Direkte Demokratie

Warum Bayern bei Volksbegehren Spitzenreiter ist

Ein Plakat mit der Aufschrift "Bildung braucht Zeit - Volksbegehren 03.-16.06.2014 im Rathaus eintragen" ist in München (Bayern) zu sehen.
Ein Volksbegehren im Jahr 2014 sollte in Bayern über die Wiedereinführung von G9 entscheiden. © picture alliance / dpa / Sven Hoppe
Von Tobias Krone · 06.03.2018
Seit über 60 Jahren regiert in Bayern die CSU. Spötter bezeichnen den Freistaat daher gerne als Monarchie. Doch ausgerechnet Bayern macht es Bürgerbewegungen relativ leicht, Volksbegehren in die Wege zu leiten und damit die Regierung unter Druck zu setzen.
Die Bayern sind ein souveränes Volk. Das lassen sie nach außen hin gerne jeden wissen. Bayern first – so die Maßgabe der CSU, die sich auch im Bundestag und in Brüssel zu allerst als Bayernpartei versteht. Aber auch nach Innen tragen die Bayern mit Stolz ihre Souveränität vor sich her – und zwar gerade die kleinen Leute. Denn die haben verglichen mit Bürgern anderer Bundesländer ziemlich viel Macht. Und nutzen sie immer dann, wenn sie zu Volksbegehren aufrufen.
"Das heißt, die Bürger haben über das Volksbegehren Initiativrecht. Und wenn sie einen bestimmten Unterstützerkreis finden können, dann geht das ganze tatsächlich zu einem Volksentscheid über, bei dem dann mit einer qualifizierten Mehrheit diese Initiative durchaus Gesetz werden kann."
Ferdinand Kramer ist Professor für bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die niedrigen Hürden für diese Volksentscheide haben ihren Ursprung in der Geschichte des Freistaats. Bayern hat im Vergleich mit anderen Bundesländern eine ziemlich lange Tradition der direkten Demokratie. Das Instrument des Volksbegehrens gibt es schon seit knapp hundert Jahren.

Mitbestimmung hat in Bayern Tradition

"Die Anfänge sind sicherlich mit dem Demokratisierungsprozess nach dem Ende der Monarchie zu sehen. Da wollte man besonders demokratisch sein. Für Bayerns Verfassungsentwicklung spielte dabei wohl die Schweiz wohl immer wieder eine Rolle als Vorbild. Besonders stark nach dem Zweiten Weltkrieg 1946, weil der Vater der Bayerischen Verfassung, Wilhelm Högner, in der Schweizer Emigration war und dort dieses Verfassungsleben mit Volksabstimmungen sehr intensiv kennengelernt hat."
Aber nicht nur die Schweizer wollen direkt in die Politik eingreifen. Für Michael Piazzolo, Landtagspolitiker der Partei Freie Wähler, steckt den Bayern der Drang zum Mitbestimmen quasi in den Genen.
"Aus meiner Sicht liegt das so ein bisschen auch im bayerischen Naturell, dass man sich von denen da oben nicht alles sagen lässt. Dieses klassische bayerische Mia-san-mia, das findet auch seinen Ausdruck in Bürgerbegehren, dass der Bürger sagt: Ich weiß schon selber Bescheid, dass es geht, und das will ich auch durchsetzen."
Der Bayer als Homo Democraticus? So weit würde Historiker Ferdinand Kramer nicht gehen.
"Jenseits des Klischees, der Frage des Aufmüpfigseins oder nicht, gibt es schon auch rationale historische Gründe. Einer wird wohl sein, dass Bayern lange Zeit sehr viele Gemeinden hatte - vor der Gebietsreform 1972 über 7000. Auch kleine Dörfer hatten eine selbständige Gemeinde. Da waren die Bürger in öffentlichen Angelegenheit sehr stark involviert, in den Gemeinden vor Ort."

Der Streit um den Nichtraucherschutz

Vor allem in der Zeit nach 1946 begehrte das Volk dann fleißig auf und verpasste seinem teils noch vormodernen Staat regelmäßige Updates. So führte ein Volksentscheid aus den 60er-Jahren dazu, dass evangelische und katholische Kinder gemeinsam eine Schule besuchen durften. Sebastian Frankenberger, Anhänger der ökologisch-konservativen ÖDP, avancierte 2009 zum Polit-Shooting-Star der Nichtraucher.
"Die CSU hat einen strengen Nichtraucherschutz eingeführt, dann hat sie die Wahl mehr oder weniger verloren und hat der FDP Zugeständnisse machen müssen – zum ersten Mal in einer Koalition. Und hat den Nichtraucherschutz wieder aufgeweicht. Und da habe ich gesagt: Also Entschuldigung. Wir Nichtraucher haben es genossen, nicht zugequalmt zu werden, dass wir nicht nach Rauch stinken, wenn wir am Abend heimkommen. Das ist jetzt einfach ein Volksbegehren und darum haben wir’s gestartet."
Trotz kleiner Kriegskasse gewannen die Nichtraucher den Volksentscheid "Echter Nichtraucherschutz". Zigaretten sind seitdem in Bayern rigoros aus öffentlichen Räumen verbannt. Wohl auch dank Sebastian Frankenberger, der nun den Hass fundamentalistischer Raucher abbekam.
"Mir ist der Eintritt auf Volksfesten verwehrt worden, ich habe Hausverbot in verschiedenen Betrieben bekommen. Teilweise waren’s auch Werbekampagnen von den Wirten. Und ich finde es natürlich extrem schade, dass Leute, die sich politisch engagieren und die am Schluss vor allem das Volk abstimmen lassen, angegriffen und denunziert werden oder Ähnliches."

Studiengebühren und G9 - die Landesregierung rudert zurück

Für manche Oppositionsparteien im bayerischen Landtag ist der Volksentscheid ein gängiges Mittel, um der übermächtigen CSU empfindliche Nadelstiche zu versetzen. Den Freien Wählern zum Beispiel gelang es vor fünf Jahren, allein nur mit einem erfolgreichen Volksbegehren die Meinung der Christsozialen in Sachen Studiengebühren nachhaltig zu ändern: Längst sind die 500 Euro pro Semester wieder abgeschafft. Auch die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums schreibt der Abgeordnete der Freien Wähler Michael Piazzolo seiner Partei zu. Egal, dass das Volksbegehren damals scheiterte.
"Als wir die Unterschriften gesammelt haben, hat die Staatsregierung angekündigt selber in einen Dialogprozess einzutreten und hat stark gegen unser Volksbegehren agitiert. Das hat ein bisschen die Luft rausgenommen. Und dann wurde auch der Zeitraum für das Volksbegehren genau in die Fußball-WM gelegt. Das war dann ein schwieriger Beginn."
Zugegeben. Es brauchte noch ein Jahrzehnt, ehe die Staatsregierung im vergangenen Jahr ankündigte, dass sie G9 wieder einführen will. Und in diesem Wahlkampfjahr drohen die Grünen mit einem Volksbegehren gegen den Flächenverbrauch. Auch hier kommt die CSU den Naturschützern jetzt schon etwas entgegen. Für Historiker Ferdinand Kramer ist diese Form der direkten Demokratie ein Sprachrohr der Bürger.
"Dass es in der Bevölkerung Dinge gibt, die gären, die so nicht weiter entwickelt werden können. Das ist ein Fingerzeig, wenn man so will, für die Verantwortlichen, nochmal zu überlegen, wie sie ihre Politik ausrichten."
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