Diskussion über Ideale

Was ist gute Bildung?

Ein Schulmädchen sitzt schreibend am Tisch und denkt nach.
Immer nur büffeln? Bildung sollte mehr sein als stures Lernen. © imago/Ikon Images
Christoph Türcke und Klaus Cäsar Zehrer im Gespräch mit Stephanie Rohde · 29.10.2017
Politiker aller Parteien versprechen, sich für eine bessere Bildung einsetzen zu wollen. Was aber ist gute Bildung – fundiert, streng oder schlicht kostenlos und für alle? Der Philosoph Christoph Türcke und der Schriftsteller Klaus Cäsar Zehrer diskutieren darüber.
Klaus Cäsar Zehrer plädiert dafür, den Menschen in den Mittelpunkt von Bildungsbemühungen zu stellen. Christoph Türcke ergänzt, es gehe letztendlich darum, dass Menschen sich in ihrem Leben zurechtfänden. Er bedauert die heutige Tendenz, Inhalte herabzusetzen und auf Kompetenzerwerb zu setzen, also auf die Einübung von Verhaltensmustern, die dem späteren Gelderwerb dienen.
Jeder Mensch sei gebildet, sagt Türcke, zwar gebe es jämmerlich Gebildete, aber keine ungebildeten Menschen. Jeder Mensch bringe eine bestimmte psychosomatische Ausstattung mit, und diese werde von Bildung geformt.

Welches Menschenbild ist gemeint?

Auf die Frage, ob er gebildet sei, antwortet Zehrer, das sei eine knifflige Frage:
"Ich weiß nicht, ob man das von sich behaupten darf, denn es klingt fast wie: 'Ich bin eingebildet.'"
Bildung könne nur ein Ziel sein, das man anstrebe. Er habe sich in seinem Leben lieber in Bibliotheken aufgehalten als in Einkaufszentren. Und Bildung sei für ihn ein andauernder Prozess.
Man könne Bildung mit Kompetenz gleichsetzen, so Türcke, dann stelle sich aber die Frage, welchen Kompetenzbegriff man habe. Ob es um Sachverstand gehe oder darum, sich gängiges Verhalten anzutrainieren. Für ihn gehe es bei Kompetenz darum, sich Wissen anzueignen.
Klaus Cäsar Zehrer schildert in seinem Buch "Das Genie" den historischen Fall des Jungen William James Sidis, der wurde ab 1910 von der amerikanischen Presse als Wunderjunge von Harvard gefeiert. In seinem Buch erzählt Zehrer vom Leben dieses Jungen und von dessen Vater Boris, der Psychologe war und die Welt mit Bildung verbessern wollte.
Dies sei ein Beispiel für extreme Bildung, für das, was aus einem Menschen im Extremfall wirklich werden könne, sagt Zehrer. Boris Sidis glaubte, ein Programm gefunden zu haben, mit dem sich Genies herstellen lassen. Er probierte dieses Programm an seinem Sohn aus. So habe er aus dem Sohn einen Wunderknaben gemacht, der mit sieben schon schwierige Prüfungen bestand, unter anderem auch die Zulassungsprüfung zur Harvard-Universität. Es sei schwer zu sagen, fügt Zehrer an, ob das Experiment gescheitert sei. Mit William James Sidis sei ein Mensch mit extremen Fähigkeiten herangezogen worden, der ein besonderes Gedächtnis für alles Gelesene gehabt hätte. Er konnte, was er gelesen hatte, zitieren, mit Seitenangabe und Quelle. Allerdings fand der Junge sich im Alltag nur schlecht zurecht.

Menschen sind keine programmierbaren Maschinen

Wichtig, so Türcke, sei in den Schulen, dass man die Schüler miteinander verbinde, Stärken unterstützte, Schwächen ausgleiche, man müsse auf jeden Fall darauf achten, dass die Schere nicht zu weit auseinandergehe und eine gemeinsame mentale und sprachliche Plattform gefunden werde. Lehren heiße balancieren. Autoritäre Lehrer brauche man nicht, aber Lehrer, die Vorbilder für ihre Schüler seien. Lernen stifte Gemeinschaft zwischen Personen. Grundschüler lernten in hohem Maße ihren Lehrern zuliebe: Sie seien anlehnungsbedürftig. Und Lehrer hätten auch darauf zu achten, dass sie am Ende überflüssig werden, ihre Schüler Selbständigkeit entwickeln. Auch das gehöre zum Lehrerberuf.
Auch der Vater von William James Sidis, so Zehrer, habe nicht autoritär agiert. Das Geheimnis seines Erfolges sei vielmehr gewesen, dass er seinem Sohn die Lust am Denken und Lernen beigebracht habe. Der Kerngedanke des Vaters: Jedes Kind spielt gerne – wenn Kinder das Lernen als Spielen empfinden, dann lernen sie von alleine. Türcke fügt hinzu: Dieser Vater habe auch begriffen, dass es beim Spielen nicht um Zerstreuung gehe, sondern um Wiederholung und Intensivierung.

Wie kann gute Bildung in Zukunft aussehen?

Durch Bildung "Harmonie" zu erzielen (wie es in China Programm ist) hält Türcke für ein durchaus humanes Ziel – das wir je nach Gesellschaft aber sehr unterschiedlich verstünden, erläutert Türcke. Harmonie solle nicht erpresst werden. Es gehe darum, sich im Leben zurechtzufinden, ohne gegängelt zu werden. Man sollte ohne Zwangsmaßnahmen auskommen. Wichtig sei, wieder mehr zwischen Individuum und Gemeinschaft zu vermitteln. Das Wort Bildung sei ein sehr vager Begriff - es komme darauf an, wie man ihn definiere. Aber natürlich könne man Bildung mit Harmonie verbinden, das sei für ihn nichts Kitschiges. Früher sei der Begriff mit Verlogenheit assoziiert worden. Heute hingegen er erlebe er, seiner Ansicht nach, gerade ein Revival in seiner positiven Bedeutung.
Auffällig sei, so Türcke, dass im Computerzeitalter weniger miteinander kommuniziert werde. Man könne sogar so weit gehen zu sagen, der 'homo sapiens' werde durch den 'homo competens' ersetzt. Auch Zehrer wünscht sich für die Zukunft, dass Bildung abrückt von Ausbildung und wirtschaftlicher Verwertbarkeit. Er fordert, dass es stärker um Herzens- und Charakterbildung gehen solle. Beide bedauern die heutige Tendenz, Lehrpläne als Kompetenzraster zu planen, die letztlich der Effizienzmaximierung dienten, denn oft komme dabei das Gegenteil heraus: Es zeige sich immer wieder, dass elementare Fähigkeiten wie Lesen, Rechnen und Zuhören Schülern Mühe machten. Das Umgehen mit PCs sei wichtig, aber nichts von alles entscheidender Bedeutung.
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