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Multimedia-Performance von Michael Portnoy
Digitaler Rufmord

Im Netz sind wir Narzissten - doch was ist die Kehrseite der vielen Bilder, die wir posten? Medienkünstler Michael Portnoy sieht darin eine Gefahr für die Identität jedes einzelnen Nutzers - und warnt in einer provokanten Performance vor dem digitalen Rufmord.

Von Michael Köhler | 18.04.2017
    Ein Blick auf die Performance "Character Assassination" - inmitten des Kreises der Zuschauer im Halbdunkel stehen die beiden Performer (Foto: Michael Köhler)
    Verschwörerisch, denunziatorisch, komisch - die Performance "Character Assassination" (Michael Köhler)
    "Wir leben in einer Zeit, in der nur ein Tweet des obersten Faxen-Machers der USA das Leben eines Einzelnen zerstören kann, selbst dann, wenn der total falsch ist."
    Der New Yorker Performance-Künstler und documenta-Teilnehmer Michael Portnoy und seine Freunde wollten auf die neue Erfahrung der Fake-News reagieren. Sie wurden davon überwältigt, wie leicht man Rufmord begehen kann und suchten eine Antwort auf die neue Wirklichkeit der Überwachung und Missgunst. Als Jugendlicher mochte er die aufregende Abenteuerwelt der Spionage-Romane eines Robert Ludlum sehr. Und auch die finsteren Gestalten und Mörder darin.
    "Einerseits mag ich ja diese Spionagetechniken. Persönlich fürchte ich mich nicht. Mir macht's nichts, wenn die NSA meine Dateien liest. Ich habe nichts zu verstecken. Aber natürlich ist es erschreckend für jeden, der das nicht möchte und seine Daten für sich behalten will."
    Nur habe unsere Gegenwart nichts mit Literatur zu tun. Das sei bittere Wirklichkeit.
    Ein Bild aus Fragmenten
    "Durch die Struktur des Internets werden Verschwörungen ziemlich einfach. Die zufälligen Beziehungen zwischen den Menschen machen das möglich."
    Wir würden sehr viel Zeit damit verbringen, unsere Identität, unseren Charakter im Internet herzustellen. In den Neunzigerjahren dachten wir, wir könnten sein, wer wir wollen. Wir hingen an unserer Identität. Wir wollten heute ein Hund sein, morgen eine Großmutter. Heute errichten wir unser Selbstbild aus der Zustimmung vermeintlicher Freunde, setzen das Bild von uns aus Fragmenten zusammen.
    "Es ist ganz einfach, Informationen künstlich zu erzeugen, sie aus dem Kontext zu reißen. Es gibt jetzt sogar Programme, mit denen man die Stimme eines anderen samplen kann. Wenige Worte seiner Sprache reichen und man kann ganze Texte in dessen Stil schreiben oder sprechen."
    In seiner Kunstaktion "Character Assassination" wird er das zum Thema machen. Die etwa zwanzig Teilnehmer einer Art Fernseh-Talkshow haben ihm Zugang zu ihren Facebook Accounts gewährt. Michael Portnoy wird das benutzen - und für Rufmord missbrauchen.
    "Es geht darum, dass wir von einer Persönlichkeit mit fester Identität ausgehen, aber von einer Welt falscher Nachrichten umschlungen werden, einer Welt ständiger Neuerfindung."
    Entblößend und peinlich
    Während der Vorstellung wird gelbes Licht auf einzelne Zuhörer und Zuschauer geworfen. Eine Reminiszenz an die Yellow Press. Die vorhandenen Informationen werden verzerrt, gestört, vermeintliche Neuigkeiten werden verbreitet. Verschwörerisch und denunziatorisch, entblößend und peinlich, aber auch komisch wird es sein. Denn Michael Portnoy legt viel Wert auf das Wort und die Poesie.
    Er betont, ein Sprachmensch zu sein, liebe es mit Worten umzugehen. Er werde viel Rohmaterial benutzen, das wir so online benutzen und das vorführen, bis man schwindlig ist. Ja, ein bisschen obszön und pervers sei das schon, aber das ist auch das, was wir online treiben. Natürlich will er auch fühlbar machen, wie verletzlich wir sind. Dennoch dürfe sich aber keiner verrückt machen. Eine Art Message hat er auch:
    "Mein Ziel ist es, so etwas wie Hoffnung zu finden. Eine Welt reiner, unverbrauchter Worte, um diesen Hass hinter mir zu lassen, ihn zu überwinden und einen Raum der Poesie zu betreten. Die Aufführung ähnelt sehr den satirischen Late-Night-Shows im amerikanischen Fernsehen."
    Künstlerische Reinigung
    Bei der Aktion "Character Assassination" wird er wie ein Zeremonienmeister und Showmaster auftreten. Es gibt eine apokalyptische Stadtansicht an der Rückseite, Kameras, Scheinwerfer, den Tisch des Gastgebers, Publikum und ihn.
    "In meiner Arbeit ist diese Mischung wichtig, aus absurder Autorität und großem Humor. Die müssen einfach Hand in Hand gehen. Im Grunde bin ich ein Schauspieler, ein Komiker."
    Doch brauche sich niemand zu fürchten. Es sei eher eine Art künstlerische Reinigung.
    "Ja, das kann schon ein bisschen unbequem werden, wie ein Gesichtspeeling. Aber hinterher fühlst du dich verjüngt."
    Die Performance "Character Assassination" wird beim Festival PLURIVERSALE in der Kölner Akademie der Künste der Welt aufgeführt.