Diskussion um Pflegeroboter

"Es geht nicht darum, künstliche Menschen zu erzeugen"

07:14 Minuten
Ein Pflegeroboter mit orangenem Kopf, aufgeklebten Augen und Greifarmen anstelle von Nase und Mund.
Maschinen sollen menschliche Pfleger unterstützen, nicht ersetzen, betont Sami Haddadin. © picture alliance/Timm Schamberger/dpa
Sami Haddadin im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 26.06.2019
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Der Robotiker Sami Haddadin hält die Furcht vor Pflegerobotern für unbegründet. Denn es gehe nicht darum, menschliche Pfleger durch Roboter zu ersetzen. Der Robotereinsatz solle vielmehr Pflegekräften mehr Zeit für ihre Patienten verschaffen.
Liane von Billerbeck: Wenn man Pflege braucht, alt ist oder krank, dann möchte man ganz gerne menschliche Stimmen hören, menschliche Hände um sich herum haben. Immer mehr aber ist in den vergangenen Wochen und Jahren davon zu hören, dass Roboter in der Pflege zum Einsatz kommen.
Kein Wunder, dass sich der Deutsche Ethikrat heute auf seiner Jahrestagung auch damit befasst, mit dem Thema "Pflege – Roboter – Ethik. Ethische Herausforderungen der Technisierung der Pflege". Eine Keynote hält Deutschlands wichtigster Roboterforscher – so hat der "Tagesspiegel" das mal geschrieben –, Professor Sami Haddadin. Er ist Institutsdirektor an der TU München und Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz. "Robotik und Künstliche Intelligenz. Der Mensch ist Mittelpunkt", heißt der Titel Ihrer Keynote bei Ethikrat. Wie menschlich sind denn diese Pflegeroboter heute schon?
Haddadin: Es geht uns nicht darum, technologische Systeme zu entwickeln, die den Menschen ersetzen, sondern ganz im Gegenteil, die es uns erlauben, die menschliche Interaktion, Zuwendung, das heißt die Zeit zum Menschsein zu maximieren und dafür intelligente Werkzeuge zu entwickeln.
Das heißt, diese Roboter sind in keinster Weise menschlich, ganz im Gegenteil, sie sind im Prinzip der Hammer und der Mensch ist der Handwerker, wenn man so möchte, er führt das Werkzeug, und genau dafür sind diese Systeme ausgelegt. Sie sollen die Pflegekräfte befähigen, sich möglichst viel von ihrer Zeit mit dem zu Pflegenden auseinanderzusetzen und ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen zu können.

Modellkommune in Garmisch-Partenkirchen geplant

von Billerbeck: Für welche Tätigkeiten lassen sich denn diese Pflegeroboter jetzt schon einsetzen?
Haddadin: Das ist noch im Beginn, aber wir sind auch die Ersten, nicht nur deutschlandweit, sondern sicherlich europaweit, vielleicht auch weltweit, die sich jetzt zum Ziel gesetzt haben, über langfristig angelegte Feldstudien nicht nur technologische Systeme zu entwickeln, also zweiarmige Humanoide, aber auch Reha-Systeme, Frühmobilisierung und Mobilisierungssysteme für den Alltag, und das Ganze in Garmisch-Partenkirchen. Da soll eine Modellkommune Geriatronik aufgebaut werden, Geriatrie, Gerontologie und Mechatronik/Robotik als Kunstwort zu Geriatronik vereint.
Das Ziel ist, dass wir dort im dritten, später auch im vierten Lebensabschnitt, also vor allen Dingen das selbstbestimmte Leben im Alter ermöglichen. Da geht es darum, Alltagstätigkeiten, die typischerweise dann auch ein bisschen schwerer fallen, wie das Aufheben von Gegenständen, das Aufstehen vielleicht, Mahlzeiten zu machen, aber so, dass es immer das kleine Mainzelmännchen sozusagen bleibt und vor allen Dingen aber auch ein Vehikel für die Telemedizin wird. Stellen Sie sich vor, der Gang zum Arzt kann unter Umständen erschwert sein, und vor allen Dingen auf dem Land haben Sie auch das Problem, dass ja sehr oft gerade die Fachärzte fehlen.
Das heißt, der Roboter kann als Werkzeug des Arztes dienen, um den Hausbesuch durchzuführen und dann nicht nur audiovisuell zu kommunizieren – also zu sprechen, zu hören –, sondern auch über den Roboter den Patienten anzufassen. Das heißt, wir geben dem Internet den Tastsinn, und so kann man eben über hunderte, potenziell tausende Kilometer Entfernung den Arzt zum Patienten bringen und zum Beispiel eine Routineuntersuchung durchführen.

Nicht teurer als ein Mittelklassewagen

von Billerbeck: Nun stelle ich mir vor, so ein Roboter ist ja ein teurer Gegenstand. Was wird denn so ein Teil kosten? Kann ich mir das auch als Kassenpatientin leisten, oder muss ich da gut betucht sein, um in den Genuss von solchen Hilfen zu kommen?
Haddadin: Unser Ziel ist definitiv der Roboter für jedermann, das ist schon etwas, was ich auch die letzten zehn, 15 Jahre sehr aktiv verfolgt habe, das heißt, die Kosten müssen natürlich ein ganz wichtiger Faktor sein. Das ist natürlich jetzt sehr schwierig, konkret abzuschätzen, wo man am Ende liegt, aber ich persönlich glaube, dass man maximal bei einem Mittelklassewagen am Ende liegt.
Vielleicht gibt es auch neue Modelle, wo man am Ende die Roboter einsetzt, sodass sie dann Teil der Kassensysteme sind. Deswegen müssen wir auch sehr früh mit den Kassen sprechen. Aber man muss auch sagen, das sind jetzt einige Jahre, die noch vor uns liegen, wo das eben dann auch in die Realität umgesetzt werden muss.

Die Ängste ernst nehmen

von Billerbeck: Viele Menschen fürchten sich ja auch davor, dass sie möglicherweise mit Robotern allein gelassen werden, dass eben genau dieser menschliche Faktor dann nicht mehr da ist, dass jemand kommt und einen tröstet, mit einem spricht, und gerade für viele alte Leute sind ja diese Pflegenden der einzige Kontakt oft am Tag.
Wie sehen Sie das, werden die Pflegeroboter vielleicht umgekehrt irgendwann doch so menschlich sein, in Anführungsstrichen, so intelligent, sozial und einfühlsam, dass sie vielleicht anstelle der Pflegekräfte da eintreten können und trösten können und all das, was bisher nur Menschen tun?
Haddadin: Ich denke, diese Ängste muss man sehr ernst nehmen, und die sind ja auch schon länger bekannt. Ich glaube aber, man muss denen aktiv begegnen, und zwar über Informationen, über Erfahrbarmachung. Ich glaube, ich könnte sogar behaupten, ich bin mir sehr sicher, dass diese Furcht sehr unbegründet ist, vor allen Dingen daran, weil wir eben natürlich in einer realen Welt leben, in der wir Werkzeuge entwickeln.
Man darf den Science-Fiction-Aspekt an der Stelle nicht überstrapazieren, sondern man muss jetzt einfach sehr, sehr klar Technologie entwickeln, die den Menschen nützt, das muss mit den Menschen passieren. Ich hatte vorhin schon das Wort Werkzeug in den Mund genommen, also ich glaube, das besagt eigentlich mehr als alles andere. Wir arbeiten daran, Werkzeuge für den Menschen zu entwickeln, da ist es eben nicht so, dass es darum geht, künstliche Menschen zu erzeugen, sondern Werkzeuge für den Menschen.

Technologie im Dienst der Ethik

von Billerbeck: Sie halten ja diesen kurzen Vortrag beim Deutschen Ethikrat, und der befasst sich auch immer mit Möglichkeiten und Grenzen neuer Technologien. Wo sehen Sie denn die Grenzen des Einsatzes von Pflegerobotern?
Haddadin: Ich glaube, genau da, wo wir alle sie sehen wollen. Wir müssen uns einfach auch dessen bewusst sein, das, was wir da tun, es sind einfach nur Technologien, da geht es genau nicht darum, menschliche Zuneigung, menschliche Empfindungen oder dergleichen zu simulieren, weil es sind am Ende nur technische Systeme, mehr ist es ja nicht. Und ich glaube, die Grenze ist immer da, wo die menschliche Freiheit in Gefahr ist, wo es darum geht, die Selbstbestimmtheit natürlich muss erhalten werden und all die ethischen Grundprinzipien, die unsere Gesellschaft ausmachen.
Aber ich sehe Technologie, wenn sie richtig entwickelt wird, eben als Werkzeug, um genau unsere ethischen Grundsätze auch durchzusetzen. Wir können hier auch nicht die Realität einfach von uns weisen: Unser Gesundheitssystem ist stark unter Belastung, wir haben den demografischen Wandel, also finde ich, muss eine moderne Gesellschaft alles daransetzen, dass wir Technologie dazu einsetzen, dass sie uns nützt als Werkzeug und uns eine bessere Zukunft und Gesellschaft ermöglicht. Und ich glaube, genauso ist es eigentlich auch eine Technologie, die dann für uns eben auch entwickelt wird und eben nicht eine Frage von Mensch oder Maschine, sondern Mensch und Maschine.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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