"Diese Schattenwelt wieder in ihre Schranken weisen"

Frank Rieger im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.08.2013
Gilt ein Primat der Sicherheit? Oder ist uns die Kontrolle über unsere Sicherheitsapparate wichtiger? Das fragt Frank Rieger vom Chaos Computer Club. Er empfiehlt Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechnologien, um ungehindert im Netz kommunizieren zu können.
Joachim Scholl: "Wir haben den Krieg verloren, die Demokratie ist schon vorbei." Diese Sätze hat Frank Rieger vom Chaos Computer Club formuliert in einem Vortrag, der die staatliche Überwachung des Internets zum Thema hatte. Der Vortrag, gehalten auf dem 22. Chaos-Computer-Kongress, er stammt allerdings aus dem Jahr 2005. Gestern haben wir uns darüber mit Frank Rieger unterhalten, das heißt, vor den neusten Enthüllungen des "Guardian", die zeigen, wie umfassend, wie total die Überwachung durch die NSA ist und wie sie technisch funktioniert. Das also konnte noch nicht Gegenstand unseres Gespräches sein, das Sie jetzt gleich hören werden. Ich habe Frank Rieger zunächst gefragt, ob das Netz als Ort der Freiheit, der individuellen Entfaltung, auch der demokratischen Kontrolle, ob diese Vision, für die ja auch der Chaos Computer Club eintrat und eintritt, endgültig vorbei ist.

Frank Rieger: Das würde ich so nicht sagen, es ist nur so, dass wir darum kämpfen müssen, also dass wir uns einfach den Gegnern, in diesem Fall also den Geheimdiensten, stellen müssen und uns als Gesellschaft darüber klar werden müssen, dass das, was wir denken, was wir an Mitteln von Demokratie und Machtausgleich und gesellschaftlicher Kontrolle über die Sicherheitsbehörden haben, dass es offensichtlich nicht funktioniert. Und dass wir da sehr viel radikaler sein müssen und sehr viel nachdrücklicher fordern müssen, dass eine Evaluierung stattfindet in dem Sinne, dass wir uns als Gesellschaft überlegen müssen, gilt ein Primat der Sicherheit oder wollen wir lieber das Gefühl haben, dass wir die Kontrolle über unsere Sicherheitsapparate noch haben.

Scholl: Den Gedanken werden wir gleich noch weiter verstärken, aber ich möchte noch mal auf Ihren Aufsatz von 2005 zurückkommen. Sie haben damals auch formuliert, dass es sozusagen einen terrorism on demand gebe, also Terrorismus bei Bedarf, der vom Staat dann immer aus dem Hut gezaubert wird, wenn es gelte, die Überwachungsindustrie weiter zu vergrößern. Ist diese Vorstellung, also der Staat schafft den Terrorismus eigentlich selbst, in dieser Form für Sie eingetreten? Damals hat man noch gesagt, der Rieger, der ist paranoid.

Rieger: Na ja, wenn wir uns angucken, bei allen Terrorfällen, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden, handelt es sich entweder, insbesondere in den USA, um sogenannte "Sting Operations", also wo das FBI Leute dazu angeregt hat: 'Hey, wenn ihr schon so radikal denkt, könnt ihr doch mal irgendwie einen Anschlag machen, und hier, übrigens, ist irgendwie der Sprengstoff.' Und bei den Anschlägen in Europa war es so, dass eigentlich in allen Fällen, und selbst unter anderem bei den Boston-Bombern, die Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten oder die Attentäter kannten oder es frühere Geheimdienstmitarbeiter waren oder Informanten waren. Das heißt also, diese ganze Schattenwelt an Geheimdiensten, die da existiert, ist aufs Innigste verwoben mit dem Terrorismus. Und wenn wir uns so angucken, wann, zu welchen Zeitpunkten plötzlich dann immer irgendwas passiert oder irgendwas von den Sicherheitsbehörden aus dem Hut gezaubert wird, dann stellt sich schon der drastische Verdacht ein, dass diese Paranoia und Panik, die dann jeweils erzeugt wird, eben der Terror, dass der durchaus instrumentalisiert wird.

Scholl: Dann könnte man als einfacher User, als Laie also sagen, die Hoffnung, die ruht auf Leuten wie Ihnen, also den technisch versierten Nerds, den Hackern, die uns rechtschaffen demokratisch den Weg weisen, wie wir dieses und jetzt offenkundige Überwachungssystem schlagen oder wenigstens austricksen können. In diesem Zusammenhang wollen wir uns mal kurz anhören, Herr Rieger, was der Blogger Johnny Haeusler, der gestern bei uns zu Gast war, dazu gesagt hat:

Johnny Haeusler: Ich glaube, man kann da ein technisches Wettrüsten fahren, also wir können jetzt als Netzaktivisten uns neue Programme ausdenken, verschlüsselte Chat-Programme für unsere Handys und so weiter und so fort, können GPS abstellen, all diese technischen Maßnahmen, aber am Ende ist es wirklich ein Wettrüsten, und das kann nicht Sinn der Sache sein. Und ich glaube, dass es einerseits wichtig ist, dass wir uns nicht verstecken, also alles jetzt dicht machen und nur noch über geheime Kanäle kommunizieren. Es braucht eine rechtliche Handhabe dafür. Es muss ganz klar sein, dass bestimmte Kommunikationskanäle sowohl im analogen Leben als auch im Netz für die Bevölkerung geschützt sind.

Scholl: Der Blogger Johnny Haeusler gestern im Deutschlandradio Kultur. Glauben Sie denn, Herr Rieger, noch an diese klassische Regulierungsform der parlamentarischen Demokratie, also die Sache mittels Gesetzen einzudämmen?

Rieger: Im Prinzip schon, allerdings, damit wir wieder dahin kommen können, dass sie wirksam sind, brauchen wir erst mal technische Schutzvorkehrungen, damit wir uns überhaupt in einem Raum, der, sagen wir mal, nicht manipuliert, nicht überwacht ist, darüber unterhalten können, was wir eigentlich tun wollen. Und die momentanen Mittel und Wege parlamentarischer Kontrolle und gesetzlicher Regelung sind ganz offensichtlich nicht ausreichend, also deswegen brauchen wir da deutlich drastischere und umfänglichere Methoden und Mittel. Und wenn man sich darüber unterhalten will, dann wird einem ja schon häufiger unterstellt, dass man hier die Rechtsordnung in Frage stellen will, was eigentlich nicht der Fall ist. Und dann ist man damit schon tatsächlich wieder Subjekt wieder von Überwachung. Das heißt also, wir brauchen die technischen Mittel ganz klar auch dafür, um uns überhaupt darüber Gedanken machen zu können und politischen Willen bilden zu können, unbeeinträchtigt von den Diensten, die natürlich ein Selbstschutzinteresse haben. Um zu überlegen, was machen wir denn jetzt eigentlich, und wie können wir dann eigentlich rechtlich und als Gesellschaft irgendwie diese Schattenwelt wieder in ihre Schranken weisen.

Scholl: "Datagate" – in unserer Reihe zur digitalen Überwachung hier im Deutschlandradio Kultur sind wir im Gespräch mit Frank Rieger vom Chaos Computer Club. Inwieweit, Herr Rieger, sind Hacker wie Sie eigentlich auch Teil des Problems, also will sagen: Enthält nicht genau die Philosophie der freien Vernetzung eben die Möglichkeit, sie auch auf dieser staatlichen Ebene der Überwachung zu betreiben mit genau solchen Spezialisten wie Ihnen und Ihren Kollegen?

Rieger: Das ist natürlich ein komplexes Thema. Es gibt, gerade in den USA, eine Menge Leute, die sich als Hacker bezeichnen, zu Recht oder zu Unrecht, die für die Dienste arbeiten oder die für Unternehmen arbeiten, die für die Dienste arbeiten und die zum Beispiel Einbruchswerkzeuge bauen, mit denen dann Computer infiltriert werden können, die diese Abhörtechnologien bauen und so weiter. Und die Diskussion darüber in der Szene, ob so was denn vertretbar ist, ob man das denn machen kann oder ob man sagen kann, okay, das ist ja alles rechtlich abgesichert und insofern mache ich hier nur meinen Job. Die ist natürlich in den letzten Wochen dramatisch aufgeflammt. Und in Deutschland sind wir halt in der etwas anderen Position, unter anderem auch wegen dem Chaos Computer Club, dass es eigentlich nicht okay ist und nicht als normal angesehen wird, halt für die Überwachungsindustrie zu arbeiten, die Leute da eher verschämt sind und eher nicht so gerne drüber reden. Was wir aber auch zunehmend sehen, jetzt in den letzten Wochen, ist, dass Leute anfangen zu reden darüber, wenn sie da arbeiten und was sie da tun und einfach auch versuchen, ihre Seele zu erleichtern, ihren Frieden zu machen und einfach zu erklären, was passiert da eigentlich und wieso. Und auch gehen – also häufiger haben wir jetzt in den letzten Wochen Leute, die halt sagen, okay, ich mach da nicht mehr mit und ich suche mir halt einen anderen Job.

Scholl: Morgen beginnt in Nevada wieder die DEF CON, die weltgrößte Hackerkonferenz, und in dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im vergangenen Jahr NSA-Chef Keith Alexander dort aufgetreten ist. Nicht in Generalsuniform, sondern im nerdigen T-Shirt. Ich meine, heute bekommt das Bild ja wirklich einen tristen Touch, wenn man sich vorstellt, wie damals vermutlich tolle Job-Angebote gemacht wurden. In diesem Jahr könnte sich so einer nicht blicken lassen?

Rieger: Das ist nicht richtig, also der wird die Keynote halten auf der BlackHat, das ist die Parallelveranstaltung da zur DEF CON, die sich mehr einem kommerziellen und staatlichen Publikum widmet, aber auf dem auch die besten Sicherheitsforscher vertreten sind da in den USA. Also wie gesagt, die Grundeinstellung und, sagen wir mal, die Struktur der Szene in Bezug auf das Verhältnis zum Staat ist da ein völlig anderes als in Europa, also zumindest als in Deutschland. Das heißt also, diese Abgrenzungsdiskussion und die Frage, wie lässt sich denn eigentlich eine Arbeit für die Dienste oder für die Überwachungsindustrie mit freiheitlichen Hacker-Grundüberzeugungen vereinbaren, die Diskussion wird sicherlich auch interkontinental irgendwie drastisch geführt werden in den nächsten Wochen.

Scholl: Sie haben damals in jenem Vortrag von der Surveillance-Industrie gesprochen, also der Überwachungsindustrie. Jetzt wissen wir, dass sie tatsächlich Realität ist. Muss man nun sein Verhältnis zum Internet, müssen wir das grundsätzlich überdenken, dass es eben jetzt kein Ort der freien Kommunikation mehr ist?

Rieger: Ich denke, man muss einfach einen gewissen Realismus walten lassen, das heißt also, man muss sich darüber im Klaren sein, dass Kommunikation, die unverschlüsselt übers Netz geht, abgehört werden kann, sei es jetzt von den Diensten oder eben auch gespeichert werden kann von Firmen wie Facebook oder Google oder wie sie alle heißen. Und auch dann, wie wir wiederum gelernt haben, aus deren Datenbanken den Diensten zugänglich werden kann. Man muss sich halt überlegen, wenn man einen einfachen Zugriff auf Verschlüsselungstechnologien hat, also die halt einfach nicht stören und die nicht die Kommunikation beeinträchtigen, warum soll man sie dann nicht einfach benutzen, so wie man halt irgendwie bestimmte Dinge lieber in einen Brief tut, und nicht auf einer Postkarte schreibt. Und jetzt halt in Panik zu verfallen und zu sagen, okay, wir schalten das Netz ab oder wir benutzen es nicht mehr oder wir können es jetzt nicht mehr benutzen, um uns politisch zu organisieren, wäre natürlich auch vollkommen falsch. Was wir halt brauchen, ist halt ein realistischer Umgang mit dem Status quo und den deutlichen Willen, den Status quo zu verändern.

Scholl: Was bedeutet diese Entwicklung eigentlich für den Chaos Computer Club, auch als Organisation, also für Ihr Selbstverständnis? Wie stellen Sie sich auf diese neue Lage ein? Mit einem Wettrüsten, wie Johnny Haeusler prognostiziert hat?

Rieger: Na ja, gut, also wir propagieren und entwickeln ja Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechnologien nun schon seit vielen Jahren, das ist ja nichts Neues für uns. Es ist natürlich so, dass die Nachfrage danach jetzt dramatisch gestiegen ist, weil eine Menge Leute jetzt sich ja doch bewusst werden, dass das, was wir ihnen die ganzen Jahre erzählt haben, einfach die Wahrheit war, und es halt nicht mehr nur eine bunte Blümchenwiese im Internet ist. Und dementsprechend haben wir halt irgendwie mit einem sehr großen Schwall von Nachfragen, von Anfragen sowohl von der Presse als auch von Bürgern zu tun, die wir halt irgendwie bewältigen müssen. Und wir haben auch ein deutliches Interesse nach unseren öffentlichen Veranstaltungen. Also es gibt in vielen lokalen CCC-Gliederungen sogenannte Kryptopartys, wo den Leuten einfach gezeigt wird, wie man Sachen verschlüsseln kann, wenn man denn möchte. Und für uns ist es halt, denke ich mal, auch ein Stück weit Bestätigung unserer Arbeit und dessen, was wir politisch wollen, dass wir sagen, okay, wir haben halt ein Interesse daran, dass das Internet ein Ort der Freiheit wird wieder, weil es ist es gerade nicht. Und was quasi auch schon in unserer Vereinssatzung als Grundziel drinsteht, eben freie, ungehinderte, unzensierte Kommunikation.

Scholl: "Wir haben den Krieg verloren", das hat Frank Rieger vom Chaos Computer Club schon vor Jahren gesagt angesichts der Möglichkeiten technischer Überwachung im Netz. Ich danke Ihnen, Herr Rieger, für dieses Gespräch!

Rieger: Vielen Dank!

Scholl: Und unsere Reihe "Datagate" setzen wir hier im Deutschlandradio Kultur morgen fort, wieder um diese Uhrzeit, kurz nach neun, dann wird es um die juristischen Implikationen gehen mit dem früheren Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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