Digitaler Kapitalismus

Wer es knapp macht, verdient mehr

Das Auktionshaus Sotheby's präsentiert das zerstörte Banksy-Bild "Girl With Balloon, 2018".
Zerstört, aber noch mehr wert: Das Auktionshaus Sotheby's präsentiert das geschredderte Banksy-Bild "Girl With Balloon, 2018". © picture alliance / Photoshot
Überlegungen von Michael Seemann · 28.11.2018
In der Digitalwirtschaft lassen sich Produkte mühelos vervielfältigen. Erfolgreich ist, wer durch Kontrollapparate Dinge vorenthält und künstlich Knappheit herstellt, meint der Kulturwissenschaftler Michael Seemann. Wie auch die Schredder-Aktion von Banksy zeigt.
Langsam zieht der Rahmen das Papier des Bildes nach unten. Dort drücken sich dünne Streifen von Papier, wie Konfettischlangen heraus. Die Bilder gingen um die Welt, wie die Banksy-Zeichnung kurz nach ihrer Versteigerung automatisch geschreddert wurde.
Banksy war schon immer bekannt als große Kritikerin des Kapitalismus und so sollte auch dieses Ereignis eine Verweigerung gegenüber dem Kunstmarkt sein. Doch das ging schief. Das gerade noch für eine Millionen Pfund versteigerte Bild verdoppelte in dem Moment seiner vermeintlichen Zerstörung seinen Wert.
Banksy mag eine vehemente Kritikerin des Kapitalismus sein. Verstanden hat sie ihn aber nicht. Jedenfalls nicht den neuen.

Für die Digitalwirtschaft spielen materielle Werte keine Rolle

Der alte Kapitalismus war materiell. Seine große Leistung war es, in einer einzigen Generation Millionen Menschen mit Strom, elektrischen Licht, Waschmaschine, Fernkommunikation und Auto zu versorgen.
Der neue Kapitalismus ist dagegen von immateriellen Gütern geprägt. Lizenzen, Marken, Software, Patente, Datenbanken, Forschung und Entwicklung.
In den USA und Schweden macht der Anteil immaterieller Wertschöpfung bereits über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Für Unternehmen in der Digitalwirtschaft spielen materielle Werte wie Grundstücke, Gebäude, Maschinen schon gar keine Rolle mehr.
Doch immaterielle Güter sind anders als materielle. Einmal hergestellt, ist es kein Problem mehr, sie zu verteilen. Im Gegenteil. Es ist so leicht, sie zu verteilen, dass es schwer ist, sie an der Verteilung zu hindern – wie beim Filesharing oder wenn chinesische Firmen westliche Produkte kopieren.

Wer Knappheit herstellen kann, wird belohnt

Der Wertschöpfungsprozess hat sich verlagert. Der analoge Kapitalismus belohnte diejenigen, die Knappheit verringerten. Der digitale Kapitalismus belohnt diejenigen, die Knappheit noch herstellen können.
Plattformen wie Spotify, iTunes und Netflix, aber auch YouTube und Amazon sind deswegen die großen Profiteure. Sie schaffen, was sonst niemand schafft: immaterielle Güter anbieten, ohne sie sich aus den Händen reißen zu lassen.
Dazu kommt die Armee an Anwälten, die mittels Abmahnungen und Patentrechtsverfahren Druck auf die Gesellschaft ausüben. Werte schöpft heute, wer Dinge vorenthält.

Digitales Wachstum bedeutet bessere Kontrollapparate

Während Wirtschaftswachstum in der materiellen Welt bedeutete, dass jeder mehr bekommt, bedeutet es heute, dass uns immaterielle Werte effektiver vorenthalten werden. Digitales Wirtschaftswachstum bedeutet besser funktionierende Überwachungs- und Kontrollapparate, härtere Rechtsdurchsetzung und eine effektivere Einschränkung der Ausdrucksfreiheit für alle.
Was Banksy nicht verstand, ist, dass der Wert ihres Bildes nicht an seiner Materialität hängt, sondern in der Erzählung, in der es eingebettet ist. Es ist die romantische Erzählung der anonymen Künstlerin Banksy, die sich gegen den Kapitalismus stellt.
Der Akt der materiellen Zerstörung des Bildes zahlte auf diese Erzählung ein und machte das Bild auch noch zum Gegenstand eines singulären Ereignisses. Banksy hat – wie Google, Amazon und Apple – ihr Werk erfolgreich verknappt und seinen Wert damit enorm gesteigert.
Digitale Künstlerinnen wie Cornelia Sollfrank haben das schon vor Jahren verstanden. Mit ihrem Werk "Net.Art Generator" hat sie bereits 2000 ein Programm veröffentlicht, das Netz-Kunst auf Knopfdruck herstellt. Statt dem Kunstwerk greift sie die Knappheit selbst an und führt damit im Gegensatz zu Banksy den Kapitalismus tatsächlich ad absurdum – statt zu neuen Gewinnen.

Michael Seemann, geboren 1977, studierte Angewandte Kulturwissenschaft in Lüneburg. Seit 2005 ist er mit verschiedenen Projekten im Internet aktiv, bloggt unter mspr0.de, podcastet unter wir.muessenreden.de und schreibt für verschiedene Medien. Er ist Mitbegründer von "Otherwise Network", einem Think-Tank für Technologie, Gesellschaft und den Digitalen Wande ownw.de.

© Foto: Ralf Stockmann
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