Diskurs-Reihe am Berliner Gorki Theater

Ordnung und Unordnung

Gorki Theater Berlin
Esra Küçük (l) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (r): 2014 trafen sie schon einmal zu einem "Werkstattgespräch" im Gorki Theater. © picture alliance/dpa/Foto: Claudia Esch-Kenkel
Von Tobias Wenzel  · 22.05.2016
Esra Küçük, Gründerin der Jungen Islam Konferenz, ist jetzt am Berliner Maxim Gorki Theater, wo sie die neue Diskussionsreihe "Berliner Korrespondenzen" mit kuratiert. Zum Auftakt wurde unter anderen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier über "Ordnung und Unordnung" gesprochen.
"Der Titel ist ja ´Ordnung und Unordnung`."
Sagte die Sozialwissenschaftlerin und Moderatorin Esra Küçük über die neue Vortrags- und Diskussionsreihe "Berliner Korrespondenzen" im vollbesetzten Maxim-Gorki-Theater.
"Was erwartet uns die nächsten zehn Male?"
"Also dass ich zum Beispiel beim nächsten Mal keine Krawatte mehr umhabe."
Antwortete im Scherz der Erziehungswissenschaftler und ehemalige Präsident der Humboldt-Universität Jan-Hendrik Olbertz, der zusammen mit Esra Küçük vom Gorki Theater und Andreas Görgen vom Auswärtigen Amt die "Berliner Korrespondenzen" kuratiert. Die Welt sei aus den Fugen geraten. Da könne die Beschäftigung mit Unordnungen und Ordnungen wichtige gesellschaftliche, die Zukunft betreffenden Diskussionen anstoßen. "Unordnungen" und "Ordnungen" im Plural. Denn der deutsche Ordnungsbegriff kollidiere sehr oft mit jenem in anderen Ländern, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit einer Anekdote erläuterte:
"Ein befreundeter Außenminister sagte mir am Rande der UN-Generalversammlung: ´Also, Fußball, Autos, Bier – ich mag euch Deutsche. Aber eines verstehe ich nicht: Ihr Deutschen geht bei Rot nicht über die Straße, auch wenn weit und breit kein Auto kommt. Das könnte ich meinen Leuten nie beibringen`, hat er mir gesagt. ´Und im Übrigen: Wieso auch?`"
"Eure Ordnung ist unsere Unordnung" war dann auch das Thema der mittägigen Auftaktveranstaltung. Und passender Weise waren dazu zwei Experten für Postkolonialismus eingeladen.
"Jedes Mal, wenn ich das Wort ´Ordnung` höre, macht mich das etwas nervös."

Wenn Ordnung zum Fetisch werde

Begann der kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe seinen Vortrag. Denn er sei in einem Land aufgewachsen, in dem es nichts Gutes bedeutet habe, wenn die Regierung von "Recht und Ordnung" gesprochen habe. Gefährlich werde es, wenn die Ordnung zum Fetisch werde, wenn sie von autoritären und totalitären Regimen missbraucht werde. Und wenn der Mensch nicht mehr als Mensch behandelt werde:
"Die Behandlung, die früher ausschließlich Schwarze im rassistischen Kontext erfahren haben, wird im Kapitalismus auch auf Nicht-Schwarze ausgeweitet. Ich meine den Versuch, Menschen in Dinge zu verwandeln, die man auf dem Markt kaufen oder verkaufen kann."
Diese Kapitalismuskritik blieb unwidersprochen. Eigentlich sollte der indische Historiker Dipesh Chakrabarty, so die Ankündigung, im besten Sinne des Wortes mit seinem Kollegen streiten. Aber zwischen den beiden blieb es allzu harmonisch und geordnet. Spannend wurde es allerdings in Chakrabartys Vortrag, als er über die Frage der Ordnung bzw. Unordnung in seinem Land sprach:
"Man kann als politische Partei in Indien nichts bewegen, wenn man nicht in der Lage ist, ein gewisses Chaos auf den Straßen zu erzeugen, nicht nur mit legalen Streiks, sondern auch mit Vandalismus. Ein bisschen Unordnung gehört also zur funktionierenden postkolonialen Demokratie in Indien. Und ich bin nicht sicher, ob das immer so gut ist. Denn oft werden Probleme durch Gewalt gelöst oder durch Angriffe auf Minderheiten, sogar durch Morde. Das Denken erinnert jedenfalls an die Kolonialzeit, als der Kolonialisierte den Kolonialherren wütend und moralisierend zugerufen hat: Eure Ordnung ist meine Unordnung."

Unordnung in der abschließenden Diskussion

Diesen Satz nahm dann Dipesh Chakrabarty allzu wörtlich, als er, nachdem er ebenso wie sein Kollege viel zu lange vorgetragen hatte, Unordnung in die abschließende Diskussion brachte, indem er Achille Mbembe selbst eine äußerst lange Frage stellte.
Ob er vielleicht ihren Stuhl haben wolle, fragte die brüskierte Moderatorin Esra Küçük, die einem wirklich Leid tun konnte. Vollends chaotisch und angesichts des Titels der Veranstaltung auch tragikomisch wurde es dann, als ein Mann aus dem Publikum darauf bestand, gleich drei Fragen zu stellen und allein für die erste mehrere Minuten brauchte.
Gegen so viel Unordnung half nur noch deutsche Ordnung: Der Tontechniker des Gorki-Theaters stellte dem penetranten Frager einfach das Handmikrofon ab. Und der schwarzafrikanische Politologe Achille Mbembe servierte denselben Besucher ordentlich unordentlich ab, indem er ihm eine sehr verwirrende Antwort gab:
"Sie haben die Rasse erwähnt. Sind Sie sicher, dass ich schwarz bin?"
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