Digitale Zockerei mit NFT

1,4 Millionen Dollar für ein Pixel

04:20 Minuten
Illustration: Ein Roboterarm baut ein Kartenhaus.
Werden in der Blockchain virtuelle Kartenhäuser geschaffen? © imago / Westend61
Überlegungen von Adrian Lobe · 25.05.2021
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Der neue Hit in der digitalen Welt sind fälschungssichere digitale Zertifikate, kurz NFTs. Sie befeuern einen nie da gewesenen Zockermarkt. Gehandelt wird nur mit virtuellen Objekten. Ein gefährliches Spiel, meint der Politologe Adrian Lobe.
Vor wenigen Wochen wurde im Auktionshaus Christie’s in New York ein Gemälde für 69 Millionen Dollar versteigert. Die Collage des Künstlers Beeple ist das drittteuerste Gemälde eines lebenden Künstlers. Noch teurer als ein Picasso oder Richter. Doch das Bild existiert nicht physisch, sondern rein digital. Als Datei. Der neue Eigentümer hat lediglich eine Art Zugangsschlüssel erworben: einen non-fungible token, kurz NFT.


Dahinter verbirgt sich ein fälschungssicheres Zertifikat, das auf einer Blockchain hinterlegt ist: ein dezentrales Buchhaltungssystem, das man sich wie eine riesige Kassenrolle in einem Supermarkt vorstellen kann. Mit dem Unterschied, dass jede Transaktion in allen Registrierkassen gespeichert wird. Irgendwo auf diesem Kassenbon ist der neue Eigentümer vermerkt. War das Internet zuvor eine billige Kopiermaschine, gibt es nun einen Hebel, auf virtuelle Objekte ein Preisschild zu kleben.

NFT – Markt wächst um 2100 Prozent

Investoren reiben sich die Hände. Seit der spektakulären Auktion ist ein regelrechter Krypto-Boom ausgebrochen. Gifs, Tweets, Sammelkarten – es gibt kaum ein virtuelles Objekt, was noch nicht als NFT verkauft worden wäre. Der NFT-Markt ist im ersten Quartal dieses Jahres auf zwei Milliarden Dollar angeschwollen. Ein Wachstum von sage und schreibe 2100 Prozent. Eine gewaltige Blase hat sich da zusammengebraut. Und es wird immer kurioser: Kürzlich wurde ein mausgraues Pixel für 1,4 Millionen Dollar versteigert.
Die Frage ist: Wer gibt so viel Geld für ein Bild aus, das sich jeder auf seinen Rechner herunterladen kann? Wer zahlt Tausende Dollar für ein virtuelles Sofa, das man sich noch nicht mal in seine Wohnung stellen kann?
Bei einer Plastik von Jeff Koons ist zumindest noch ein materieller Gegenwert – mag das Objekt noch so hässlich sein. Bei einem NFT jedoch ist nichts Greifbares mehr – es liegt, kryptographisch verschlüsselt, auf einem nicht lokalisierbaren Teil der Blockchain-Infrastruktur. Es ist die totale Entstofflichung der Dinge.

Blockchain Technologie verbraucht viel Strom

Aber nur auf den ersten Blick. Denn das Dokumentationssystem erzeugt einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Der Digitalkünstler Memo Akten hat ausgerechnet, dass eine NFT-Transaktion im Durchschnitt 211 Kilogramm CO2 emittiert – das ist ungefähr so, als würde man 1000 Kilometer mit einem Auto mit Verbrennungsmotor fahren. Die Kryptowährung Bitcoin, die ebenfalls auf einer Blockchain läuft, ist nicht umweltfreundlicher, im Gegenteil: Sie verbraucht derzeit mehr Strom als Argentinien.
Der Grund: Damit ein neuer Datenblock an die Blockchain gehängt werden darf, muss ein kompliziertes mathematisches Rätsel gelöst werden. Dieses sogenannte Mining – sprich Schürfen – erfordert jede Menge Rechenpower und damit Energie. Tausende Server rechnen um die Wette, damit sie als Belohnung für die Lösung einen Bitcoin gutgeschrieben bekommen. In den Weiten Russlands oder Chinas, wo die Temperaturen niedrig und die Strompreise billig sind, stehen riesige Mining-Farmen, groß wie Flugzeughangars.

Neue Phase des digitalen Kapitalismus

Die heiß laufenden Server spinnen Strom zu Geld. Kein Wunder, dass die Kryptomanie Glücksritter aus aller Welt auf den Plan ruft. Zocker investieren Millionen in Kryptowährungen. Es ist eine Wette auf die Zukunft.
Damit ist der digitale Kapitalismus in eine neue, vielleicht finale Phase eingetreten: Er schafft aus dem Nichts Kryptowerte, die nicht mehr von der Realwirtschaft gedeckt sind. Doch dieses Kartenhaus wird früher oder später in sich zusammenfallen. Wenn die Server eines Tages abstürzen sollten, sind die darauf gespeicherten Anlagen wertlos.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. "Die Zeit", "FAZ", "NZZ", "Süddeutsche Zeitung". 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks "Surveillance Studies" ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2019 erschien sein Buch "Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis".

Adrian Lobe
© privat
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