"Diese Generation sucht sich nun neue Möglichkeiten"

Katja Jaeckel im Gespräch mit Britta Bürger · 31.08.2010
Braindrain in Hellas: Laut einer Studie erwägen zwei Drittel der jungen Akademiker in Griechenland, ihr Land zu verlassen. Wegen der desolaten wirtschaftlichen Situation sehen viele in der Heimat keine Perspektive mehr, sagt Katja Jaeckel vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst.
Britta Bürger: Griechenland steht vor einer weiteren Krise. Sieben von zehn Hochschulabsolventen erwägen, wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes auszuwandern. In einer repräsentativen Umfrage hat das griechische Meinungsforschungsinstitut Kapa Research knapp 5500 Hochschulabsolventen im Alter zwischen 22 und 35 Jahren zu ihrer beruflichen Perspektive befragt.

Die Ergebnisse sind fatal: Die große Mehrheit der studierten jungen Generation hat keinerlei Vertrauen in die Zukunft Griechenlands. Viele suchen bereits über Austauschprogramme und Stipendien einen Weg, das Land zu verlassen. Eine der Anlaufstellen ist das Athener Büro des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes, geleitet von Katja Jaeckel, die ich jetzt am Telefon in Athen begrüße. Guten Morgen, Frau Jaeckel!

Katja Jaeckel: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Hat Sie das Ausmaß dieser Umfrageergebnisse überrascht?

Jaeckel: Nein, überhaupt nicht. Ich muss sagen, dass die Stimmung in der Tat besonders bei den jungen Menschen, die sich ja schon seit den blutigen Unruhen nach dem Tod eines 16-Jährigen durch eine Polizeikugel im Dezember 2008 als die Verlierer der Gesellschaft fühlen, und die Stimmung eben sehr gedrückt ist gerade unter den Jugendlichen. Die Arbeitslosigkeit ist in Griechenland innerhalb eines Jahres von 8,5 auf 12 Prozent geklettert, und unter den jungen Leuten liegt sie mittlerweile, Sie sagten das schon, bei einem Drittel, also bei 32 Prozent, und das in der Tat trotz sehr guter Ausbildung.

Hier handelt es sich um eine Generation, deren Eltern sehr, sehr viel Geld in Ausbildung, häufig in Privatschulen und in Zusatzunterricht, sogenannte Frondestiria gesteckt haben, ja man kann sogar sagen, dass keine griechische Generation zuvor so gut ausgebildet war. Und ausgerechnet diese Generation sieht nun auch aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Situation keine Perspektive mehr im eigenen Land, und daher wollen in der Tat viele das Land verlassen.

Bürger: In welchen Berufsgruppen ist die Unsicherheit, als junger Akademiker in Griechenland Arbeit zu finden, besonders groß?

Jaeckel: Ja das zieht sich leider durch alle Berufsgruppen. Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass auch vonseiten der Arbeitgeber sehr wenig Vertrauen in Jugendliche und in gut ausgebildete Akademiker gesteckt wird. Das heißt, diese jungen Leute, die Berufsanfänger sind immer diejenigen, die am schlechtesten bezahlt werden und zu den unmöglichsten Bedingungen arbeiten müssen. Man spricht ja auch von der sogenannten 700-Euro-Generation.

Und seit jenen Unruhen im Dezember 2008 verschafft sich die Jugend ja nun auch eine Stimme, geht auf die Straße und möchte das auch nicht mehr akzeptieren. Das ist noch mal durch die desolate Wirtschaftslage besonders frappierend geworden. Und diese Generation sucht sich nun neue Möglichkeiten. Bislang war es ja so, dass man hier relativ gelassen ins Leben ging: Man schloss ein Studium ab und in vielen Fällen übernahm man den Beruf des Vaters oder der Mutter, übernahm die gut laufende Anwaltskanzlei oder das gut laufende, die gut laufende Arztpraxis. Nun, wo sogar die Eltern in der Krise sind – zwar nicht so sehr natürlich wie die Jungen –, sagen sich viele, nein, ich muss jetzt meinen eigenen Weg gehen, und sieht da keinen anderen Weg mehr als zunächst einmal ins Ausland zu gehen.

Bürger: Fast jeder junge Grieche hat Verwandte, die in den 60er- oder 70er-Jahren als Arbeitsemigranten das Land verlassen haben. Damals waren es allerdings vor allem die eher Ungebildeten, die Arbeiter. Die heutige Situation kann man damit ja kaum vergleichen. Ist die Flucht vor der Krise vielleicht nur ein schöner Traum? Also wie realistisch ist das denn, dass die griechischen Akademiker in anderen europäischen Ländern oder auch in den USA tatsächlich Arbeit finden?

Jaeckel: Ja das ist eine sehr gute Frage. Zunächst einmal ist zu sagen, dass ja nicht nur über 300.000 Griechen in Deutschland leben, sondern die griechische Diaspora überhaupt sehr groß ist. Wir haben hier ein Land von knapp elf Millionen Einwohnern, aber noch mal sechs Millionen Griechen leben in der Diaspora. Und insofern ist es tatsächlich so, dass jeder irgendwo einen Onkel oder eine Tante oder Verwandtschaft hat, Freunde, die irgendwo reüssiert haben. Und ich denke, das ist das große Atout der Griechen, sie sind sehr integrationsfähig, sie sind extrem flexibel. Ich erinnere nur daran, dass es sich ja auch um eine alte Seefahrernation und um eine Händlernation handelt, die überall und jederzeit neu anzufangen gewillt ist.

Und das macht es diesen jungen Leuten natürlich leicht. Was Sie angesprochen haben, ist vollkommen richtig: Es ist natürlich nicht so, dass jeder gleich in einem bestimmten Land auch erfolgreich sein wird. Das merke ich in den Gesprächen bei mir im Büro ganz besonders. Früher kam immer nur die Frage nach Weiterbildungsmöglichkeiten, Stipendienmöglichkeiten, Aufbaustudien, eventuell auch die Frage nach der Promotion, aber immer mit der Perspektive, zurückzugehen nach Griechenland. Jetzt ist diese Frage nach den Studienbedingungen und -möglichkeiten sofort verknüpft mit den Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Und da muss ich natürlich als Beraterin sehr realistisch auch sein, denn viele machen sich keine Vorstellungen, wie umkämpft der Arbeitsmarkt auch gerade in anderen Ländern ist. Und die Wirtschaftskrise hat ja nicht nur Griechenland betroffen.

Bürger: Mehr als 70 Prozent der griechischen Hochschulabsolventen tragen sich mit dem Gedanken, auszuwandern. Über die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung sprechen wir hier in Deutschlandradio Kultur mit Katja Jaeckel, der Leiterin des DAAD-Büros in Athen. Sie sagen, Sie müssen die Leute im Grunde auch ein bisschen vorwarnen, dass das alles nicht so leicht geht, wie sie sich das möglicherweise vorstellen. Wenn man es trotzdem positiv betrachten will: Auf welche griechischen Akademiker könnte ein Land wie Deutschland auch scharf sein?

Jaeckel: Also es werden in Deutschland ja Fachärzte gesucht. Und das passt sehr gut zu Griechenland. Wir haben hier eine sehr gute medizinische Ausbildung von sechs Jahren, entspricht voll und ganz der deutschen Medizinausbildung. Und die Wartezeiten für eine Facharztausbildung hier sind sehr, sehr lang, manchmal bis zu zehn Jahren. Und das ist ein klassischer Fall. Allerdings möchten fast alle griechischen Graduierten der Medizin an eine Universitätsklinik in Deutschland und möglichst auch in eine große Stadt. Und das ist nun jetzt nicht so realistisch, denn Bedarf ist in Deutschland vor allen Dingen auf dem Land und gerade auch im Osten da. Und hier herrscht natürlich eine Diskrepanz zwischen Wunschvorstellung und Realität.

Aber das sind Dinge, die wir im Beratungsgespräch auch sehr, wo wir uns sehr intensiv mit unseren Kunden beschäftigen. Sehr viele Juristen sind immer schon traditionell nach Deutschland gegangen, weil das griechische Recht auf dem deutschen Recht aufbaut, bislang in der Tat auch zum Aufbaustudium mit der Hoffnung, zurückzukommen und bessere Chancen gerade im akademischen Bereich zu haben. Nun ist das nicht mehr so, dass eine Promotion in Deutschland in den Rechtswissenschaften quasi automatisch eine akademische Karriere in Griechenland bedeutet, zumal es nur drei juristische Fakultäten in diesem Land gibt. Auch da muss man realistisch sein und für Juristen ist es natürlich sehr viel schwieriger, es sei denn, man konzentriert sich auf Internationales, auf Europarecht, auf Handelsrecht, da sind die Chancen dann schon besser.

Besonders gute Chancen in Deutschland hätte man als Touristikfachmann, das ist aber wiederum ein Bereich, der in Griechenland paradoxerweise überhaupt nicht nachgefragt ist. Und ich muss auch sagen, dass die Ausbildung hierzu nicht besonders gut ist. Also die besten Hotelfachschulen sind nicht gerade in Griechenland. Allerdings ein Grieche, der eine Hotelfachschule in der Schweiz besucht hat, der hat natürlich erstklassige Chancen in der deutschen Hotellerie.

Bürger: Nimmt denn eigentlich auch die Zahl derjenigen zu, die von Anfang an ihre gesamte Karriere im Ausland planen?

Jaeckel: Oh ja. Also das haben wir dieses Jahr ganz deutlich gemerkt auf unserer Hochschulmesse. Wir veranstalten jedes Jahr im März eine deutsche Hochschulmesse, laden dazu deutsche Universitäten ein, die ihr Angebot vorstellen. In den letzten Jahren war vor allen Dingen das Interesse groß an Aufbaustudienmöglichkeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten, auch eingeschränkt natürlich dann die Promotion. In diesem Jahr haben wir durchaus mit einer gewissen Traurigkeit auch beobachtet, dass ganze Familien kamen und ganz deutlich sagten, wir sehen für unser Kind keine Chance mehr, wir möchten, dass es gleich nach der Schule nach Deutschland geht und vornherein eine Karriere in Deutschland plant.

Also so frappierend wie in diesem Jahr haben wir das noch nicht gemerkt. Und das tut natürlich auch weh, denn wir sind diesem Land sehr verbunden und wir sehen unsere Mission natürlich darin, dass wir einen Teil der jungen Akademiker in Deutschland fortbilden, ihnen gute Möglichkeiten geben, den Besten Stipendien geben können, um Sie aber dann als Multiplikatoren eben zurück in Ihr Land zu holen und im Zweifelsfall natürlich dann auch mit uns eben auf die ein oder andere Art weiterzuarbeiten.

Bürger: Der DAAD ist ja nicht die einzige Anlaufstelle. Ist die Situation bei anderen europäischen Instituten ähnlich und sind das im Grunde auch Ihre Konkurrenten jetzt beim Kampf um die Besten?

Jaeckel: Ja, das ist etwas martialisch ausgedrückt, wobei so ein Jargon durchaus üblich ist. Griechenland ist durchaus als Rekrutierungsmarkt schon seit ein paar Jahren von vielen Partnerländern – ich spreche ganz bewusst von Partnerländern – erkannt worden. Das Gros der Griechen geht schon aus sprachlichen Gründen in die angelsächsischen Länder. Von den etwa 60.000 Griechen, die im Ausland studieren, sind die Hälfte in Großbritannien. Das liegt natürlich an der Sprache, wobei Großbritannien auch sehr massiv Werbung macht und natürlich auch daran verdient durch die nicht zu knappen Studiengebühren.

Insofern wird Deutschland jetzt in der Krise auch als ein sehr attraktives Studienland empfunden ebenso wie Frankreich, ich stehe in sehr engem Kontakt mit meinen ausländischen Partnern hier vor Ort, nach Frankreich gehen traditionell gerne die Psychologen, die Geisteswissenschaftler, nach Deutschland eher die Ingenieure, wo wir – das trifft sich ja gut – ja auch einen starken Mangel haben im Moment in Deutschland.

Ganz groß sind natürlich auch die Amerikaner hier vertreten und mittlerweile haben auch die Spanier ein Büro aufgemacht. Und auch die Italiener werben, nach Italien gehen vorzugsweise griechische Studenten der Medizin, die hier im Land oder woanders keinen Studienplatz für Medizin bekommen haben. Es ist nämlich etwas einfacher, in Italien einen Medizinstudienplatz zu ergattern, als in Griechenland.

Bürger: Die gut ausgebildeten jungen Griechen verlassen das sinkende Schiff. Laut neuster Umfragen denken zwei Drittel aller jungen Akademiker über Auswanderung nach. Katja Jaeckel vom Athener DAAD-Büro hat uns die Hintergründe erläutert. Frau Jaeckel, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Jaeckel: Ja, gerne, auf Wiederhören!

Bürger: Tschüss!
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