Digitalisierung am Bau

Tunnelgräber mit VR-Brille

08:20 Minuten
Ein Mann steht ein einem dunklen Raum trägt eine VR-Brille.
Mit einer VR-Brille kann man Baustellen virtuell besuchen. © picture alliance / dpa / Zoonar / Channel Partners
Von Wolf-Sören Treusch · 17.08.2021
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Ob beim Tiefbau oder auf dem Dach – mit Drohnen und VR-Brillen, also 3D-Technik auf dem Computer, sollen Bauarbeiten präziser, schneller und sicherer werden. Aber noch stockt die Digitalisierung, vor allem kleine Betriebe hinken hinterher.
Moritz Jesch von der Firma Airteam startet eine Drohne.
"Die wiegt unter einem Kilogramm, Drohnen sind in den letzten fünf Jahren extrem günstig geworden, leichter zu bedienen und vor allem kleiner."
Auf seinem Tablet verbindet er die Drohne mit der App. Und los geht’s.
"Man kann sehr simpel und einfach die Drohne bedienen und damit fliegen."
Neben ihm steht Marco Krüger, von Beruf Dachdecker. Er hat sich von Airteam beibringen lassen, wie eine Drohne zu bedienen ist. Jetzt fliegt er selbst eine, um Dächer zu vermessen.
"Circa zehn Meter über der Dachfläche sollte man fliegen, und dann wird ein Punkt gesetzt, dann wird ein Radius von zehn bis zwölf Metern nach außen festgelegt, und da fliegt diese Drohne quasi um den vorher festgelegten Punkt einen Kreis und macht alle zwei Sekunden auf den Mittelpunkt ausgerichtet ein Foto."


Anfangs war er noch skeptisch. Mittlerweile mag sich der Dachdecker ein Leben ohne Drohne nicht mehr vorstellen.
"Wir hatten fünf Dächer zu messen, relativ kompliziert, wenn ich diese Dächer hätte vernünftig und präzise messen wollen, hätte ich mit einem Kollegen zusammen für ein Dach circa einen Tag gebraucht, sprich: Es hätte also eine Woche gedauert. Wir haben damals die erste Sache mit Airteam in zwei Stunden erledigt, und insofern ist es schon, wenn man da die Kosten rechnet, die dadurch entstanden wären, vor allen Dingen der Zeitaufwand, ist schon eine gute Sache, ein deutlicher Mehrwert, ja."
Zumal die Daten anschließend auf die Cloud der Firma Airteam hochgeladen werden. Die erstellt daraus ein 3D-Modell des Daches. Das Verfahren sei schnell und präzise, versichert Moritz Jesch.
"Das 3D-Modell wird in unsere eigene Software, die wir entwickelt haben, importiert, und unsere Software hat einen Algorithmus, der automatisiert Punkte, Kanten und Strukturen des Daches erkennt und daraus einen automatisierten Aufmaßbericht erstellt. Die Genauigkeit des Aufmaßberichtes sind 99,66 Prozent, wir haben jetzt auch eine DIN-Norm ins Leben gerufen, die wird jetzt bald veröffentlicht, die Drohne hat auch 20 Megapixel, wirklich gestochen scharfe Bilder, kann man für Inspektionen und für die Aufmaße auch nehmen."

"Drohnen sind schneller und sicherer"

150 Kunden – vor allem Dachdecker und Solarfirmen – nutzen die Dienste des Berliner Start-up-Unternehmens, Tendenz steigend. Das Interesse an digitalen Anwendungen in der Bauwirtschaft nimmt zu. Allerdings noch viel zu wenig, findet Moritz Jesch. Die Branche sei zu überlastet, sich mit innovativen Softwarelösungen zu beschäftigen.
"Ich kann es eigentlich gar nicht mehr verstehen, wie ein Dachdeckerbetrieb keine Drohne mehr hat. Es geht schneller, sicherer, man muss nicht mehr auf das Dach hochgehen, das sind wirklich sehr viele Vorteile, aber oft hapert es gerade bei den Dachdecker- und Solar-Kunden, dass sie wenig Zeit haben."
Auch die Berufsgenossenschaft Bau, das ist die gesetzliche Unfallversicherung für die Bauwirtschaft mit knapp drei Millionen Versicherten, erkennt in der zunehmenden Digitalisierung ihrer Branche Potenzial. Beispiel Arbeitssicherheit. Nach Angaben der BG Bau werden in Deutschland jeden Tag etwa 30 Unfälle bei Dacharbeiten gemeldet. Das muss nicht so sein, sagt der stellvertretende Leiter Prävention Frank Werner. Er nennt als Beispiel den Dachdecker, der einen Sturmschaden begutachten muss.
"Die Digitalisierung würde für uns bedeuten, der nimmt ganz selbstverständlich aus seinem Fahrzeug seine Drohne, befliegt quasi die Dachfläche sehr einfach mit dieser Drohne, nimmt den Schaden auf, schaut sich das am Bildschirm an und sagt: Was muss ich tun, was muss ich reparieren, wie viele Dachsteine brauche ich, welche vielleicht zusätzlichen Ausrüstungen muss ich mitnehmen? Und macht sich Gedanken: Wie sichere ich die Beschäftigten am Arbeitsplatz? Und dabei ist noch keiner auch nur einen Zentimeter aufgestiegen, also keine Absturzgefahr, aus meiner Sicht sicherlich ein sehr plastisches Beispiel."

Einsatz digitaler Hilfsmittel auf Baustellen ist noch selten

Laut einer Studie der Deutschen Telekom von 2019 führen 37 Prozent der Bauunternehmen in Deutschland regelmäßig Digitalisierungsprojekte durch. Vor allem um die Arbeitsprozesse in den Büros zu vereinfachen. In Bauplanung, Bauausführung und damit letztlich auch auf den Baustellen stecken digitale Tools dagegen noch in den Kinderschuhen. Das gilt vor allem für Building Information Modelling, kurz BIM.
Ein softwarebasiertes Verfahren, bei dem sämtliche Bauphasen in einem digitalen Modell abgebildet und alle beteiligten Firmen immer auf den aktuellen Stand gebracht werden. Wo früher noch Zeichnungen und Skizzen hin- und hergeschickt wurden, können die einzelnen Planungsschritte jetzt auf Tablet oder Smartphone nachverfolgt werden. Entscheidet der Statiker, dass eine tragende Säule breiter werden soll, erfährt der Elektriker in Echtzeit, dass er die in diesem Bereich verlaufende Kabeltrasse verschieben muss.
Die Software für das Building Information Modelling entwickelt zum Beispiel das Berliner Startup Visoplan. Mitgründer Boris Goldshteyn.
"Wir haben ganz viele Akteure, bei den größeren Bauprojekten sind das 6, 7, 8, 10 Gewerke, die miteinander arbeiten müssen. Mit BIM versuchen sie, dieselbe Sprache zu reden. Sodass man relativ einfach Planungsfehler, Mängel in der Planung und auch Kommunikationsprobleme feststellen kann, dokumentieren kann, lösen kann und nachverfolgen kann."


Zudem machen 3D-Animationen möglich, die Planungs- und Ausführungsprozesse zu vereinfachen. Zum Beispiel mithilfe einer Virtual Reality-Brille. Boris Goldshteyn setzt sich eine solche auf und bewegt sich durch den Technikraum eines Bahntunnels in der Schweiz. Er öffnet einen Schaltschrank.
"Man kann zu dem Schrank aber auch Dokumente anzeigen lassen. Beispiel: Gibt es irgendwelche Spezifikationen?"
Visoplan hat ein 3D-Modell des Raums geschaffen, das nun vom Auftraggeber, den Schweizerischen Bundesbahnen SBB genutzt wird, um die Techniker zu schulen und sie fit zu machen für einen möglichst reibungslosen und schnellen Einsatz im Tunnel.
"Jede Anhaltung so eines Verkehrs in so einem Bahntunnel kostet Millionen. Und um das zu gewährleisten, dass alles korrekt passiert, wenn Licht ausfällt, wenn irgendeine Anlage nicht mehr funktioniert, wenn irgendeine Störung vorliegt, um schnell darauf reagieren zu können, muss jeder Techniker wissen: Was kann denn passieren? Und wie kann man es lösen? Und welches Werkzeug brauche ich dafür? Das lernst du hier auf eine virtuelle Art und Weise, bevor du es tatsächlich real umsetzen kannst, weil: Jede reale Schulung vor Ort kostet Geld. Für alles das, um so was machen zu können, ist die Grundlage BIM."
Drei junge Männer einem Büro.
Boris Goldshteyn (r.), der Co-Founder von Visoplan, mit seinen Mitstreitern.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch

Ist digitale Technik für kleine Unternehmen zu teuer?

Trotz aller Vorteile: Bisher nutzen nur wenige deutsche Bauunternehmen BIM. Zu viele verschiedene Softwarelösungen seien auf dem Markt, kritisieren vor allem die Firmen der Mittelständischen Bauwirtschaft. Der Staat hat reagiert und "BIM Deutschland" gegründet: das nationale Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens.
Seit Beginn dieses Jahres vergibt das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur nur noch Aufträge an Unternehmen, die zumindest in der Planungsphase mit BIM arbeiten. Für Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin bei der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg, ist das zu kurz gedacht.
"Wichtig für Building Information Modelling ist eine Vereinheitlichung und dass die kleinen und mittleren Bauunternehmen wirklich in der Lage sind, mit einem einheitlichen Standard zu arbeiten. Nur dann können sie sich dieses System anschaffen, und nur dann sind sie auch konkurrenzfähig. Ansonsten wird es eine Marktabschottung geben für diejenigen, die sich diese verschiedenen Systeme alle leisten können, und die anderen gucken in die Röhre."
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