiten Schritt loswerden zu können.

Sollten alle über alles urteilen?

Hinzu kommt, dass diejenigen, die da Urteile fällen sollen, selbst nicht sehr divers sind. Kann das funktionieren? Dass weiße und unmigrantische Menschen über Literatur urteilen, die sich auch mit Umständen beschäftigt, die dem oder der Rezensent*in nie begegnet sind? Rassismus zum Beispiel?
Für David Hugendick gibt es schon auch klare Kriterien bei der Beurteilung eines literarischen Werkes. Insofern sei es nicht prinzipiell ein Problem, wenn weiße Kritiker*innen über nicht-weiße Literatur urteilten. Insgesamt vermisst er bei vielen Rezensionen den Respekt vor dem Werk, unabhängig von Identität oder Herkunft.
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