Digitalisierung im Schulunterricht

Dieses Gymnasium ist für den Lockdown gewappnet

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Mehrere Schüler lernen während des Unterrichts im Fach Geschichte mit einem iPad.
Keine Angst vor der Digitalisierung der Schule: Am Marie-Curie-Gymnasium läuft der Unterricht problemlos im Netz (Symbolbild). © dpa / Hauke-Christian Dittrich
Von Annika Jensen · 30.11.2020
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Unterricht, der nahtlos weitergeführt wird, nur eben übers Internet – das war im Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf möglich. Die Schule hat einen großen Vorteil: Lange vor dem Lockdown trieb ihr Leiter die Digitalisierung voran.
"Ich kann mich ganz genau an den Tag erinnern, als ich das meiner Klasse alles beibringen musste, an einem Tag, wie das Arbeiten mit unserem digitalen Tool, nämlich Classroom über Google funktioniert", sagt die Lehrerin Paulina Dura.
"Wir haben das super gemacht, super gemeistert. Aber ich hatte das Gefühl, und genauso die Schüler hatten das Gefühl, wir verabschieden uns jetzt in eine Situation, die wir noch nie so kannten. Und es war einfach ein mulmiges Gefühl, das uns da begleitet hat."
Dura unterrichtet Französisch und Geografie am Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf, nördlich von Berlin. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Tanja Elle steht sie auf dem Schulhof und hat Pausenaufsicht. Dura blickt auf einen Tag zurück, der am Anfang einer monatelangen Ausnahmesituation steht: Den Shutdown im Frühjahr. Als alle Schulen im Land geschlossen werden.

Die Schule ist auf Lockdowns vorbereitet

Doch anders als die meisten Schulen in Brandenburg ist das Marie-Curie-Gymnasium vorbereitet. Es ist in der Lage, seinen Unterricht nahtlos weiterzuführen, nur eben über das Internet. Den Stundenplan befolgen alle Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, ganz normal weiter.
Noch heute ist es unter den Lehrkräften ein Thema, wie gut sie damit wirklich zurechtkamen. "Die größte Herausforderung war für mich tatsächlich, von eigentlich dann doch einem Tag auf den nächsten digital zu unterrichten", sagt Tanja Elle.
"Das stellt sich für Nicht-Lehrer vielleicht gar nicht als Problem dar. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ich in einer Klasse stehe und 30 Gesichter Eins-zu-eins vor mir habe, in die Augen gucken kann und Reaktionen ablesen kann, auf die Aufgaben, die ich stelle oder auf das Material, das die Schüler bearbeiten müssen. Oder ob ich das alles nicht habe, weil ich getrennt bin von den Schülern. Und ich habe mich wirklich auch erstmal ziemlich überfordert gefühlt mit der Maßgabe, dass wir Unterricht nach Stundenplan machen, dass ganz normal die Fächerabfolge eingehalten werden muss, dass es klare Unterrichtszeiten gibt."
Allerdings wich das Gefühl der Überforderung recht bald dem Gefühl der Dankbarkeit, erinnert sich Elle. Sie bekommt mit, wie an anderen Schulen gearbeitet wird, und dass dort nichts vorbereitet ist. "Da ist mir das nochmal bewusster geworden, wie viel Glück wir eigentlich hatten mit der Vorbereitung, die mich zunächst überfordert hat. Und ich glaube, dass auch viele, viele andere, auch die Schüler – aber die dann realtiv schnell – in so eine andere Form der Normalität überführt werden konnten."

Der neue Schulleiter bringt Schwung in die Sache

Die Digitalisierung des Marie-Curie-Gymnasiums nimmt so richtig Fahrt auf, als vor zweieinhalb Jahren Thomas Meinecke die Leitung der Schule mit 800 Schülerinnen und Schülern übernimmt. Der 55-Jährige ist kein besonders digitaler Mensch – das sagt er von sich selbst. Es gehe ihm einfach darum, Arbeitsprozesse da zu vereinfachen, wo es Sinn ergibt.
Schulleiter Thomas Meinecke
Er sei eigentlich kein "digitaler Mensch", sagt Schulleiter Thomas Meinecke.© Deutschlandradio Kultur / Annika Jensen
Was steht also als Erstes an, als er vor beinahe drei Jahren seinen Job anfängt? "Ich habe einen Zettel ausgehängt, alle Informationen werden jetzt per Mail geschickt", erinnert sich Meinecke. "Das war der erste Schritt. Vor zwei Jahren oder zweieinhalb Jahren, ja, im Februar werden es drei. Das war aber eben erstmal nur der Versuch, mit den Kollegen auf dem schnellen Weg Informationen auszustauschen." Auch die analogen Papierakten sind bald abgeschafft.
"Wir arbeiten im gesamten Schulverwaltungsbereich mit allen elektronischen Möglichkeiten, die uns das Land zur Verfügung stellt. Und da gibt es recht leistungsstarke Programme" erläutert der Schulleiter. "Das ist 'WeBBschule' für die Notenverwaltung, Schülerdatenverwaltung, all sowas. Die sind geschützt, liegen auf geschützten Servern. Und wir haben 'Untis' auch mit einem Messenger dabei. Die sind alle sicher zu bedienen und funktionieren gut, sind auch hinreichend stabil."

Alle Lehrkräfte können es bedienen

Das System, das für die Arbeit von Lehrpersonal und Schülerschaft allerdings während des gesamten Shutdowns funktioniert, liefert Google. Es ist "G Suite for education" und zwar die kostenpflichtige Variante, weil die den Datenverkehr in Europa hält.
Dazu Meinecke: "Das ist ein Komplettangebot verschiedener Tools, will ich sie mal nennen – oder Apps, wie man so sagt – und gibt die Möglichkeit, dass wir digitale Inhalte hochladen können. Schüler können sie runterladen, die können sie bearbeiten, können sie wieder hochbringen. Wir können sie kommentieren, es gibt Kalenderverwaltung, es gibt als Zugang eine Mail-Adresse, allerdings muss man dabei beachten, dass all das in der Regel beim Datenverkehr über amerikanische Server gelaufen ist.
Deshalb habe Die Schule auf eine Variante gewechselt, die über europäische Server lief. "Es bleiben trotzdem Graubereiche", so der Schulleiter. "Aber was Fakt ist, ist, dass es so stabil ist und so einfach, dass innerhalb kürzester Zeit nahezu alle Lehrkräfte in der Lage sind, es zu bedienen."

Der Förderverein hilft bei der Finanzierung

Finanziert wird das System, das im Jahr 2400 Euro kostet, durch den Förderverein der Schule. Natürlich sei er sich der Gefahren bewusst, die ein Google-Produkt mit sich bringe, sagt Meinecke. Doch durch den Vorlauf, den das Marie-Curie-Gymnasium in der Digitalisierung vor dem Shutdown hat, kann sich sein Team um den Datenschutz kümmern. Es informiert die Eltern und holt sich alle Zustimmungen ein, die es braucht.
"Und mit diesen ganzen Zustimmungen zusammen haben wir ein Szenario entwickelt. Das haben wir einem Rechtsanwalt zur Prüfung gegeben"; erzählt der Schuldirektor. "Aus dieser Prüfung heraus haben wir unsere eigene Nutzungen abgeleitet." Auf diese Weise lasse sich mit diesem Programm nahezu sicher arbeiten. "Wir erziehen die Schüler dazu, dass sie dort keine Klarnamen verwenden, sondern nur ihre Pseudonyme. Es gibt keine Leistungsbewertung und auch keine Leistungserhebung in dem ganzen System. Aber wir kriegen den Unterricht nach Hause."
Auch pädagogisch betrachtet, sieht Meinecke einen Vorteil darin, eine Software von Google zu nutzen. "Natürlich stimmt das, dass das eine Datenkrake ist", sagt er. "Aber wenn ich Schüler daran gewöhne, dass sie bei einer Software alles reinschreiben können, was sie wollen, weil es sowieso sicher ist, vermeintlich sicher ist, dann ignoriert das den Sachverhalt, dass manches Problem vor dem Computer sitzt und nicht drin. Und wenn wir unsere Schüler daran gewöhnen, dass sie extrem sparsam und extrem vorsichtig mit dem umgehen, was sie ins Netz stellen und im Netz kommunizieren, dann finde ich das schon ganz gut." Das sei ein wichtiger Lerneffekt, den sie sonst nicht erleben würden.

Mit einem Notfallplan in die Lehrerkonferenz

Für den Schulleiter kommt, wie für alle an der Schule, die Schließung im Frühjahr plötzlich und bereitet ihm schlaflose Nächte. Mit einem Notfallplan geht er kurz vor dem Shutdown in die Lehrerkonferenz.
Meinecke erinnert sich: "Die Lehrer haben gesagt, dass können sie sich vorstellen. Und dann habe ich so Listen gemacht, To-Do-Listen für Lehrer, für Schüler, für Eltern. Habe das an die Eltern kommuniziert, was wir brauchen. Dass wir, wenn die Schule geschlossen wird, arbeitsfähig sind. Das war noch vor dem Wochenende, und am Sonntag kam dann die Ansage, okay, Schule wird geschlossen. Sie haben zwei Tage Zeit zur Vorbereitung."
Das seien dann die zwei Tage gewesen, in denen geprüft worden sei, ob alle Schüler mit Passwörten versorgt waren. "Haben alle einen Rechner, haben alle einen Internetzugang?"
Im Zuge der Coronapandemie hat die Bundesregierung zum bestehenden "Digitalpakt Schule", mit dem die Digitalisierung der Schulen vorangetrieben werden soll, 500 Millionen Euro dazugeschossen. Dieses Geld soll vor allem für die Ausstattung genutzt werden. Brandenburg bekommt davon 16,8 Millionen Euro, mit denen Laptops und Tablets für die Schülerinnen und Schüler angeschafft werden sollen.

Kein Geld für das Marie-Curie-Gymnasium

Das Marie-Curie-Gymnasium sieht davon keinen Cent, weil es diese Geräte nicht braucht. Die Schülerinnen und Schüler haben, bis auf wenige Ausnahmen, bereits Computer und Internetzugänge. Bei einigen hilft die Schule aus. Sie leiht Geräte aus, hat ein funktionierendes System, mit dem auch Schülerinnen und Schüler mit schlechtem oder gar keinem Internet an den Lernstoff kommen.
Nach Angaben des Brandenburger Bildungsministeriums haben alle Schulen sogenannte Medienentwicklungspläne erarbeitet und in den letzten Monaten Lernmanagementsysteme entwickelt. Im Schuljahr 2020/2021 arbeiten von den rund 850 Schulen im Land 500 mit der Schulcloud Brandenburg. Was das genau bedeutet, ist im Ministerium nicht zu erfahren.
Nach den Sommerferien kommen die Schülerinnen und Schüler zurück an das Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf. Keine Videokonferenzen mehr, keine acht Stunden vor dem Computer mehr. Trotzdem ist so einiges geblieben, vor allem bei den Schülerinnen und Schülern.

Spaß an der Digitalisierung

So erzählt Oskar Streich, 13 Jahre alt, achte Klasse: "Wir haben im Shutdown angefangen, Musikfilme zu schneiden oder Videoprojekte zu machen. Und jetzt danach haben wir auch wieder angefangen. Oder wir haben noch ein kleineres Projekt gemacht mit einem Werbespot – wir sollten einen eigenen Werbespot entwickeln. Und da ist das auch nochmal zur Geltung gekommen, das Schneiden und Audio, Tonaufnahmen und soetwas. Das nehme ich auf jeden Fall mit. Ich denke, dass ich das auch nochmal in Zukunft machen werde. In irgendeiner Form."
Noah Schlapschinski, 17 Jahre alt, zwölfte Klasse, sagt, dass ihn die Erfahrung mit dem digitalen Arbeiten in seiner Berufswahl bestätigt habe. "Ich gehe sowieso in Richtung Informatik, IT-Wirtschaftsinformatik", erzählt er. "Bei Informatik allgemein geht es auch um das Programmieren, und das hatten wir auch jetzt im Shutdown. Das habe ich jetzt einfach noch weiterentwickelt." Er habe im Fach Informatik ein paar Webseiten gebaut. "Das mache ich jetzt auch noch, einfach, weil es mir Spaß macht."
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