Digitales Klassenzimmer

Von Po Keung Cheung · 24.11.2011
Computer sind aus Klassenzimmern nicht mehr wegzudenken. Sie sollen Lehrern und Schülern mehr Möglichkeiten im Unterricht bieten und "Medienkompetenz" vermitteln. Probleme gibt es immer wieder, auch wegen veralteter Technik. Trotzdem können die Schüler viel neues Wissen mitnehmen.
Punkt acht Uhr am frühen Morgen. Beginn der ersten Stunde in der Grundschule am Rüdesheimer Platz in Berlin. Für zwei Dutzend Viert- und Fünftklässler, die hier gemeinsam jahrgangsübergreifend lernen, steht Mathematik auf dem Programm.

Doch statt vor Büchern und Heften sitzen die Kinder vor Tastatur und Bildschirm - statt auf eine grüne Tafel schauen sie auf ein Beamerbild an der Wand. Vorn steht Thomas Wollschläger, Lehrer und Rektor der Schule. Er sagt: Der Computer hat nicht nur den Unterricht verändert, sondern auch den Lehrer.

"Ja, ich denke schon, dass der Lehrer also insoweit vorbereitet sein muss und fit sein muss, sowohl ein Stück weit mit der Technik sich auseinandersetzen muss, natürlich auch in der inhaltlichen, didaktischen Vorbereitung, das sieht natürlich anders aus als der herkömmliche Unterricht mit Buch, Arbeitsblättern und so weiter."

Anders heißt: Der Unterricht kann durch Informationen aus dem Internet, Bilder und Videos ergänzt werden. Und der Lehrer steht nicht mehr ausschließlich vorn an der Tafel, sondern geht durchs Klassenzimmer und schaut den Kindern über die Schulter, auf deren Bildschirme. Das ist auch nötig, denn immer wieder muss Thomas Wollschläger helfen. Nicht jedes Kind kommt gleich gut mit dem Computer klar.

Hier spielen auch soziale Unterschiede eine Rolle: Nicht jeder Schüler hat einen Rechner zu Hause und lernt dem Umgang damit erst in der Schule. Aber auch abstürzende Rechner und veränderte Einstellungen sorgen gelegentlich dafür, dass der Unterricht stockt. Trotzdem sieht Schulleiter Thomas Wollschläger vor allem die Vorteile. Der wichtigste: Statt gemeinsam denselben Stoff durchzukauen, kann sich jeder Schüler individuell nach vorn weiterarbeiten:

"Die Kinder können nach ihrem Lernstand noch einmal üben, wiederholen oder auch schon schneller voranschreiten, das ist schon ein Vorteil gegenüber dem Buch oder der Schiefertafel, das ist schon eine tolle Sache.""

Die speziell für den Unterricht entwickelte Software bietet so viele Schwierigkeitsstufen und Aufgaben, dass jeder Schüler stets herausgefordert bleibt, egal ob in Mathe, Erdkunde oder Deutsch. Für Michael Thedens gibt es noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Ein Computer ist immer aktuell, sagt der Manager, der beim Hersteller ACER für den Bereich Bildung verantwortlich ist.
"Der gesamte Content, mit dem Sie heute Schule machen könnten, ist fast nur noch digital. Wir leisten uns den Luxus, dass Schulbuchverlage versuchen, einen möglichst aktuellen Content in Bücher reinzuquetschen, die dann zehn Jahre in der Schule sind. Zehn Jahre zurück, da hatten wir eine ganz andere Zeit. Wie wollen denn Schüler mit einem zehn Jahren alten Content lernen?"

Sein Unternehmen hat schon einige Schulen in Deutschland mit einem "digitalen Klassenzimmer" ausgestattet. Der letzte Stand der Technik sieht so aus: an jedem Platz ein Notebook, vorn ein sogenanntes "Interactive Whiteboard", eine weiße Tafel mit Beamer, die auf Handbewegungen reagiert. Der Lehrer kann auf ihr mit dem Finger schreiben, Symbole anklicken, Programme starten oder auch Videos zeigen.

Wie moderne Medien in der Schule eingesetzt werden können, zeigt auch das Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Köln. Dort sind nicht nur herkömmliche PCs im Einsatz, sondern neuerdings 30 "iPads". Kleine flache Rechner ohne Tastatur, dafür mit einem großen berührungsempfindlichen Bildschirm. André Spang ist Musiklehrer und nutzt sie beispielsweise dafür, um mit den Schülern eine Online-Enzyklopädie aufzubauen, ein eigenes Wikipedia.

"Die Schüler vernetzen sich auch über die Klassen hinweg, arbeiten zum Beispiel zur Instrumentenkunde in Klasse fünf, beschreiben das Klavier. Ein Klavier in Klasse zwölf hat vielleicht eine Klaviersonate von Beethoven analysiert und da kommt das Wort Klavier vor. Da kann er das in der Wikipedia als Link generieren und dann hat quasi der Schüler aus Klasse fünf den Begriff "Klavier" in dem Text des Schülers der Klasse zwölf erklärt. So geht es hin und her, also breche ich quasi den Raum auf, den Lernraum erweitere ich auf die ganze Schule."
Und natürlich kommen spezielle Zusatzprogramme, sogenannte Apps zum Einsatz, die speziell für Schüler programmiert sind. Von solchen "iPads" und auch modernen Notebooks und PCs können viele Schulen jedoch nur träumen. Oft genug fehlt das Geld für Neuanschaffungen. Auch Programme können aus Kostengründen nicht immer aktualisiert werden.

Der Leiter der Berliner Grundschule am Rüdesheimer Platz, Thomas Wollschläger, beklagt sich nicht. Er hat 75 Computer für 600 Schüler, wenn auch nur gebraucht. Eine vergleichsweise gute Ausstattung, die völlig reicht, sagt der Rektor. Es kommt auch nicht auf die Menge an. Wichtiger ist, dass sie sinnvoll in den Klassenräumen verteilt sind und die Kommunikation stimmt. Thomas Wollschläger:

"Da begnügen wir uns mit kleinen Lerninseln, zwei, drei Computern, unter Umständen auch mit Internet-Anschluss, das reicht auch den meisten Kolleginnen und Kollegen. Weil gerade in der Schulanfangsphase es sehr darauf ankommt, den Kindern ein Vertrauen zu geben, ein Miteinander zu gestalten, da ist das Gespräch vermutlich doch noch wichtiger als jedes technische Gerät."

Der Computer ersetzt also keinesfalls den Lehrer, gehört aber inzwischen zum Schulalltag. Das zeigt zumindest die Statistik. Laut Bildungsstudie von TNS-Infratest haben knapp 90 Prozent aller deutschen Schulen bereits eine PC-Ausstattung. Allerdings wird sie laut Untersuchung offenbar noch viel zu selten genutzt: Nur bei 35 Prozent der Schüler komme der Computer mehr als einmal in der Woche im normalen Unterricht zum Einsatz. Im Vergleich unter Industriestaaten belegt Deutschland damit einen der hinteren Plätze.
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