Sachbuch-Empfehlungen für den Herbst

Diese Bücher sollten Sie lesen!

34:57 Minuten
Die Cover der Bücher: "Die schweren Jahre ab Dreiunddreißig", "Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden" und "Harro und Libertas. Eine Geschichte von Liebe und Widerstand".
Bücher für den Herbst, die einen zum Nachdenken bringen oder tief in die Geschichte eintauchen lassen. © Edition TIAMAT / DuMont / KiWi / Deutschlandradio
Moderation: Christian Rabhansl · 05.10.2019
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Der Herbst färbt die Blätter bunt und lädt ein, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen. Das Lesart-Team hat passend zur Jahreszeit eine Auswahl getroffen - unsere ganz persönlichen Empfehlungen für den Herbst.
Die Krankheit Demenz bestimmt in diesem Buch die Erzählweise: David Wagner ist ein besonderer Text gelungen.
Die Krankheit Demenz bestimmt in diesem Buch die Erzählweise: David Wagner ist ein besonderer Text gelungen.© Rowohlt / Deutschlandradio

Maike Albath empfiehlt:
David Wagner: "Der vergessliche Riese"
Rowohlt Verlag, Berlin 2019
272 Seiten, 22 Euro

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Maike Albath meint: "Was heißt es, wenn sich die Eltern plötzlich zu bedürftigen Kindern wandeln? Einfühlsam und mit heiterer Melancholie wendet sich der Schriftsteller David Wagner einem Problem unserer Zeit zu und zeigt, dass Begriffe wie Demenz nur ein Etikett sind. 'Der vergessliche Riese' heißt sein autobiografischer Erfahrungsbericht, in dem es zu einem Rollentausch kommt. Der kindliche Vater und der väterliche Sohn stellen sich der Krankheit und können ihr sogar etwas abgewinnen. Denn trotz allem behält der Vater etwas von dem, was er einmal war. Mit seinem besonderen Blick auf das Private entwirft David Wagner zugleich ein Porträt der alten Bundesrepublik. Ein ungewöhnlicher Vater-Sohn-Roman und ein Buch für alle, die etwas übrig haben für Zwischentöne."

Das Cover des Buches "Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden" von Hédi Fried.
Wenn die Zeitzeugen des Holocaust nicht mehr am Leben sind, müssen ihre Erinnerung wach gehalten werden.© DuMont / Deutschlandradio

Kim Kindermann empfiehlt:
Hédi Fried: "Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden"
DuMont, Köln 2019
160 Seiten, 18 Euro

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Kim Kindermann meint: "Das ist ein unverzichtbares Buch, das einem wirklich die Augen öffnet. Hédi Fried hat Auschwitz überlebt und beantwortet in diesem Buch alle Fragen, die ihr in Schulen zum Holocaust gestellt werden. Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen, weil ich mich wie im Gespräch fühlte. Ich dachte, Hédi Fried redet direkt mit mir. Jede Frage in diesem Buch ist wichtig. Es ist wichtig, dass wir Fried zuhören, denn die Zeitzeugen sterben. Wenn niemand mehr vom Holocaust erzählt, dann wird er vergessen. Was vergessen wird, kann sich leicht wiederholen. Die meisten denken, ihnen selbst könne nichts Schreckliches passieren, weil wir zum Beispiel keiner Minderheit angehören. Dass das nicht stimmt, wird sehr deutlich in diesem beeindruckenden Zeugnis."

Zu sehen ist das Cover des Buches "Harro und Libertas. Eine Geschichte von Liebe und Widerstand" von Norman Ohler.
Dem Widerstand verpflichtet: Norman Ohler zeichnet die Geschichte von Harro und Libertas Schulze-Boysen nach.© Kiepenheuer & Witsch / Deutschlandradio

Shelly Kupferberg empfiehlt:
Norman Ohler: "Harro und Libertas. Eine Geschichte von Liebe und Widerstand"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
496 Seiten, 24 Euro

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Shelly Kupferberg meint: "Ein bemerkenswertes Buch über zwei bemerkenswerte Widerstandskämpfer der Roten Kapelle: Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas. Harro war schon früh ein großer Verfechter der Debattenkultur, des Kontroversen, der Konfrontation verschiedener Meinungen. Er glaubte an diese Art der Auseinandersetzung in der Endphase der geschwächten Weimarer Republik. Er wollte die Gesellschaft, die auseinanderzureißen droht, aussöhnen und dachte, auch mit den Anhängern des erstarkenden Nationalsozialismus könne man noch diskutieren. In der Tat fühlt man sich beim Lesen immer wieder an das Heute erinnert, wenn es um die Auseinandersetzung mit anderen politischen Meinungen geht. Harro war sehr radikal und sagte, alles ist zulässig und alles muss diskutiert werden, so gegensätzlich es auch scheint. Das ist auch für die heutige Zeit sehr relevant."

Das Cover des Buches "Die schweren Jahre ab Dreiunddreißig" von von Wiglaf Droste.
Wortgewaltig und pointiert: Wiglaf Droste konnte die deutsche Gesellschaft herrlich scharfzüngig aufspießen.© Edition Tiamat / Deutschlandradio

René Aguigah empfiehlt:
Wiglaf Droste: "Die schweren Jahre ab Dreiunddreißig"
Mit einem Vorwort von Friedrich Küppersbusch
edition TIAMAT, Berlin 2019
250 Seiten, 18 Euro

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René Aguigah meint: "Texte von Wiglaf Droste aus drei Jahrzehnten – manche sind weit weg und zugleich sehr nah. Unter der Überschrift 'Mit Nazis reden?' etwa gibt Droste eine sehr eindeutige Antwort, die lautet sinngemäß: 'Ich muss doch auch nicht an jeder Mülltonne schnuppern.' Dieses unbestechliche Aufspießen von Sachen, unter denen er leidet, werde ich vermissen. Denn er leidet aus guten Gründen, zum Beispiel unter dieser Mischung aus Spießigkeit und Nicht-Nachdenklichkeit, die eben auch Extremismus erst möglich macht. Was mir auch sehr fehlt, wenn ich diese Texte jetzt nochmal gelesen habe, nach teils 20 Jahren, ist diese Kombination von politisch-moralischer Unbestechlichkeit einerseits und andererseits einer sprachlichen Schönheit, und zwar durch die Bank. Das trifft man heute nicht mehr an jeder Ecke."

Buchcover zu Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft
Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft© C.H. Beck

Florian Felix Weyh empfiehlt:
Armin Nassehi: "Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft"
C.H. Beck, München 2019
352 Seiten, 26 Euro

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Florian Felix Weyh meint: "Eine Warnung vorab: Dieses Buch trägt nicht umsonst das Wort Theorie im Untertitel. Es ist ein Werk soziologischer Theoriebildung. Darüber, dass die Digitalisierung unmittelbar verwandt ist mit der gesellschaftlichen Struktur und nicht über uns gekommen ist wie eine Naturkatastrophe, sondern sie ist die schlüssige Konsequenz aus unserer Zivilisationsentwicklung. Es richtet sich vorrangig an die eigene soziologische Community, nicht ans breite Publikum, und ist konsequenterweise auch noch in einer provozierend kleinen Schrifttype gedruckt. Ich halte es aber für ein wirklich wichtiges Werk. Wer es liest, wird durch dieses Buch sehr viel klüger. Ich empfehle es also genauso, wie man Zirkeltraining empfiehlt: Mit zusammengebissenen Zähnen durchhalten und dann die Erschöpfung genießen."
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