Digitaler Dinosaurier

Von Michael Engel · 16.06.2011
Rund 70 Jahre lang musste ein Durchschnittsverdiener arbeiten, um sich einen Computer zu leisten. Wir sprechen von 1960. Damals kostete ein Rechner wie die "Zuse Z22" rund 300.000 Mark. Selbst wenn das Geld gereicht hätte, wäre wohl kaum jemand auf den Gedanken gekommen, sich so ein tonnenschweres Monstrum ins Wohnzimmer zu stellen.
Von den 55 damals gebauten Röhrenrechnern gibt es heute nur noch ganz wenige: Einer steht in der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Suderburg bei Uelzen. Nur leider war die Maschine kaputt. Ein Rentner will den digitalen Dino jetzt wieder auf Trapp bringen.

Erster Handgriff: Schrankwand öffnen. Dann: Wasserhahn aufdrehen. Nicht zu vergessen: der Schalter für das Kühlaggregat hinter dem Computer. 500 Röhren im Bauch der Zuse "Z22" können sich schnell überhitzen, sagt Detlev Krischak vom Rechenzentrum der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Suderburg:

"Das ist im Moment nur das Kühlaggregat. Hier wird Kältemittel komprimiert und über diesen Wasserzulauf dann abgeführt. Die Zuse selbst läuft noch nicht."

Die Zuse – das ist die "Z22" der Zuse KG, Baujahr 1960. Rund fünf Meter breit, zweieinhalb Meter hoch und 1000 Kilogramm schwer. Nicht gerade ein Leichtgewicht im PC-Format. Detlev Krischak hantiert vor einer grünen Schalttafel.

"Also ich starte jetzt in der ersten Stufe erst mal den Motor der 'Z22'. Damit läuft auch der Trommelspeicher an."

Nun wird es richtig laut. Der Boden vibriert, wenn der Trommelspeicher hochfährt. Das Herzstück der Zuse hat die Größe eines Automotors, kann aber nur 38 Kilobyte deponieren. Nicht gerade üppig im Zeitalter von Giga- und Terabyte.

"Jetzt müssen wir einen Moment noch warten, bis der Ton gleichmäßig ist, und dann können wir die Spannungsstabilisierung starten und müssen dann leider noch mal einen Moment warten, bis das Ganze dann soweit aufgewärmt ist, dass ich die Anodenspannung zuschalten kann, um die Röhren in Betrieb zu nehmen."

300.000 Mark kostete die Zuse Z22 damals. Dafür hätte ein Arbeiter 72 Jahre lang schuften müssen. 55 Maschinen wurden gebaut. Eine davon landete beim Landeskulturamt Hannover - zur Berechnung der Ackerflächen. Nach der Ausmusterung 1974 kam sie nach Suderburg.

"Also wir haben hier richtig an der Zuse Ausbildung gemacht, das heißt IT-Ausbildung. Und haben dann auch Projekte berechnet wie statische Systeme, normale Programmierung gemacht und Flächenberechnung für die Vermessung."

Auch wenn die Zuse heute nur noch als Schmuckstück dient, laufen soll der Computer in jedem Fall. Fachmännisch gewartet wurde die Maschine bisher von Hubert Lehmann, einem ehemaligen Mitarbeiter der Konrad Zuse KG. Als er im Februar dieses Jahres starb, gab es niemanden mehr, der sich mit dem Elektronenhirn auskannte. Detlev Krischak ging in die Offensive:

"Somit habe ich dann aus Verzweiflung auf einen Bericht von Heise zurück gegriffen – von Heise Online – da ging's um die Z22, und ich habe einfach den Redakteur dort angeschrieben."

Kaum war die Meldung online, konnte sich die Hochschule Suderburg vor begeisterten Angeboten kaum noch retten. Den Zuschlag zur Pflege der "Z22" erhielt dann aber Werner Zuther – ehemals Ingenieur für Nachrichtentechnik bei Siemens. Zudem wohnt der 67-jährige Rentner quasi um die Ecke:

"Zuse-Reparierer verzweifelt gesucht – so hieß es. Oder so ähnlich. Und das habe ich mir durchgelesen, da dachte ich, okay, das ist ja nicht weit von hier, das sind 15 Kilometer. Ja, und dann habe ich mich mit Herrn Krischak getroffen, habe mir die Maschine angeschaut, habe gesagt, na okay, ich kenne die Maschine nicht, aber das ist ein Stück Technik, die man reparieren kann."

Acht Elektrolytkondensatoren wurden schon ausgetauscht. Die Originale – zylinderförmige Aluminiumbecher groß wie Marmeladengläser - sind heute nicht mehr zu bekommen, sagt Werner Zuther mit Blick auf das Innenleben der Zuse. Moderne Kondensatoren sind wesentlich kleiner. Das ist zwar nicht authentisch, doch die Maschine läuft. Und nur darauf kommt es an:

"Das sind jetzt keine Aluminiumbecher mehr, sondern die sind mit blauer Schrumpffolie überzogen, ja, aber haben dieselbe Funktion und unterscheiden sich in Nichts von den alten Kondensatoren. Wir haben hier acht Spannungen: plus-minus 75 Volt. Plus-minus 150 Volt. Plus-minus 225 Volt. Und plus-minus 30 Volt."

Klingt nicht nur kompliziert. Ist es auch. Erst recht mit Blick auf die defekte Kfz-Lampe aus britischer Nachkriegsproduktion, mit der das Lochstreifenlesegerät arbeitet. Die zu beschaffen, könnte noch schwierig werden. Im Herbst soll die Zuse dann nicht nur Krach machen, sondern auch richtig rechnen. Werner Zuther – der Rentner – will's richten.
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