"Diese Geschichte hat eine fast biblische Wucht"

Philipp Stölzl im Gespräch mit Susanne Führer · 21.10.2008
Der Regisseur Philipp Stölzl ist bekennender Fan von Bergfilmen. Durch die Vereinnahmung durch die Nazis sei der Bergfilm jedoch lange auch diskreditiert gewesen. Seinen Film "Nordwand", der auf einer wahren Begebenheit beruht, habe er mit einer großen Geste erzählen müssen, um das Martyrium der vier Bergsteiger nachvollziehbar darzustellen.
Dieter Kassel: Unter anderem den Augen der Menschen in ihren Luxusunterkünften haben wir zu verdanken, dass die Geschichte der Eigernordwand-Besteigung ziemlich gut dokumentiert ist und dass der Regisseur Philipp Stölzel einen Spielfilm drehen konnte, der teilweise recht genau auf den historischen Tatsachen beruht. Meine Kollegin Susanne Führer hat mit Stölzl gesprochen und ihn gefragt, warum er dem Mut aufgebracht hat, jetzt und heute einen Film zu drehen, der in ihren Augen allerdings ehr eine Art Anti-Bergfilm ist.

Philipp Stölzl: Ich höre natürlich ungern, dass man sagt: "Das ist ein Anti-Bergfilm", weil dafür liebe ich den Bergfilm viel zu sehr und habe irgendwie das Gefühl, dass "Nordwand" auf eine Art ja auch ganz bewusst an das Genre der Bergfilme so anknüpft.

Man fängt ja bei so einem Film immer bei einer, sozusagen einer Geschichte an oder einer Idee. In dem Fall gab es die wahre Geschichte von Toni Kurz und seinen Seilkameraden, die relativ genau überliefert ist, man weiß darüber eine ganze Menge. Diese Geschichte, die hat irgendeine Wucht, eine fast ein bisschen biblische Wucht, dieses Martyrium, diese vier Leute, die so den Berg herausfordern, die Schöpfung herausfordern und dabei ja so auf schreckliche Art zurückgeschlagen werden und irgendwie aber bis zum letzten Haken und letzten Seilstück und letzten Atemzug da kämpfen, zum Schluss der Toni, der dann wirklich auf den letzten, allerletzten Zentimetern zur nahen Rettung dann sein Leben lassen muss und fast wie der Heiland selber eben fast gekreuzigt an dieser Wand so hängt.

Also, ich habe das Gefühl, in dieser brutalen wuchtigen archaischen Geschichte, die hat per se was Überwältigendes in ihrer Art, was passiert ist. Und ich hatte einfach das Gefühl, dass wenn man eben so eine Geschichte verfilmt, dann willst du der irgendwo auf eine Art entsprechen.

Es gibt auch negative Beispiele. Das Ding gibt es zweimal als Dokuspiel verfilmt. Beides Mal ist es fast nur an Originalschauplätzen in der Wand gedreht, wo natürlich viele Sachen wie die Maske, wie der Schneesturm und so was gar nicht so herzustellen war. Dann sind es irgendwelche Bergsteiger, die dann so drei Sätze laienhaft aufsagen und so.

Und ich habe mir gedacht, das ist doch nicht die Geschichte, die ich gelesen habe und die ich mir vorstelle, weil sie gar nicht diese wahnsinnige Kraft und diesen Schrecken auch hatte. Und deswegen hatte ich immer das Gefühl, man muss es zusammen mit dieser großen Geste auch dann erzählen und man muss auch erzählen, was es wirklich bedeutet, in einem Schneesturm in einer Wand zu hängen. Das funktioniert nur, wenn es auch für den Zuschauer so physisch präsent wird.

Ich kenne ja quasi jeden denkbaren Bergfilm und muss immer sagen, dass die bei den Sachen dieses Bergsteigen nicht ernst nehmen. Die brauchen dann immer wahnsinnig viel andere Plotelemente, so Bomben und Helikopter und Bösewichter, damit es ein spannender Film wird. Das Bergsteigen selber ist eben nur spannend, wenn man, weil eigentlich ist es so ein Mikrokosmos, da wird nicht geredet, da geht es um, oft ist sozusagen ein Meter, ein Griff, ein Fels, der rausbröckelt, ein Seil, das abgezogen wird, so diese kleinen Sachen sind oft die Sachen, die dann zwischen Tod und Leben entscheidend sind.

Und wenn du nicht diesen Kosmos dann ganz genau erzählst und dann mittendrin bist, dann wird es eben schnell langweilig, dann ist plötzlich Bergsteigen auch total öde im Film.

Führer: Genre Bergfilm: Sie haben selbst mal gesagt in einem Interview, das sei eigentlich ein kontaminiertes Genre, durch die Nationalsozialisten kontaminiert. Wieso haben Sie sich da trotzdem herangetraut?

Stölzl: Ich sage mal, erstens ist es so, ist das Genre zwar kontaminiert, aber, sagen wir mal, die Filme selber können gar nicht mal so viel dazu. Wenn man so die ganzen Arnold Fanck-Sachen anguckt aus den 20er-Jahren, also hier "Heiliger Berg" oder "Weiße Hölle von Piz Palü" oder dann auch die früheren Trenker-Sachen, die sind eigentlich nicht wirklich ideologisch. Gerade bei Fanck sind es eigentlich eher fast so ein bisschen, ja fast so ein bisschen Autorenfilme. Da geht es oft um so schmerzvolle Dreiecksgeschichten, die glaube ich mit ihm selber zu tun hatten.

Und die Nazis haben ja irgendwie kannibalistisch sich aller Mythen, die sie so kriegen konnten, bemächtigt. Und da ist natürlich der Berg und der Kampf am Berg und diese heroischen arischen Männer da, die am Fels hängen, das ist natürlich wie gemacht für diesen Bilderreigen der Nazi-Propagandamaschine. Und das tut mir Leid eigentlich für Fanck und für die Filme, dass die so eingesaugt worden sind.

Das ist auch so ein bisschen, kann man das, bildnerisch kann man ganz schön sehen, Riefenstahl, die so als Darstellerin bei Fanck anfängt, von ihm eigentlich alles lernt, dann ihren ersten Film macht, "Das Blaue Licht", den Fanck noch geschnitten hat und dann als irgendwann "Triumph des Willens" ein paar Jahre später macht. Und man sieht so, dass eigentlich diese Bildästhetik der Bergfilme direkt praktisch in den Reichsparteitagsfilm hineinführt, also kein Wunder, dass nach dem Krieg alle sozusagen das Gefühl hatten, man kann diese Bilder eigentlich nicht mehr angucken, ohne so ein bisschen ein ungutes Gefühl zu haben und doch so ein bisschen an den Holocaust und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zu denken.

Ich habe immer, wenn ich mir Alpinismus jetzt angucke, habe ich das Gefühl, dass Alpinismus hat eine ganz gute Entwicklung genommen. Der Alpinismus war immer sehr national, diese Geschichte der Alpenvereine ist ziemlich düster, muss man sagen. Die haben schon 1912 angefangen zu arisieren. Also, wenn du in den 20er-Jahren Jude warst und Bergsteiger warst, konnte es dir passieren, dass du auf eine Hütte aufgestiegen bist, wo dann stand: "Hier nur für Arier." Also, das ist schon so ein bisschen rechte Suppe sowieso gewesen.

Und dann hat man die 20er-, 30er-Jahre, wo es eben diese komische deutsche Todessehnsucht ist und diese Sehnsucht nach diesen düsteren Helden und Schicksalsbergen etc. und wo auch die ganze Sprache so wahnsinnig militarisiert auch ist. Also, das ist so: "Die Wand wird belagert", und "Der Gipfelsieg muss errungen werden". Es ist alles so, als würde man in eine Art Metaphernkrieg ziehen da.

Und jetzt, wenn man so anguckt seit Messner und diesen Leuten, die so dann die großen Gestalten des Alpinismus sind, hat das Bergsteigen immer mehr mit so einer Selbstsuche zu tun, es ist irgendwie individualistischer geworden und ich habe irgendwie das Gefühl, wenn jetzt jemand hochsteigt, sozusagen auf den Everest, das sind immer so Weltbürger. Gott sei Dank ist der Nationalismus kein Thema mehr im Alpinismus, sondern ist eigentlich was Innerlicheres, vielleicht mehr so ein bisschen esoterischere Sache geworden.

Führer: Aber die Faszination durch das Extreme, durch die Gefahr, die ist ja geblieben.

Stölzl: Aber total, ja.

Führer: Also, Sie sind ja Münchener und Sie sind selbst auch schon auf Berge gestiegen, haben sich hoffentlich nicht in Lebensgefahr begeben, ...

Stölzl: Nein.

Führer: .. aber haben Sie dadurch so ein größeres Verständnis für diesen, ich weiß gar nicht, was es ist, diesen Wunsch, über die eigenen Grenzen hinauszugehen?

Stölzl: Absolut. Ich glaube, das ist natürlich jeder, der so was macht, da muss jeder so seinen eigenen Weg finden, warum er es macht. Und es ist ja lustig, dass mal, ich meine, du fragst zehn Bergsteiger und bekommst wirklich zehn total verschiedene Antworten, warum sie das machen. Das geht von psychologischen Antworten bis hin zu so lakonischen Sachen wie, dass sie sagen: "Because we can", sagen die oft. Das ist auch so, das ist irgendwie alles oder nichts.

Ich für mich selber kann nur sagen, ich bin selber immer Bergwanderer gewesen und Skifahrer und bin durch den Film so ein bisschen zum richtigen Alpinismus gekommen. Für mich spielt er auf der einen Seite, es ist einfach ein unfassbares Naturerlebnis. Also, es ist für mich wirklich vergleichbar, wie wenn ich in ein tolles, ich gehe ganz gern in klassische Konzerte, und das ist im Berg ganz ähnlich. Also, das sind so Bilder in dieser Natur, wo auch die Wolken und die Wetterwechsel so schnell stattfinden, da fühlst du dich so wie der erste und letzte Mensch und spürst auf eine ganz unmittelbare starke Weise die Schöpfung.

Und das andere ist, dass man, wenn man, das ist ja beim Bergsteigen ein bisschen wie beim Golfspielen, dass du quasi gegen dein eigenes Handicap antrittst. Wir waren jetzt als Abschluss zum Film, waren wir auf dem Eiger oben, sind zwar nicht die Nordwand-Route gegangen, sondern den Ostgrad, der aber auch ...

Führer: Hochgegangen.

Stölzl: ... Ja, ja, auf dem Gipfel sozusagen, aber auch mit Klettern und, also nicht sehr, sehr ausgesetzt. Das muss man wollen so was, sagt ja immer der Journalist, und für mich war das ein ziemlicher Grenzgang. Das war ein bisschen mehr, als ich mir selber zugetraut hätte, habe es aber dann doch irgendwie gemacht. Und das ist einfach was, was man so letztendlich als Lebensmut mit runternimmt ins Tal.
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