Die Zweiklassengesellschaft

Vom Wert der unbezahlten Arbeit

Fensterputzen in einer Wohnung
Fensterputzer bzw. Gebäudereiniger ist in Deutschland ein regulärer Beruf und Zuhause unbezahlte Arbeit. © imago/Jürgen Ritter
Ein Standpunkt von Lena Hipp · 22.01.2019
Auch Arbeit, die nicht bezahlt wird, ist Arbeit – gerade im Haushalt. Putzen, Kochen, Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen sollten mehr wertgeschätzt werden. Soziologin Lena Hipp fordert deshalb ein anderes Arbeitsmodell.
Und, was machen Sie so? Nicht selten ist dies eine der ersten Fragen, die sich bis dato unbekannte Menschen einander stellen. Ganz unschuldig kommt sie daher, diese Frage. Ganz offen. Gemeint ist jedoch stets: Was ist Ihr Beruf? Womit verdienen Sie Ihr Geld? Was aber antworten diejenigen, die gerade keinen Job haben? Zum Beispiel, weil sie Kinder betreuen oder Alte und Kranke pflegen? Oftmals sagen sie: Nichts, ich bin zuhause. Obwohl das, was sie den ganzen Tag tun, das Gegenteil von Nichtstun ist.

Unbezahlte Arbeit ist wenig sichtbar

Auch Arbeit, die nicht bezahlt wird, ist Arbeit. Schwere sogar: Kinder er- und großziehen; alte, gebrechliche oder kranke Angehörige pflegen, Putzen, Kochen, Waschen, Einkaufen, Aufräumen. Und das Ganze stets gut planen und organisieren. Unbezahlte Arbeit ist oft wenig sichtbar, selbst für diejenigen, die sie tagein, tagaus erledigen. Wer unbezahlt arbeitet hat keine Gewerkschaft, keine Lobby, keinen Erholungsurlaub. Niemand achtet auf die Einhaltung von Ruhephasen. Anerkennung und Wertschätzung gibt es selten.
Abschätzen lässt sich der Wert der unbezahlten Arbeit aber schon. Die ILO – die Internationale Arbeitsorganisation – beziffert ihren Wert auf fast zehn Prozent des globalen Bruttosozialproduktes. Und das ist noch zu niedrig, denn Daten liegen derzeit für nur zwei Drittel der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter vor.

Wer viel gibt, dem wird wenig gegeben

In Deutschland, wie andernorts auch, sind es vor allem Frauen, die den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten und einen hohen Preis dafür bezahlen. Je mehr sie unbezahlt arbeiten, desto weniger Möglichkeiten haben sie, einer bezahlten Arbeit nachzugehen.
Das wiederum bedeutet: kein oder nur ein geringes Einkommen; Beschäftigung unterhalb des Qualifikationsniveaus, wenig Aufstiegschancen, und am Ende des Erwerbslebens lediglich eine kleine Rente. Kurzum: Wer viel gibt, dem wird wenig gegeben. Das ist ungerecht und nicht nachhaltig. Darum müssen wir handeln. Wir alle. Drei Punkte sind im deutschen Kontext wichtig:
Das zarte Pflänzchen, das seit der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007, entstanden ist, muss weiter wachsen. Paare tun gut daran, Erwerbs- und Familienarbeit gleichmäßiger aufzuteilen, auch nach der Elternzeit. Die individuellen Kosten der unbezahlten Arbeit werden so gerechter verteilt – ebenso wie die Freude, die aus diesen Arbeiten ja ebenfalls erwächst.
Die Arbeitgeber müssen mitziehen. Warum wird eine Lücke im Lebenslauf aufgrund von Erziehungs- und Pflegezeiten noch immer negativ bewertet? Glauben wir wirklich, dass die Erziehung zweier Kinder und die Pflege einer weiteren Person, weniger Multitasking, Empathie und Organisationgeschick erfordert als die Leitung eines Dreierteams?

Teilzeit für beide?

Nicht zuletzt ist die Politik gefragt. Ein Vollzeitjob von 40 Stunden und mehr lässt wenig Zeit für anderes. Das in Deutschland nach wie vor weit verbreitende Modell des vollzeitarbeitenden Mannes und der teilzeit- oder nicht erwerbstätigen Frau lässt dem einen keine Zeit für die Familie, der anderen verbaut es aber Aufstiegschancen und schmälert das Lebenseinkommen.
Eine Umverteilung von Erwerbsarbeit würde allen helfen. An die Stelle der 40+ Stunden für ihn und der 20 Stunden für sie kann das Modell einer großen Teilzeit für beide treten. 32 Stunden. 80 Prozent der regulären Arbeitszeit für beide – möglichst mit einem Lohnausgleich, wenn die Kinder klein sind oder kranke Eltern zu versorgen sind. Das ist eine Variante, bei der nicht viel verloren, aber viel gewonnen ist. Bei so einem Modell könnte jeder und jede die Frage, "Und, was machen Sie so?" leicht beantworten – ganz ohne in Verlegenheit zu kommen.

Lena Hipp ist Soziologieprofessorin an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe "Work & Care" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.



Lena Hipp, Soziologieprofessorin an der Universität Potsdam
© David Ausserhofer
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