"Disney hat überall seine Finger drin"

Thomas Klein im Gespräch mit Frank Meyer · 31.10.2012
Nach Pixar und Marvel Comics kauft Disney nun das "Star Wars"-Unternehmen Lucasfilm. Durch den Zukauf wolle sich der Unterhaltungskonzern interessanter machen und die wirtschaftliche Zukunft sichern, sagt der Filmkritiker Thomas Klein. Gleichzeitig würde so auch die Konkurrenz ausgeschaltet.
Frank Meyer: Die "Star Wars"-Fans sind elektrisiert, es soll endlich eine Fortsetzung der "Star Wars"-Saga geben! Das wurde gestern verkündet, neben einer anderen, auch sehr gewichtigen Nachricht: Der Disney-Konzern übernimmt für vier Milliarden Dollar die Lucasfilm. George Lucas, der Erfinder von "Star Wars" und "Indiana Jones", hat seine Firma verkauft, um "Star Wars" an eine neue Generation von Filmemachern zu übergeben – so hat er das selbst begründet. Der Filmkritiker Thomas Klein beobachtet die Aktivitäten von Disney und anderen großen Filmfirmen schon länger. Jetzt ist er hier im Studio, herzlich willkommen erst mal!

Thomas Klein: Schönen guten Tag!

Meyer: Also, die Maus hat mächtig Appetit: Disney hat in den letzten Jahren ja schon das Trickfilmunternehmen Pixar gekauft und den Comic-Verlag Marvel Comics, jetzt also Lucasfilm. Warum ist Disney eigentlich so massiv auf Einkaufstour?

Klein: Ich bin relativ sicher, dass es dafür zwei Gründe gibt: Das eine ist eine Konsolidierung in Hollywood. Den Filmstudios geht es nicht besonders gut, Firmen, die explizit mit Film- oder Fernsehangeboten arbeiten – und das ist bei Disney zugegebenermaßen ja nur ein kleinerer Teil –, haben es schwer, Sachen finanziert zu bekommen. Das heißt, man versucht jetzt natürlich auch durch den Zukauf, sich interessanter zu machen oder vielleicht auch eine gewisse stabile wirtschaftliche Zukunft abzusichern. Und das andere ist natürlich auch, dass Disney nicht nur Marken, die längst etabliert sind wie zum Beispiel Marvel, eingekauft hat, sondern eben mit Pixar ja auch einen direkten Konkurrenten.

Meyer: Also, um sich Konkurrenz selber vom Hals zu schaffen. Jetzt sind vier Millionen Dollar ... vier Milliarden Dollar! ... Ich weiß nicht, in welcher Dimension das für Disney ist, es scheint eine Menge Geld zu sein! Warum hat Disney eigentlich so viel Geld?

Klein: Also, zum einen muss man sagen, es scheint viel Geld zu sein, es wäre auch sicherlich für Sie oder mich sehr viel Geld, aber für Disney ist es nicht wirklich viel Geld. Disney hat im vergangenen Jahr einen Umsatz gemacht von 41 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn von fast neun Milliarden US-Dollar. Das Geld muss ja auch irgendwohin!

Meyer: Bei Disney denken viele noch an "Mickey Mouse", deswegen jetzt auch die "Mickey Mouse"-Ohren für die Stars der "Star Wars"-Filme, oder an "Bambi" oder an "Das Dschungelbuch". Dabei war ja der jüngste große Erfolg von Disney "Piraten der Karibik". Also, wofür steht dieses Unternehmen eigentlich heute, hat das noch eine Handschrift?

Klein: Wirtschaftlich gesehen ist Disney ein hochgradig diversifizierter Konzern. Also, es gibt in dem Sinne keine rote, wirklich rote Linie, die auf alle Unternehmensbereiche zutreffen würde. Aber spätestens seit 2005, Bob Iger, der aktuelle, ich sage mal, Disney-Chef, der zum ersten Mal in der Geschichte des Konzerns verschiedenste wichtige Spielpositionen innerhalb der Firma übernommen hat, seit Bob Iger das Geschäft übernommen hat, geht es halt immer stärker um diese Ausrichtung auf die, nennen wir es mal, Kernmarke Familienunterhaltung. Das heißt, es gibt auch anderes, aber alles dann eben doch in den Rahmen gepackt, dass es irgendwie familienkompatibel ist. Für die Großen, für die Kleinen und für die etwas Älteren.

Meyer: Und heißt das jetzt für die Unternehmen, die aufgekauft werden, zum Beispiel Pixar, zum Beispiel Marvel, dass die langfristig auf diese Linie getrimmt werden, dass die alle dann Familienunterhaltung im Disneyschen Sinne machen müssen?

Klein: Nicht unbedingt. Aber Disney hat natürlich auch eine relativ bittere Lektion gelernt: Anfang der 90er haben sie sich bei dem Arthouse und Genre ... , bei der Arthouse-und-Genre-Filmfirma Miramax eingekauft oder haben Miramax übernommen, weil sie dachten, es wäre eine gute Idee, auch mal was völlig anderes anzubieten, und die haben so viel Ärger bekommen von christlichen Moralwächtern, von Filmkritikern, die alles immer dann auf einmal nur noch in diesem Disney-Kontext wahrnehmen wollten! Und insofern glaube ich nicht wirklich, dass die Firmen, die jetzt eingekauft wurden, im großen Stil diametral zur Firmenphilosophie von Disney, also dem entgegenstehen. Aber es ist natürlich schon so, dass man gerade bei Pixar merkt: Seit der Übernahme durch Disney wirkt das alles ein bisschen mutlos, es kommen mehr Fortsetzungen, man vermisst so ein bisschen den Hintersinn und diese bittersüße Dimension früherer Pixar-Produktionen. Aber ich glaube, das ist dann im Zweifelsfall doch eher die Schere im Kopf.

Meyer: Um das nicht zu unterschlagen: Jetzt reden wir immer von Disney als einem Filmunternehmen. Das stimmt ja so eigentlich nicht, weil viel mehr noch zum Disney-Universum dazugehört. Was denn alles?

Klein: Die Haupteinnahmequelle von Disney – und das klingt jetzt, ich sage mal, für den durchschnittlichen Deutschen oder Mitteleuropäer etwas absurd –, aber die Haupteinnahmequelle für Disney ist tatsächlich das Vergnügungsparkgeschäft, also die Theme Parks, Disney World, Disney Land. Die sind ja auch mittlerweile international sehr gut aufgestellt, die machen fast die Hälfte des Jahresumsatzes aus. Da kommt eine ganze Menge Geld rein, gerade in den USA und in Asien gilt auch der Besuch für so, der mehrtägige Besuch von so einem Vergnügungspark als großes Spektakel, das lässt man sich gerne was kosten. Als Nächstes will 2015 Disney in Schanghai einen Vergnügungspark eröffnen, das ist dann auch Teil des China-Geschäfts. Aber die sind halt im Grunde genommen ... Also, Disney als Konzern steckt überall drin. Im Fernsehen, bei ABC in Amerika, beim Sportsender ESPN, in Deutschland bei RTL 2 und Super RTL, in Indien haben sie den Medienriesen UTV Software Communications gekauft. Also, ich denke mal, im Bereich von Unterhaltung und Medien hat Disney, um es mal etwas flapsig auszudrücken, überall seine Finger drin!

Meyer: Es heißt ja auch, Disney sei der weltgrößte Unterhaltungskonzern. Und jetzt sehen wir gerade, wie Disney sich so Symbole der Populärkultur zusammenkauft. Also "Star Wars" zum Beispiel oder "Indiana Jones" oder die Marvel Comics. Das sind ja ganz entscheidende Figuren, die so das kollektive Erleben auch geprägt haben. Ist Disney auf dem Weg zu so einer Art Monopolist der Populärkultur?

Klein: Zu einem Monopol wird das wahrscheinlich im Internet-Zeitalter im 21. Jahrhundert nicht mehr reichen. Aber es gibt natürlich schon sehr konkrete Ängste bei Wirtschaftsjournalisten, bei Medienbeobachtern, bei "Star Wars"-Fans. Aber das sind Ängste, die ähnlich wenig greifbar sind oder wenig belegbar wie die Ängste vor Google oder Microsoft oder Facebook: Da wird halt eine Firma oder ein Konzern stetig größer, gewinnt auch an Einfluss, was ja auch richtig stimmt. Aber ich denke, zu einem Monopol wird es nicht führen, eher zu einer marktbeherrschenden Stellung in bestimmten Bereichen der Unterhaltungskultur.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit dem Filmkritiker Thomas Klein über den Vier-Milliarden-Dollar-Deal, Disney kauft das "Star Wars"-Unternehmen Lucasfilm. Und auf "Star Wars" würde ich gerne noch mal zurückkommen: Das war ja nun für die Fans eine sehr aufregende Nachricht, dass die Saga fortgesetzt werden soll, nach sechs Teilen, die es bisher gibt: 2015 soll der nächste, siebte Teil nun folgen. Sind schon irgendwelche Informationen auf dem Markt, wie das weitergehen kann? Ich meine, der Imperator ist tot, Darth Vader ist tot, wie soll man neu anfangen?

Klein: Also, früher wäre das keine Meldung gewesen, jetzt ist es tatsächlich eine Meldung: Man weiß noch gar nichts! Gestern haben George Lucas und seine bisherige rechte Hand Kathleen Kennedy, die dann unter Disney Lucasfilm und die "Star Wars"-Serie weiterführen wird, gesagt, man wäre jetzt gerade erst in der Frühphase, man würde jetzt erst Ideen hin- und herwerfen, und ich denke, konkrete Entscheidungen, wer Regie führt, worum es in den Geschichten gehen wird, hat man noch nicht. Was man mittlerweile schon weiß, was Disney schon gesagt hat: Der erste Film wird 2015 erwartet, danach sollen Episode acht und neun im Zwei-bis-drei-Jahre-Takt folgen. Das weiß man.

Meyer: Jetzt ... Wir haben vorhin schon über Familienunterhaltung und Disney-Konzern gesprochen und die Frage, ob da alles auf eine Linie gebürstet wird. Es gibt jetzt unter "Star Wars"-Fans auch die Sorge, oh Gott, jetzt ist unser, unser Projekt, die "Star Wars"-Saga, in die Hände von Disney gefallen und die bringen das alles auf Disney-Linie! Meinen Sie, dass das, bezogen auf dieses kulturelle Symbol, eine berechtigte Sorge ist?

Klein: Da würde ich mir im Grunde genommen keine echten Sorgen machen. Weil, das von Ihnen angesprochene Beispiel "Piraten der Karibik", das ist eine Filmserie, die auch relativ düstere Momente hat, die sind durchaus vergleichbar mit der "Star Wars"-Saga. Bei Marvel und meinetwegen bei den "Avangers" geht es teilweise auch, ich sage mal, nicht unbedingt kindgerecht zur Sache. Ich glaube, es geht eher um inhaltliche Faktoren und da ist "Star Wars" als Sciencefiction- oder Fantasy-Märchen eigentlich auf der sicheren Seite. Da wird wohl nicht viel gekürzt und gesäubert werden.

Meyer: Wie im Märchen, sagen Sie. Im Grunde sind die "Star Wars"-Filme ja auch nur in den Weltraum verlagerte Märchen mit Gut-und-Böse-Schema. Insofern passen sie ganz gut zum "Schneewittchen"-Konzern?

Klein: Eigentlich schon. Die Fans, das muss man eben auch sagen, jetzt in dieser ersten, großen Internet-Aufwallung von Begeisterung und Empörung, jammern natürlich auch schon, oh, wo sind sie hin, die alten Zeiten, damals war alles besser! – Was lustig ist, weil, bis vor, ich sage mal, 16 Stunden waren sich alle sicher, dass George Lucas irgendwie der böse Imperator ist, der alle "Star Wars"-Fans in den Untergang führt. Aber natürlich gibt es auch Hoffnung. Es gibt die Hoffnung, dass neue kreative Kräfte mit Disney oder unter Disneys Leitung da vielleicht einen wirklich frischen Neuanfang hinbekommen, dass zum Beispiel auch ... Das ist für Fans ein großes Thema, dass die ganz alten "Krieg der Sterne"-, also "Star Wars"-Filme jetzt vielleicht doch mal in einer Kinofassung als Blue-ray erscheinen. Das war eine Sache, die George Lucas ja immer sich geweigert hat zu tun. Also, es gibt viele Möglichkeiten. Man möchte im Grunde genommen, den Fans möchte man sagen – das klingt jetzt ein bisschen klebrig, aber die mögen es, glaube ich, ganz gerne hören –, möge die Macht mit euch sein!

Meyer: Und wir werden 2015 dann spätestens Genaueres wissen, wenn Folge sieben von "Star Wars" herauskommen soll. Also, die Nachricht dieses Tages, gestern herausgekommen: Disney kauft das "Star Wars"-Unternehmen Lucasfilm, das hat für uns der Filmkritiker Thomas Klein eingeschätzt. Herzlichen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.